Wachkoma und falsche Hoffnungen?!

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Phoenix79

Gast
Ich betreue in der 1:1 Pflege eine Wachkoma Patientin.

Das Problem:
Ehemann und Töchter glauben, dass sie in spätestens sechs Monaten wieder laufen, essen und sprechen kann.
Wie realistisch ist das? Mich würde nur eure persönliche Meinung interessieren. Ich weiß das dies schwierig ist, wenn man die Pat. nicht kennt, aber vllt is ja wenigstens eine ungefähre Aussage möglich. Vllt gibts ja auch Kollegen hier die ähnliche Erfahrungen machen oder gemacht haben.
Wie geht man mit solchen Angehörigen um? Auf jedes kleine "bremsen" in Bezug auf ihre Erwartungen reagieren sie entweder garnicht oder mit vollkommen sinnlosen aus dem Zusammenhang gerissenen Gegenargumenten. Wir wollen sie ja nicht demotivieren, sondern nur verhindern, dass sie sich zuviele Hoffnungen machen und dann völlig zusammenbrechen wenn sich der Zustand akut verschlechtert oder die Patientin gar verstirbt.

Krankengeschichte:
Patientin (55 Jahre, Vorerkrankungen: Bluthochdruck, geringgradige Linksherzinsuffiziens) hatte vor 1 Jahr eine Hirnblutung aufgrund eines geplatzten Aneurysma im Kleinhirn, danach ein Hirnödem und daraus resultierend einen Mittelhirninfarkt und mehrere kleine Schlaganfälle.
Sie war über eine Trachealkanüle beatmet und konnte nach vier Monaten von der Beatmung entwöhnt werden. Nach Shuntanlage im 4. Ventrikel und Anlage einer PEG Sonde wurde sie sechs Monate nach dem Ereigniss in die Reha entlassen.
In der Reha zeigte sie laut Angehörigen (wird aber weder vom Arztbericht noch vom Pflegebericht bestätigt und ist äußerst fragwürdig deshalb)gezielte Greifreflexe, Aufforderungsbefolgen, Kommunikation über blinzeln und Teilweise Kontrolle über Muskulatur (halten von Kopf und Extremitäten). Im Rehabericht wird von einer negativen Prognose gesprochen.
Vor vier Monaten erfolgte dann Entlassung nach Hause (mit MRSA Infektion der TK) in unsere Betreuung.

Aktuelle Situation:
Patient hat eine Overcuff - Trachaealkanüle und atmet selbstständig. Allerdings extrem flach und mit Apnoen von 10 - 20 Sekunden, erhält deswegen zeitweise Sauerstoff über die TK, was aber kaum Wirkung zeigt. Im Moment befürchten wir im Pflegeteam, dass sie aufgrund der Apnoen und der schlechten Sauerstoffsättigung bald wieder beatmungspflichtig werden könnte.
Abgesaugt werden muss oft, manchmal endotracheal, paratracheal und auch oral/nasal bis zu 20 mal pro Stunde (nachts meist etwas weniger).
Patient zeigt Aufforderungsbefolgen nur in 2 von 10 Fällen und wenn dann stark verzögert.
Patient zeigt keinen Schluckreflex, außer unter starker Stimmulation durch Kältereize (Eisstäbchen).
Sie hat einen stark erhöhten Muskeltonus, bei Berührung zeigen sich sofort Streckspasmen. Hatte mehrere Miniepileptische Anfälle, die aber dank Antiepileptika jetzt seit drei Wochen nicht mehr auftreten.
Hat keinerlei Kontrolle über die Muskulatur. Keine Pupillenreaktion. Keine Reaktion auf Schmerzreize. Auf basale Stimmulation scheint sie auch nicht zu reagieren. Keinerlei Reaktion der mimischen Muskulatur erkennbar. Kein geregelter Tag-/Nachtrhythmus. Hat extreme Temperaturregulationsstörungen - in der einen Stunde ist sie eiskalt in der nächsten so nass geschwitzt, das man ihre Kleidung auswringen (is keine Übertreibung) kann.

Also meine Kollegen und ich persönlich glauben im Moment nicht, dass sich am Zustand unserer Patientin so enorme Fortschritte zeigen werden. Auch wenn wir ihr und ihrer Familie nichts mehr wünschen würden.
So wie es im Moment aussieht, glaube ich nicht mal das sie jemals ohne Trachealkanüle wird leben können und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht in den nächsten sechs Monaten.

Wie gesagt ich will keine Ferndiagnosen oder so, sondern wäre nur an einem kleinen Erfahrungsaustausch/Diskussion interessiert.
 
Solche Situationen kenne ich auch und ich weiß, wie schwierig es ist, sich als Pflegekraft entsprechend zu positionieren.
Die Angehörigen sperren sich gegen jedes plausible Argument,sie versuchen mit aller Macht und Kraft ihre - wenn auch irrationale - Hoffnung aufrecht zu erhalten. Egal wie detailliert Deine Erklärungsversuche auch sind, sie provozieren eher unschlüssige und sinnlose Gegenargumente weil allein die Hoffnung auf Besserung die Angehörigen diese unerträgliche und leidvolle Situation überhaupt aushalten lässt. Mir fällt dabei spontan das nicht wahr haben wollen im Rahmen des Trauerprozesses ein...Es ist und bleibt ein Drahtseilakt, sich als Pflegekraft in dieser Situation souverän zu verhalten.
Trost aber keine falschen Hoffnungen, Widerspruch ohne Drang und Druck, Akzeptanz ohne Resignation...
Ich wünsche Dir dabei Geduld, Gelassenheit und Zuversicht. :flowerpower:
 
Hallo.

Ich arbeite auf einer neurochirurgischen Intensiv und habe solche Patienten wie den von Dir beschriebenen Fall in der akuten Phase.
Bei der Fallgeschichte mit Kleinhirnblutung, Ödem, Infarkt, etc. würde ich ganz persönlich (vorsicht: das ist jetzt weder eine medizinisch fundierte noch irgendwie wissenschaftlich belegte Aussage!) keinerlei Hoffnungen auf gravierende Besserung des jetzigen Zustandes haben. Schon gar nicht hinsichtlich Alter und jetzigem Erkrankungszeitraum.

Leider ist es oft so, dass gerade den Angehörigen in der Akutphase gesagt wird (vom Mediziner, aber auch Pflegepersonal) man müsse nun erst mal "die Reha abwarten". Vorher könne man nichts sagen. Ist ja prinzipiell richtig. Nur sagt eben selten auch jemand mal, dass sich eben auch gar nichts oder nicht viel verbessern kann. Oder dass der Befund so gravierend ist, dass wenig Hoffnung besteht. Meiner Erfahrung nach neigen wir (Pflege, Mediziner,...) dazu, den Angehörigen eher zu positive Sichtweisen zu vermitteln. Ich selber versuche immer bewusst die Hoffnungen insofern "realistisch" zu halten, als dass ich auch sehr deutlich sage, dass es eben auch sein kann, dass keine Besserung mehr eintritt.

Alles in allem sehr schwierig. Hab mich da auch schon heftigst geirrt, und der Patient kam nach nem Jahr zu Besuch auf Station gelaufen....aber lieber irre ich mich in diese Richtung, als in die andere.

Aber bei dem Alter und der Fallgeschichte...hmmm.

Gruß,

DS
 
Wie gesagt ich will keine Ferndiagnosen oder so, sondern wäre nur an einem kleinen Erfahrungsaustausch/Diskussion interessiert.

...wie stehen die Angehörigen zur evtl. Ateminsuff.?
...wie stehen sie zu einer möglichen Reanimation?
Wurde das geklärt, mit dem behandelnden Arzt, der vermutlich öfters Hausbesuche macht, den die Angehörigen ebenfalls befragen, den ihr befragen könnt (?).
...was wollte die Patientin für sich, bevor sie krank wurde?
Ich betreue in der 1:1 Pflege eine Wachkoma Patientin.
An sich ist die 1:1 Pflege an sich ja eine sehr intensive Zeit, Du hast keinen Zeitdruck und eigentlich kannst Du für Dich das Beste daraus machen, abseits jeder Hoffnung der Angehörigen, den Gesprächen über die aus (vorsichtigst formuliert: Deiner Sicht) nichtvorhandene Hoffnung auf Besserung.
Besprecht das im Team - und belasst es dort soweit es geht. In größeren Abständen anklingen lassen, vielleicht - aber bei unveränderter Rückmeldung nicht nachhaken.
Größtmögliche Rückbildung innerhalb der ersten 12 Wochen nach Ereignis. Tendenzen nach Monaten und Jahren möglich.
Patient zeigt Aufforderungsbefolgen nur in 2 von 10 Fällen und wenn dann stark verzögert.
20% - das ist weit mehr als - nix, macht Hoffnung und sei sie noch so gering.

So und jetzt - gute Nacht
 
...wie stehen die Angehörigen zur evtl. Ateminsuff.?
Wird komplett ausgeblendet.

...wie stehen sie zu einer möglichen Reanimation?
Die bessere Frage wäre, wie stehen sie dazu das die Patientin bald sterben könnte? Antwort: Garnicht, denn diese Möglichkeit steht nicht zur Debatte. Wie im Eingangsposting erwähnt, glauben sie fest daran das ihre Ehefrau und Mutter in sechs Monaten wieder vollkommen gesund ist, obwohl sich der Zustand in den letzten Wochen sichtlich verschlechtert hat. Ob reanimiert werden würde steht also garnicht zur Debatte. Es muss reanimiert werden.

Wurde das geklärt, mit dem behandelnden Arzt, der vermutlich öfters Hausbesuche macht, den die Angehörigen ebenfalls befragen, den ihr befragen könnt (?).
Die Hausärztin resigniert mittlerweile auch schon, weil nichts von dem was sie sagt für bahre münze genommen wird. Alleine mit ihr sprechen könen wir garnicht, da bei allen Therapien und Hausbesuchen immer mindestens zwei Angehörige anwesend sind.

...was wollte die Patientin für sich, bevor sie krank wurde?
Keiner weiß es. Eine Patientenverfügung gibt es nicht. Aber so wie ich es bisher erlebt habe, hatte die Patientin das zu wollen was ihr Ehemann wollte und der will das sie zur silbernen Hochzeit im September wieder mit ihm am Tisch sitzen kann, ißt, spricht, läuft.

Da bisher wohl immer das geschehen ist was der Mann wollte, wird eine andere Möglichkeit auch nicht akzeptiert.

Besprecht das im Team - und belasst es dort soweit es geht. In größeren Abständen anklingen lassen, vielleicht - aber bei unveränderter Rückmeldung nicht nachhaken.
Ja, genau so machen wir das im Moment auch.
 
Mich erinnert deine Beschreibung an die Trauerphasen anch Kübler-Ross:

Wenn man die Aussage adaptiert, würde ff. rauskommen:

Leugnen
"Nicht ich, das kann unmöglich mir passieren".

Bezeichnend für die Phase des Leugnens sind Schockgefühle, Unglaube, Starre und Betäubung. Das Leugnen schützt den Trauernden vorübergehend, bis er soweit ist, dass er sich dem Verlust stellen kann. Auf der einen Ebene weiss er, dass eine ihm nahestehende Person nicht wieder erwachen wird ist, aber auf der anderen Ebene ist er noch nicht bereit, dieses zu akzeptieren.

Man sollte nicht versuchen, diese Phase allzu schnell hinter sich zu bringen. Leugnen ist ein natürliches Phänomen. Trauernde lassen das Leugnen ganz von selbst sein, wenn sie soweit sind. Falls dies selbst nach einigen Wochen nicht der Fall ist, sollte ein Berater zu Hilfe gezogen werden.
Trauerbewältigung

Letzteres dürfte ein Problem sein.

Was mir auffällt, dass man dem Ehemann versucht auf der rationalen Seite zu begegnen. Ich erlebte oft, auch in anderen Zusammenhängen, dass Angehörige auf dieser Ebene nicht ansprechbar waren. Sie konnten das Gesprochene nicht umsetzen.
Wenn man dann in die reine Gefühlsebene wechselte, passierte etwas ganz spannendes: die Leuts haben sich geöffnet. Man hat z.T erfahren, warum die rationale Ansage fehlgeschlagen ist und konnte auf diesem Wege seine Aufforderungen, zumindest teilweise, anbringen.
So ein Gespräch braucht Zeit. Man braucht einen Abstand zur Pflegesituation. Und man muss darauf gefasst sein, dass es zu einem Gefühlsausbruch kommen kann, den man dann ggf. mittragen muss.

Zu wem hat dieser Mann Vertrauen? Bei wem würde er sich öffnen? Kann irgendein MA besser mit ihm?

Eine professionelle Hilfe halte ich aktuell für schwierig. Es wäre ein fremder Mensch und ein Psychologe ist in der Allgemeinbevölkerung mit vielen Vorurteilen behaftet.
Aber vielleicht kann euch eine Psychologin Tipps geben, wie ihr das Gespräch anbahnen und lenken könnt.

Resignation, weil der Angehörige sich weigert, die Realität anzunehmen, halte ich immer für schwierig. Im Falle eines Falles kann das falsch ausglegt werden und einem in die Hacken fallen.

Elisabeth
 
Ob reanimiert werden würde steht also garnicht zur Debatte. Es muss reanimiert werden.
....Die Frage ob reanimiert werden soll, ist sehr weitreichend, o.k. wurde eindeutig mit ja beantwortet. Abgehakt.
Die Hausärztin resigniert mittlerweile auch schon, weil nichts von dem was sie sagt für bahre münze genommen wird. Alleine mit ihr sprechen könen wir garnicht, da bei allen Therapien und Hausbesuchen immer mindestens zwei Angehörige anwesend sind.
Das ist ja auch was positives. Während die Pflege/Therapeuten anwesend sind kommt die Hausärztin zu Besuch. Auch wenn da immer mindestens 2 Angehörige dabei sind, steht es Euch nicht (wie im stationären Bereich) zu mit der Ärztin über ihre Prognose, weitere Therapieziele, Probleme... offen zu sprechen? Der Austausch zwischen Arzt und Pflege - wo bleibt der sonst? Das verbieten können die Angehörigen doch nicht? Hat hier die Pflege nicht auch die Pflicht dies mit dem Arzt - von Zeit zu Zeit/ wenn es angesagt ist/regelmäßig(?!) - zu besprechen? Dazu muss man sich doch nirgendwo hin verstecken!
Meine Frage war ja in etwa ob überhaupt ein Austausch stattfindet - und den gibt es ja, ihr bekommt das ja regelmäßig mit.
. Eine Patientenverfügung gibt es nicht. Aber so wie ich es bisher erlebt habe, hatte die Patientin das zu wollen was ihr Ehemann wollte und der will das sie zur silbernen Hochzeit im September wieder mit ihm am Tisch sitzen kann, ißt, spricht, läuft.
Da bisher wohl immer das geschehen ist was der Mann wollte, wird eine andere Möglichkeit auch nicht akzeptiert.
.

Auch wenn der Ehemann WILL, dass seine Ehefrau bis zur Silberhochzeit wieder fit ist, DAS kann er íhr nicht befehlen......
Auch wenn der Ehemann WILL, dass seine Frau nicht stirbt, befehlen kann er ihr auch DAS nicht.
..jetzt mal ganz rational: Ist es ein Pflegeproblem, dass der Mann nicht wahrhaben kann wie schlecht es seiner Frau geht, oder keines?
Mit der direkten Arbeit an der Patientin hat es nichts zu tun, diese Arbeit bleibt die Gleiche, so oder so. Dein Problem ist das "drumherum".
Ich höre mehr den Ärger heraus, dass er nicht die Realität sehen will oder nicht kann, als da was Du am Anfang geschrieben hast, das mögliche Loch in das alle/insb. der Ehemann fallen könnte, sollte sich nichts ändern/ die Patientin sich weiter verschlechtern/sterben.
Da es ja noch mehr Angehörige gibt, wie sehen die die Situation, wie stehen sie dazu. Muss ja nicht verbal sein, Reaktionen, Gesichtsausdrücke sagen manchmal mehr als viele Worte.
 
Frage an Phoenix 79: Warum ist es euch so wichtig, dass die Angehörigen die Lage nicht erfassen oder einfach nicht erfassen können?
Würde das etwas an deiner Pflege ändern? Oder geben sie Dir die Schuld, dass sich der Zustand nicht verbessert?
Ich glaube, dass es einen psychischen Overkill bei den Angehörigen auslöst, wenn eine( entschuldigt den Ausdruck) lebende Leiche nach Hause entlassen wird. Dass sich da an jeden Strohhalm geklammert wird, der in bisschen Hoffnung enthält, aus dieser unerträglichen Situation herauszukommen,ist verständlich. Der Tod wäre natürlich eine Lösung, aber wer will und kann sich das einstehen, sich den Tod eines lieben Angehörigen zu wünschen. Also wird alles auf die Genesung gesetzt, so unrealistisch das auch sein möge, um diese Situation überhaupt durchzustehen.
 
@eiermatz+Phoenix

der letzte Beitrag war vor fast 3 Jahren, lang her
- aber an sich würds mich auch interessieren, wie's weiterging
 
:verwirrt::verwirrt: hatte ich nicht gesehen, dass der Beitrag schon sooooo einen Bart hat, wie kam denn der auf die erste Seite?
 

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