Intensiv/IMC - Erfahrungen zu Patientin mit Anorexia nervosa

amezaliwa

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13.12.2007
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Franken
Beruf
Krankenschwester mit WB Stroke Unit, RbP
Akt. Einsatzbereich
Stroke Unit mit Frühreha
DAS THEMA:
Wer hat Erfahrungen, Erfahrungswerte mit Patienten auf Int./IMC mit Anorexia
in einem sehr fortgeschrittenen, massivst reduziertem Zustand


DIE FRAGEN an Pflegekräfte im Intensiv/ IMC-bereich:
Wie geht es Euch, wie erlebt ihr die Situation, die Betreuung der Patienten, der Angehörigen, die Familiensituation…
Der Verlauf, bisherige Erfahrungen, auch das würd mich interessieren….

MEINE PROBLEME:
…es beschäftigt mich gerade sehr, aus vielerlei, zum teils widersprüchlichen Empfindungen.
Die Patientin ist trotz allem sehr anspruchsvoll, beansprucht viel Zeit und Mühe.
Nerven kostete es auch, jeden Tag, neben der Patientin die Mutter mit zu betreuen, die auch ständig dazwischengackerte, die Patientin nicht für sich selbst sprechen ließ, ihr keinen Raum ließ, keine Ruhe gönnte. Realitätssinn, gering.
Hat auch keine andere Beschäftigung, scheinbar.
Der Lebensgefährte – geht so, auch hoher Gesprächs- und Informationsbedarf, jeden Tag. Der Realitätssinn, etwas höher.

Falls jemand hier schon nicht weiter kommt, o.k., dann einfach das Fenster wieder zumachen.

Wem es jetzt schon zuviel wird, den sehr langen Rest zu lesen, aber was hilfreiches beitragen kann, auch o.k.

DIE PATIENTIN:
Bis vor 2 Tagen betreute ich, in der internistischen IMC, wieder, zum 2. Mal innerhalb von 2 Wochen, eine Frau mit Anorexia.
Dazwischen war sie 1 Woche in der Psych, kam in einem noch schlechteren Zustand wieder zurück.
Nein, es ging dort nicht.
Einerseits hat sie eine Patientenverfügung, es wurde beim 1. Mal besprochen:
Keine Reanimation/ Intensiv.
Mit der Patientin und der Mutter.
Jetzt beim 2. Mal, deutlichere Worte, sie wurde gefragt: Entweder ZVK oder Magensonde.
Entscheidung – klar, der ZVK.
Also ZVK und volles parenterales Programm. O.k., vorübergehend. Das war vor über einer Woche.

ERSCHWERNIS:
Es wurde (in dieser 1 Woche in der Psych) eine (Fremd)Betreuung eingerichtet – die jetzt gültig ist.
JETZT soll wieder ALLES gemacht werden (auch ein Teil meiner Krux) gegen den Wunsch und Willen der Patientin.
(Randbemerkung: Ich hab ja nix gegen Schwangere – aber diese Betreuerin ist hochschwanger.
Ist man da nicht auch eingeschränkt – in seiner objektiven Sichtweise, hormonell bedingt?)

Inzwischen kann die Pat., u.a., die Fernbedienung des Bettes selbständig benutzen, sie könnte auch klingeln,
kann einfache Bedürfnisse sehr klar formulieren,
sie verweigert (bis auf 1 Tag) bislang jede orale Zufuhr …..
Außerordentlich eingeschränkt war sie aufgrund massivster Eiweißmangelödeme, ÜBERALL, das ist jetzt besser.
Damit kann sie auch aktiv mithelfen, bei der Körperpflege, Lagewechsel - geht aber nur nach Aufforderung.
Wechseldruckmatratze wegen initial höchstgradigen Rückenschmerzen.
Neu, letztes Wochenende: Zunehmende Atemnot, zunehmender Sauerstoffbedarf,
Erklärung fand sich – Pleuraergüsse.
Das punktieren auf IMC - war den Ärzten zu heikel, sie wurde deswegen auf die Intensiv verlegt.
(Keine REAnimation/Keine INTensiv + Patientenverfügung einerseits, Betreuung andererseits)
2l hat man entnommen.
Sie ist jetzt immer noch auf der Intensiv, den 3.Tag.
Da die Intensiv nebenan ist – geh ich, jetzt grad im ND, rüber und frag nach wie’s ihr geht.
Ins Zimmer möchte ich nicht, in der Nacht.
Es ist jetzt auch immer jemand anwesend, entweder die Mutter oder der Lebensgefährte.

Wie soll das bloß weitergehen, frag ich mich.
Kein Wille was zu tun, Verweigerungshaltung wo sie noch Kontrolle drüber hat (was sehr, sehr wenig ist)
aber auch kein Recht mehr, div. Maßnahmen zu verweigern (wg. Betreuung)
Der Aufenthalt auf Int./ IMC IST vorübergehend, da führt kein Weg dran vorbei.
Rückverlegung in Psych - im Moment noch unmöglich.
Demnächst muss sie wieder anfangen mit Essen/Trinken oder sie wird doch eine Ernährungssonde erhalten.
Gegen ihren Willen.
 
Ist sie nicht mehr auf deiner Station? Und wenn du nicht gerade Nachtdienst hättest, würdest du sie auch besuchen und nicht nur nachfragen, wie es ihr geht? Warum? Besuchen, meine ich.
 
@Amezaliwa: Schwieriges Problem, ich hatte bislang zwar noch keine Patientin mit Anorexia, auf die das zutraf mit der Patientenverfügung, aber ich kann mir vorstellen, in welchem Zwiespalt du gefühlsmäßig steckst. Wie alt ist denn die Patientin?

Ich denke, eure Ärzte wollen sie wieder so fit kriegen, dass sie wieder in die Psychiatrie zurückkann und dort eine Therapie anfangen / weiterführen kann. Wie lange hat die Patientin schon die Anorexie?
 
Vielen Dank für die Rückmeldungen
gestern nachmittag ist die Patientin, die etwa 50J. alt war, auf der Intensiv verstorben
Mit meinen Spätdienst Kollegen (der IMC), konnte ich kurz sprechen, sie haben mitbekommen dass sie verstorben ist. Mehr hab ich nicht.

Wie lange sie krank war, weiß ich nicht genau, jedoch kannte eine meiner (IMC) Kolleginnen die Patientin - meinte Jahrzehnte.
Ich freue mich schon irgendwo mit der Frau, weil sie schon lange Zeit keinen Lebenswillen mehr hatte.
Sie wollte das ja alles nicht.
Erfahren habe ich gestern, dass sie die Pleurapunktion überhaupt nicht wollte, sie hatte mehrfach NEIN gesagt.
Die Betreuerin hatte aber zugestimmt, also MUSSTE sie sich allem fügen, der Verlegung auf die Intensiv (weil es den Ärzten zu heikel war) der Punktion (weil not-wendend)

Eine schwierige Familiensituation, Pat. mit sehr starkem Willen und Kontrollbedürfnis + entsprechend Diskussionen um jeden einzelnen Punkt - ist krankheitsbedingt nicht unüblich.
Die für uns als Pflegende und für die Patientin schwierige, konfliktbehaftete Kombination:
Bestehender Patientenverfügung+dokumentiertem KREA/KINT (Keine REanimation/Keine INTensiv) <-> Betreuung - schon.

Ich hatte eigentlich angenommen, dass sie sich weiter erholt, es wurde ja vieles gemacht, sie dann wieder zu uns auf die IMC verlegt wird. Dann, nach einiger Zeit und stabilisiert, in die Psych zurück geht.
Vielleicht, vielleicht - hat sie sich komplett aufgegeben weil sie komplett entrechtet wurde, ich weiß es nicht.

@Marty
WIR, die Stroke/internistische IMC und die internistische Int. gelten als 1 Station, obwohl wir räumlich getrennt sind.
Trennen tut uns allerdings nur das Treppenhaus, 2 Türen.
Die Stroke/IMC ist eine, letzten Monat erst, neu eröffnete Station, intern. IMC gab es bislang gar nicht, mein bisheriger Einsatzbereich war Stroke/Neuro - in einem anderen Stockwerk.

Ich muss sowieso immer wieder mal "rüber" weil ich irgendwas brauch was wir grad nicht da haben,
oder eine Frage habe zum - noch ungewohnten - Ablauf,oder sonst irgendwas...hilft auch die neuen Kollegen bisschen kennenzulernen.

Anrufen, nachfragen, kurz besuchen - besuchen aber eher dann, wenn der Patient auch was davon hat/haben könnte.
Hier hat es mir gereicht nachzufragen, ins Zimmer wollt ich nicht rein.
 
... , Pat. mit sehr starkem Willen und Kontrollbedürfnis + entsprechend Diskussionen um jeden einzelnen Punkt - ist krankheitsbedingt nicht unüblich.
Die für uns als Pflegende und für die Patientin schwierige, konfliktbehaftete Kombination:
Bestehender Patientenverfügung+dokumentiertem KREA/KINT (Keine REanimation/Keine INTensiv) <-> Betreuung - schon.
....
Bleibt dieses Gefühl jetzt so oder habt ihr die Möglichkeit, euch Hilfe zu holen für eine professionelle Verarbeitung?

Elisabeth
 
Möglichkeit wäre Fallbesprechung Palliativ, das ist relativ neu.
Da kann man aber nicht einfach hingehen, man muss sich erst anmelden, sehr begrenzte Teilnehmerzahl.
Man kann einen eigenen "Fall" selbst einbringen, der dann besprochen wird.
WIE man da vorgeht, hab ich noch keine Ahnung.

Verarbeitung: Drüber schreiben hilft, sich das Gesamte vor Augen halten, mit Kollegen sprechen...
....gedanklich ein paar :kloppen: verteilen.
 
Sie hat ihren Frieden gefunden.
 
Ich habe das Thema über die SuFu gefunden und einige Fragen an die Fachleute.

Gesucht habe ich, weil wir auf Station eine Situation haben, die der geschilderten hier entfernt ähnlich ist - nur ohne Palliativ (und hoffentlich mit anderem Ausgang).

Meine Fragen wären:
Wie geht man in der Psychiatrie mit Patienten mit starkem Kontrollbedürfnis um? Wenn man genau merkt, dass die Patientin versucht zu manipulieren und sich jede kleine Handlung um Macht und Kontrolle dreht?

Wie handhabt ihr es mit Ernährung? Wenn der Patient zulässt, ernährt zu werden, aber selbst nicht isst?

Welche Pflegehandlungen übernehmt ihr, wenn es der Patient eigentlich selbst kann, aber vorgibt, es nicht zu können?

Habt ihr Literaturempfehlungen?

Grüße
 
Welche Pflegehandlungen übernehmt ihr, wenn es der Patient eigentlich selbst kann, aber vorgibt, es nicht zu können?
Sehr schwierig... Das kommt bei uns zwar häufiger vor. Aber da ich nicht im psychiatrischen Bereich bin, sondern in der Neuropädiatrie, kann man es bei uns relativ gut auffangen. Ganz beliebte Methode: Pat. fragen, was für Hilfe benötigt wird; mit der Tätigkeit beginnen; wenn man merkt, dass der Pat. es eigentlich selbst könnte, unter einem Vorwand das Zimmer verlassen (oft wird bei sowas vorher mit Kollegen abgesprochen, dass sie mal auf dem Telefon anrufen, oder von einem anderen Zimmer aus klingeln); dem Kind sagen, dass man gleich wieder kommt, es aber schonmal anfangen soll, soweit es kommt; nach gewisser Zeit (wie lange, hängt vom Kind ab) zurückkommen und den Rest mit dem Pat. zusammen machen

Manchmal klappt das sogar schon beim ersten Mal. Meistens sind genau die Kinder, die sich selbst versorgen könnten, aber Aufmerksamkeit beanspruchen wollen, diejenigen, die am schlechtesten warten können. Wenn es ihnen zu lange dauert, bis eine Pflegekraft kommt, machen sie es in der Zwischenzeit dann doch alleine. Die ganze Zeit alleine im Bad zu sitzen ist ja auch ziemlich langweilig, und Aufmerksamkeit bekommt man dadurch auch nicht. Also lieber schnell fertig machen und nachher sagen, dass man es doch alleine geschafft hat, obwohl man es sich gar nicht zugetraut hätte.:mryellow: Und wenn es nicht beim ersten Mal klappt, machen wir das einfach weiter und dehnen die Zeitspanne bis zum Zurückkommen weiter aus, so dass das Kind immer mehr selbst macht.

Klingt schon ganz schön gemein, wenn man das so liest. Ich weiß auch nicht, ob es bei Erwachsenen funktionieren würde und bei psychisch erkrankten Erwachsenen wahrscheinlich schonmal gar nicht. Aber bei unseren Kiddies ist es eine relativ elegante Lösung. Oft ist es ja so, dass die Kinder irgendwann mal damit anfangen, sich nicht selbst versorgen zu "können", weil sie damit Aufmerksamkeit und Zuwendung bekommen möchten. Und irgendwann wissen sie dann nicht mehr, wie sie da wieder rauskommen sollen. Dafür ist die Methode nicht schlecht. Denn indem wir fragen, welche Hilfe benötigt wird und auch damit anfangen, diese zu geben, signalisieren wir dem Kind, dass es ernstgenommen wird. Indem wir sagen, es soll ruhig schon anfangen, machen wir deutlich, dass wir ihm zutrauen, die Tätigkeit teilweise durchzuführen. Und indem wir die Zeitspanne, die das Kind alleine bleibt weiter ausdehnen, kann das Kind immer mehr selbst machen, ohne dabei "sein Gesicht zu verlieren", weil es das vor sich selbst und den anderen Beteiligten als Therapiefortschritt bezeichnen kann.

Wichtig ist nur, parallel dazu eine andere Möglichkeit zu finden, dem entsprechenden Pat. Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Denn sonst dreht man sich im Kreis. Die o.g. Problematik ist ja aus einem subjektiv empfundenen Mangel an Aufmerksamkeit entstanden. Wenn ich also meinem Pat. seine "Strategie", um Aufmerksamkeit zu bekommen, wegnehme, wird sich (bewusst oder unbewusst) eine andere Problematik einstellen, die das gleiche Ziel verfolgt. Das ist natürlich nicht der Sinn der Sache. Dem muss man gezielt entgegensteuern.

Aber wie gesagt, ich weiß nicht, ob man überhaupt irgendetwas davon auf Erwachsene übertragen kann.
 
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Den vorletzten Abschnitt (wichtig ist nur...) finde ich schwierig umzusetzen. Die Patienten sind die Experten für exakt den Bereich, u.U. seit Jahrzehnten (anders als die Kinder) darin geübt, genau da anzusetzen wo es zieht. Dazu kommt ja gerade, dass das Thema Essen DER zentrale Bereich der Kontrolle ist. So mal geschwind, grad im Akutbereich ITS (korrekt?), für eine i.d.R. kurze Zeit? Ablenkung ist sehr schwer, der Radius ist ja extrem eingeschränkt.
Psychiater - ist mit an Bord? Psychologe verfügbar?
Psychiater - klappt inzwischen gut. Psychologe - nicht.
Essen - lässt es zu - via Magensonde gemeint, dual, TPE? Was das Ziel ist, hängt ja vom IST-Zustand ab.
Jemand mit maximalem Untergewicht (evtl. auch Organversagen, drohendem?) - der muss erst mal mit dem Gewicht (nicht Ödemen) hoch und stabilisiert werden - oder?
Keine Ahnung wie eure Küche ist - meine ist be-scheiden. Da bekommst keine Lust etwas zu probieren.

In Einzelfällen in der Somatik, definitiv in der Psychiatrie bleibt der Punkt dass sich keiner im interdisziplinären Team ausspielen lässt.
Grenzsetzungen müssen ausgelotet werden und auch besprochen und festgehalten werden, die dann alle umsetzen. Kleine Schritten. Wenn überhaupt. Meine Zweifel bleiben, ob des Expertenstatus des Betreffenden. Sowie den Umständen der Örtlichkeit, dass die Akutsomatik eben nicht darauf ausgelegt ist, die bereits lange bestehenden Probleme anzugehen, sondern "nur" den (....) reduzierten Akutzustand zu stabilisieren. Ab dem Punkt x - Verlegung in die Psychiatrie, baldmöglichst.

Wenn jemand mehr tun könnte...aber es (vielleicht auch körperlich noch) nicht schafft, nicht selbst aktiv sein möchte (weil der Kopf noch nicht frei dafür ist)...
Hm, ist mir egal aus WELCHEM Grund die Einschränkung in der Selbstfürsorge gerade ein Thema ist.
Ich seh was geht, was ist mir wichtig, was für den Patienten. Jeden Tag von vorne. Wenn das bedeutet, am Anfang alles zu übernehmen ist das halt so. Da hast Du doch ein berufliches Gespür dafür entwickelt da eine Einschätzung vorzunehmen, kannst auch mal kleine Dinge ausprobieren. Muss ich noch die Mundpflege selbst durchführen, die Lippen eincremen.. kann sie nicht schon selbst die Zähne putzen.
Wofür habe ich Zeit/ die Möglichkeiten... kann ich mich 1/2h raus nehmen um in Erfahrung zu bringen, wo ich ansetzen kann, motivieren, aktivieren? Ohne dass ständig jemand stört, ich unterbrechen muss.

Dazu gehört auch dass sehr gut dokumentiert wird.
Ich scheue keine langen Berichte :-).
Mit der elektronischen Kurve - habe ich allerdings auch Platz ohne Ende.

Keine Ahnung - ist das die richtige Richtung, oder weit davon entfernt? Mal sehen...

Wir hatten seitdem wenigsten 1 weitere Patientin. Sie hat sich was warmes mitbringen lassen, Freund hat sich gefreut und ich - logisch auch - und dann hat sie NICHTS davon zu sich genommen, nicht einen kleinen Krümel.
Angebote, mehr kannst bei Verweigerung (?) nicht machen.

Literatur - habe ich keine.
 
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Ich kenne zumindest dieses Patientenklientel (wenn auch zumeist deutlich jünger) von IMC. So eine komplexe Situation habe ich in dem Zusammenhang aber nie erlebt. Ich hätte wahrscheinlich auch viel darüber gegrübelt, was "besser" ist für die Patientin... In meinem damaligen Haus war es so, dass die Ärzte der Psychosomatik mitbetreut haben. Die waren täglich manchmal auch mehrfach da. Manche waren für Fragen von uns wirklich sehr zugänglich, das hat es uns leichter gemacht
 

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