Hallo sandyrosita,
nun hast du schon ziemlich viele Antworten in ziemlich kurzer Zeit erhalten, das ist doch was! Hab da auch noch was zu erzählen:
Ich möchte ein Beispiel aufgreifen, das ich gerade sehr intensiv auf Station erlebe:
Stell dir vor, da ist ein Patient, knapp 60 Jahre jung, im Kopf absolut beweglich, nur körperlich nicht, postoperativ eine Sepsis, die ein Multiorganversagen incl. Beatmungspflichtigkeit und in der Folge eine Criticall Illness Neuropathie ausgelöst hat, mit der er vor 6 (!) Monaten bei uns in der neurologischen Reha aufschlug. Nun ist er dialysepflichtig, hat ein Ileostoma, eine große postoperative Wundheilungsstörung, mehrere Dekubiti, eine Fistel mit unbekanntem Ursprung und MRSA dazu. Mit dieser Krankengeschichte verbringt er inzwischen 11 (!) Monate in verschiedenen Krankenhäusern und ist verständlicherweise hospitalisiert. Das nur zur Einstimmung, ich komme noch zum Thema.
Dieser Patient liegt in meiner Bezugspflegegruppe, er macht immer mal wieder Ausflüge wegen diverser Komplikationen ins nahe gelegene Akuthaus, und fällt sein Name, stöhnen viele Kollegen schon: Nicht der schon wieder! Wann wird der denn endlich entlassen! Ich kann den nicht mehr sehen.
Am Anfang der Ausbildung kannst du solche Gedanken vielleicht nicht gleich nachvollziehen. Das konnte ich damals auch nicht. Ich erzähle das auch nur deshalb so genau, weil es für mich ein Paradebeispiel dafür ist, woran Gespräche - Kommunikation zwischen Pflege und Patienten sowie Angehörigen - scheitern.
Denn durch die Hospitalisierung war er über Monate hinweg wirklich sehr, sehr schwierig, klingelte tags und nachts sehr engmaschig, verlangte scheinbar Dinge, die er selber hätte erledigen können, wir waren genervt, er hatte verständlicherweise Angst und Langeweile und Überdruss von diesen verd... Klinikaufenthalten, ihm durchaus bewussten Komplikationen, usw. ...
Das eigentliche Problem ist aber, dass er selber hin und her gerissen ist zwischen dem Wunsch, endlich wieder zu Hause zu sein (da die Ehefrau aktiv mitpflegt und er gute Fortschritte macht, liegt das trotz aller Probleme durchaus im Bereich des Möglichen), dort wieder "Normalität" zu leben und der Angst vor eben genau der Situation, zu Hause vielleicht doch nicht den Anforderungen, die der Alltag an ihn und seine Frau (die inzwischen ebenso hospitalisiert ist) stellt, gewachsen zu sein, denn - wie bereits geschildert - holen ihn immer wieder kritische Komplikationen ein.
So, nun zu deiner Frage:
Was rede ich mit einem Patienten?
Für Kurzzeitpatienten mit guter Prognose ist das Spektrum groß. Sie fühlen sich nur vorübergehend aus ihrer Alltagssituation und ihrem normalen Leben "verbannt" und können das meist sehr gut aus eigener Kraft ausgleichen. Hier kann man alles aufgreifen, was der Moment so anbietet. Ist fast so, als würdest du ihn beim Einkaufen im Supermarkt zufällig treffen, - na gut, nur fast, ... jedenfalls kann man gut anknüpfen und es ist deswegen so relativ leicht ins Gespräch zu kommen, weil eben das Gefälle nicht so groß ist.
Für Langzeitpatienten bzw. Altenheimbewohner oder solche mit miserabler Prognose stellt sich die Situation schon anders dar. Hier muss man sich klar darüber sein, dass diese Menschen aus ihrem normalen Alltag mit allem, was ihnen lieb und wichtig war und ist, buchstäblich herausgerissen worden sind. Das ist ein echter Einbruch, ausgeprägte Belastungssituation und kann die ganze Kaskade einer klassischen Trauerreaktion auslösen.
Hole ihn da ab, wo er im Leben gerade steht.
Das kann besonders bei älteren Patienten unter Umständen etwas einfacher sein, wenn man selber schon verschiedene Lebenssituationen und -alter durchlebt hat. Muss aber nicht sein, aber "Oma" u.ä. ist absolut obsolet. Indiskutabel.
Sieh ihn dir an und reagiere auf offensichtliche mimische und gestische Signale.
Ist er noch neugierig, oder ängstlich, macht er "zu" oder sucht er Kontakt?
Frag die Patienten, was sie als Beruf u/o Hobby machen bzw. gemacht haben.
Das ist eine meiner Erfahrung nach eine sehr gute Möglichkeit, schnell und zuverlässig an ihm wichtige Interessenbereiche heran zu kommen. Hast du da was konkretes, lässt sich ein Strauß von Themen anschließen, die du unter Umständen bis Dienstende mit ihm genussvoll behandeln könntest.
Reagiere spontan auf Radio- oder Fernsehsendungen, die er verfolgt. Eigentlich ist alles als Anknüpfungspunkt geeignet, es will nur erkannt und aufgegriffen werden.
Und jetzt kommt es:
Diese Gespräche, auf die der Patient mehr oder weniger angewiesen ist, unddie dir zur Zeit noch Kopfschmerzen bereiten, sind für den Patienten im Krankenhaus ein geistiger Ausflug in seine Normalität. Wenn auch sein Leben zur Zeit im Krankenhaus stattfindet, so kannst du ihm doch helfen, wenigstens mit den Gedanken am normalen Leben teilzunehmen und ihn spüren zu lassen, dass er als ganze Person und nicht nur als ein Kranker unter vielen wahrgenommen wird.
Ich fürchte, ich habe dich jetzt zugequatscht, aber du hast ja gefragt ...
Jetzt bin ich auch schon fertig und doch ein bisschen gespannt, ob dir das weiterhilft oder nicht,
liebe Grüße von
Berthild
PS: Natürlich hast du seine dringendsten Fragen nach dem Stationsablauf und alles, was für den Krankenhausalltag so wissen muss, vorher beantwortet ...