Puh, Selbsttötung im Krankenhaus, das ist natürlich für alle, die den Patienten betreuten, oder auch nur gesehen haben vorher, schlimm.
Das habe ich selber schon erlebt, und der Mensch tat mir so unendlich Leid, weil ich leider ganz genau aus eigener Erfahrung weiß, wie schrecklich man sich vor so einer Tat fühlt.
Es ist als Pflegende(r)/Arzt wie im Leben draußen: passiert es, dann fragt man sich, ob man es hätte vorahnen und somit verhindern können. Man denkt über jedes Wort nach, dass gefallen ist, man denkt über sein eigenes Verhalten nach, ob man sich anders hätte geben müssen um das Vertrauen des Selbstmörders zu gewinnen, und man versucht nahezu verzweifelt aus allem einen Hinweis zu ziehen, ob man etwas wichtiges übersehen haben könnte, um es das "nächste mal besser machen" zu können.
Diese Überlegungen und der Schock, wenn man einen Suizid direkt oder indirekt mit erleben musste, ist natürlich groß.
Jeder, der in einem sozialen Beruf arbeitet, hat ein ganz besonderes, hervorragendes Talent zur Empathie, sonst würde man sich gar nicht erst für einen solchen Beruf entscheiden können und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten auf sich nehmen wollen. Würde es uns nicht berühren (vor allem beim ersten mal), wäre das wohl eher unnormal für uns, sage ich mal. Wir wollen unseren Patienten (Mitmenschen) ja helfen und wünschen ihnen Gutes! Und wir wissen instinktiv, dass ein Selbstmörder sich alleine und verloren fühlen musste, bevor er sich selber auslöschte.
Um Grübeleien kommt man also leider nicht herum, fürchte ich.
Es ist vollkommen normal und natürlich, wird uns so etwas noch unterschiedlich lange verfolgen.
Aber: so sehr man es auch liebend gerne geschafft hätte, jemanden vor dem Suizid zu bewahren, so sehr man sich auch wünscht, jedem zu helfen - man kann es nicht.
Wir sind alle nur Menschen.
Zum Glück.
Wir können und müssen nicht Gott oder Engel sein.
Zum Glück.
Uns sind einfach natürliche, vorbestimmte und gewollte Grenzen gesetzt, und das ist auch gut und richtig so, denn ansonsten müssten wir bei unserem Moral-Verständniss und unserem Mitgefühl Ereignisse verantworten, die wir nicht beeinflussen können.
Egal, wie gerne wir es täten.
Wir tun was wir können, das ist mehr als genug. Das ist mehr, als es sonstwo auf diesem Planeten gibt!
Ich muss zu meiner Einstellung etwas erklären: Es ist leider so, dass ich selber einmal meinen eigenen Suizid geplant habe. Das ist zum Glück schon lange her, doch ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mich damals fühlte: Ich war sicher, ein Selbstmord wäre der einzige, beste und vernünftigste Weg für mich und dem Zustand, in dem ich weilte. Und ich verheimlichte meine Vorbereitungen und Gedanken vor allem deswegen, weil ich der Meinung war, Hilfe jeglicher Art nicht zu verdienen, es schlichtweg nicht wert bin, gerettet zu werden. Für mich war ich nichts mehr wert überall im Leben und Sein, das war mein Grundgedanke. Es war eine fürchterliche Zeit, ich erkenne mich selber nicht wieder, wenn ich daran zurück denke. Und ich verstehe vor allem absolut nicht, wie eine Lebensbejahende, Lebenslustige und selbstbewusste Frau wie ich nur so denken konnte! Um Himmels Willen, ich liebe das Leben, egal wie kompliziert es gerade ist! Absolut!
Nur während dieser verhängnisvollen 2 Monaten "Dunkelzeit", wie ich es nenne, dachte ich vollkommen anders.
Ich war mir vollkommen wertlos im Leben, empfand mich nicht mehr als Lebenswert, anders kann ich es nicht ausdrücken.
Niemand hätte (hat) es geahnt, wie es mir geht. Ich habe eine Menge Freunde, die heulen würden um mich, aber selbst das konnte ich nicht mehr begreifen in diesem Moment.
Der Grund war bei mir eine Depression.
Ihr könnt jetzt lachen, wenn Ihr wollt, aber ich entwickelte diese Depression lediglich durch Nikotin-Entzug, so abwägig es klingen mag. Tatsächlich gibt es einen geringen Prozentsatz an Rauchern, die bei einem plötzlichen Entzug eine echte, ernstzunehmende Depression entwickeln. Das erklärte mir eine Psychologin, der ich das vor 1 Jahr peinlich berührt erzählte, ausführlich. Der veränderte Gehirnstoffwechsel bei diesem Entzug ist dafür verantwortlich. So banal und doch Verhängnisvoll damals.
Das gibt es tatsächlich, ohne Schei*piep*.
Übrigens entkam ich dem Suizid damals nur, weil ich eine Woche vor meinem gut geplanten Termin (hatte schon alles so geplant, dass man mich auf jeden Fall nicht rechtzeitig auffinden wird und garantiert nichts schief gehen kann) zu mir sagte: "In einer Woche ist jeder Mensch - und vor allem du selber - von dir erlöst. Da kannst du ruhig wieder Rauchen bis dahin, ist ja sowieso egal. Dann hast du wenigstens nicht noch die Qual, es dir verkneifen zu müssen, bevor du endlich weg bist für immer."
Nach nur 2 Tagen Nikotinzufuhr "erwachte" ich und war total entsetzt und fassungslos ob meiner Planung.
Daraus ziehe ich nun einfach mal die Überlegung, dass es bestimmt auch sehr viel mehr Medikamte gibt als wir glauben, die solche Veränderungen im Gehirnstoffwechsel verursachen und damit das gleiche auslösen wie bei mir damals, als ich auf Nikotin-Entzug war.
Normalerweise hat jedes Lebewesen einen intensiven Überlebensinstinkt, das ist angeboren. Aber wenn beim Hirn-Stoffwechsel irgendetwas entscheidendes nicht mehr richtig läuft, dann wird man plötzlich ein Opfer seiner Selbst. Man verändert sich vom Mensch-Sein zum Wertlos-Sein.
Als Außenstehender kann man das aber unmöglich sehen, denn der suizidgefährdete Mensch will sein Vorhaben meistens nicht vermitteln. Er tut alles, um das zu verheimlichen.
Es ist tragisch und logisch zugleich.
Leider.
Es zeigt uns immer wieder, dass wir manchmal eben einfach Machtlos sind, so sehr es uns auch hinterher Leid tut, das gewesen zu sein.
Vielleicht hilft es ein bisschen, wenn ich sage: Ich bin niemandem, der mir nahe steht, böse ob dieser Unwissenheit, als es mir schlecht ging. Es ging mir nicht schlecht, weil mir niemand helfen wollte. Auf keinen Fall. Es ging mir schlecht, weil ich einfach krank war.
Mehr nicht.
Hätten meine Freunde (oder "nur" Kollegen) darum gewusst, dann hätte man mir sofort und konsequent geholfen, weil ich es eben doch Wert bin, natürlich.
Jeder Mensch würde helfen wollen, wenn er darum wüsste.
Selbst die Bäckerei-Verkäuferin von nebenan.
Aber wie gesagt: Wir können keine Gedanken lesen.
Wir können uns nur damit trösten, dass Gott darum weiß, dass der Mensch, der Selbsttötung begeht, dies nicht aus Respektlosigkeit tut (wie es die Kirche noch immer leider annimmt und predigt), sondern aus Verzweiflung. Und auch verzweifelte Seelen finden immer Ruhe bei Gott, das ist absolut sicher. Sie sind erlöst, auch wenn es früher passiert als notwendig.
Wir hätte es gerne verhindert, natürlich. Das macht uns Menschen aus, und darauf müssen und sollen wir stolz sein, denn das ist einzigartig auf dieser Welt.
Aber das können wir einfach nicht, wir haben unsere Grenzen, und das hat auch seinen Sinn.
Es ist traurig aber okay.
Liebe Grüße.
Claudia.