Tod eines Patienten - Schuldgefühle

maggiemay

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14.03.2004
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10
Ort
Wien
Beruf
Krankenschwester
Akt. Einsatzbereich
Kardiologie
Wir hatten seit paar Wochen einen Patienten bei uns auf der Station (Kardiologie), der auch schon zuhause ca. 10 Jahre lang ein Pflegefall war - maximal möglich war die Mobilisation durch die Lebensgefährtin in den Lehnsessel. Langjährige Alkoholanamnese, kaputte Organe, Wortfindungsstörungen, .... Alter knapp unter 70.
Er hat sich immer wieder alle Zugänge (Venflons, ZVK) selbst entfernt, und dann wurde von ärztlicher Seite beschlossen, ihn ausschließlich oral zu ernähren/therapieren.
Er war ziemlich kraftlos, hat oft aspiriert, beim Atmen gerasselt, und beim Verschlucken gehustet, aber selten genug Kraft aufbringen können, wirklich auszuhusten. Also hin und wieder Rachenraum abgesaugt.
Gestern habe ich ihm in der Früh die Medikamente eingegeben, mit Pudding und schlückchenweise Wasser.
Bei ihm war es normal, daß er "Nein" gesagt hat, dann aber trotzdem den Mund aufgemacht hat, wenn man ihm noch einen Löffel angeboten hat.
So auch dieses Mal. Dann plötzlich dreht er den Kopf zur Seite, beisst den Mund (ohne Zahnprothese) zusammen, ich denke zuerst, er will mir zeigen, daß er nun wirklich genug hat. Dann denke ich aber, er ist blaß, reagiert nicht auf seinen Namen. Ich versuche abzusaugen, dann bitte ich meine Kollegin um Hilfe, die gerade beim Nachbarbett beschäftigt ist. Sie sagt, ich solle unsere Stat.Leitung holen, er kommt, ich drücke Herzalarm, die Ärzte kommen .... zurückhaltende Reanimation (nur Herzdruckmassage + Bebeuteln, kein Med.). Nach 10 Minuten ist Schluß, der Arzt schafft eine ruhige Atmosphäre, alle aus dem Zimmer (6 Mitpat. + ca. 15 Ärzte/PP) raus, er und ich bleiben dort bis der Pat. seinen letzten Atemzug tut.
Also ansich eine ideale Situation, der Arzt reagiert perfekt und schafft eine (für den Patienten) erträgliche Sterbesituation (falls ich das so blöd sagen kann) - redt ruhig auf ihn ein, wir begleiten ihn. Soweit alles schön und gut.
Nachher bittet der Arzt, daß wir uns zusammensetzen als Team, so handhabt er das immer bei einem Exitus. Offene Fragen klären, das ganze von medizinischer Seite aus besprechen. Meine Kollegin sieht mir wohl an, daß ich blaß um die Nasenspitze bin, sie spricht aus, was ich mir denke: "Muß man ein schlechtes Gewissen haben als derjenige, der gerade die Medikamente verabreicht hat?". Arzt & Stat. Leitung sagen natürlich, nein, braucht man nicht, weisen auf seine körperliche Verfassung hin, auch auf die familiäre Situation (Leb.Gef. ist in den Wochen 1x auf Besuch gekommen, der Pat. selbst wäre nicht zurück nach Hause gekommen, sondern ins Pflegeheim) und daß es unter Umständen auch ein dummer Zufall gewesen sein könnte, daß er nicht 100 prozent notwendigerweise aspiriert hat. (wobei, ich bin mir sicher)
Mich hatte verwundert - wenn er aspiriert, warum hat er nicht die kleinste Husten/Reizreaktion gezeigt, sondern ist sofort "errstarrt"? Der Arzt erklärt mir dann, es kann vorkommen, daß beim Aspirieren der Nervus Vagus einen Reflex auslöst, der sofort den gesamten Organismus "herunterfährt", und man nicht mehr aushusten kann.
Gut, es hat überhaupt niemand die Frage der "Schuld" in den Raum gestellt, es war quasi "egal", woran der Patient verstorben ist - es hätte aufgrund seiner gesundheitlichen Verfassung viel sein können. TROTZDEM: er war NICHT moribund und für mich schwebt es halt jetzt im Raum: Wenn ich in diesem Moment nicht bei ihm gewesen wäre, würde er jetzt noch leben .....
das belastet mich.
Habt ihr schon einmal eine ähnliche Situation erlebt? Wie seid ihr damit umgegangen?
Ich bin froh, daß dieser Arzt die Reanimation geleitet hat und so reagiert hat, um mir gleich, von sich aus, verstehen zu geben, daß ich mir keinen Kopf zerbrechen brauche.
In der Arbeit habe ich noch versichert, die Situation nicht mit nach Hause zu nehmen, aber auf der Heimfahrt im Auto hab ich natürlich erstmal heulen müssen. Ich denke, ich werde noch viel mit Kollegen drüber reden, und ich merke, daß es auch gut tut, hier die Sache zu schildern und von der Seele zu schreiben.
 
Tut mir leid was Dir passiert ist, aber hintenraus denke ich mal das Du Dir keine Vorwürfe machen brauchst, ihr habt doch alles getan was möglich war und es hätte bei jedem so passieren können. Es wird Dir sicherlich nicht wirklich helfen, aber es hilft darüber zu sprechen:-)
Ich war auch einmal in einer ähnlichen Situation und habe lange damit zu kämpfen gehabt, aber ich habe auch mit niemanden über meine Gefühle gesprochen und das war ein großer Fehler...
Ich wünsche Dir alles Gute und das Du bald über der Situation stehst
 
Ich habe vor einigen Monaten einen neuen Bewohner aufgenommen, der in Begleitung seiner Tochter kam.Die Tochter hatte schon mehrfach Anlauf genommen, ihn in ein Altenheim zu geben, er hatte immer gesagt "lieber Sterbe ich".Während der Aufnahme war der Mann verbal sehr unruhig und laut.Die Tochter gab an, das dies genau der Grund war, weshalb sie ihn zu hause nicht mehr versorgen konnte.
Die Aufnahme zog sich bis zum Mittagessen hin.Es gab an diesem Tag Spinat.Ich reichte ihm das Essen an.Er war nicht als sterbender gekommen.Rein körperlich guter AZ u. EZ, über 80, hatte im Bedarf Psychopharmaka, Herzmedikamente,...
Er aß wenig.Während ich noch einige Unterlagen fertig machen mußte, bat ich meine Kollegen darum, ihn zu versorgen.Er war Inkontinent und kam liegend zur Aufnahme, deshalb hatte ich ihn erstmal ins Bett gelegt.
Während der Versorgung veränderte sich schlagartig sein AZ.Innerhalb weniger Minuten war er Tod.
Habe ich etwas falsch gemacht?
War die verbale Unruhe ein Hinweis darauf , auch wenn er nichts weiter äußerte als immerzu Hilfe zu rufen?
Die Tochter hatte sich wahnsinnige Vorwürfe gemacht.Wäre er noch am Leben wenn sie ihn nicht zu uns gebracht hätte?
Letztendlich war sie dankbar, das sie bis zum Schluß bei ihm sein konnte.
Aber die Frage, was wäre wenn ? wird weder ihr noch mir je beantwortet werden.
Ich habe immer wieder versucht jeden Schritt nachzuvollziehen, ob mir etwas entgangen ist.
Es gab nie ein Frage der Schuldzuweisung, aber ich habe diese Aufnahme auch nie vergessen.
 
seit meiner Ausbildung arbeite ich in einem Haus der Maximalversorgung,bis vor einem Jahr in einem Zentrum für Abdominalerkrankungen-zuvor 6J Gefäßchirugie.
Beide Stationen mit Pat.die man multimorbide nennen würde-viele haben dem Alkohol oder dem Nikotin zuviel zugesprochen(nat nicht NUR,Versteht mich nicht falsch!!).Immerwieder erlebte ich,dass Patienten zB beim lagern plötzlich aufhörten zu atmen,oder Ösophargusvarizen plötzlich bluteten.
Warum ein schlechtes Gewissen??die Pat hatten ihr Leben gelebt und nicht immer haben sie ihrem Körper gutes getan,
man hatte nochmal versucht das Beste für sie zu erreichen,
dabei wirken wir aktiv mit und geben jeden Tag unser Bestes,
manchmal nutzt die tollste High-Tech-Medizin nichts...dann ist die Zeit abgelaufen.
So seh ich das-für mich.
Wenn ein junger Patient stibt,sieht das nat schonmal anders aus-aus heiterem Himmel und unerwartet nicht nur für die Verwandten ein Schock.
 
.Ich reichte ihm das Essen an.Er war nicht als sterbender gekommen.Rein körperlich guter AZ u. EZ, über 80, hatte im Bedarf Psychopharmaka, Herzmedikamente,...
Er aß wenig.Während ich noch einige Unterlagen fertig machen mußte, bat ich meine Kollegen darum, ihn zu versorgen.Er war Inkontinent und kam liegend zur Aufnahme, deshalb hatte ich ihn erstmal ins Bett gelegt.
Während der Versorgung veränderte sich schlagartig sein AZ.Innerhalb weniger Minuten war er Tod.
Habe ich etwas falsch gemacht?
Ist vielleicht OT, aber gabs ne Pat-Verfügung? Wieso wurde nicht reanimiert?

Zum Eröffnungspost: Nein, keine direkt Schuld auf deiner Seite... Denke mal nicht, dass du ihm das Wasser brutal in den Hals geschüttet hast, obwohl er nur homogene Kost schlucken konnte.
Von daher hat es wohl so sein sollen!?
 
Hallo Maniac,
ich hatte aufgrund der Aufnahme die Patientenverfügung ja noch in der Hand.
Hätte ich gewusst, das der Mann zum sterben kommt, wie es ja oftmals der Fall ist, ....aber für mich war es völlig unvorbereitet ....
 

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