Jetzt ging es im Ursprungsthread ja um häusliche Pflege. Das heißt, ich gehe davon aus, dass die Patientin keinen venösen Zugang liegen hat.
Und im nicht-stationären Bereich ist i.v.-Medikation ja auch nicht unbedingt die erste Wahl bei Krampfanfällen. Kann schließlich nicht jeder einfach so einen Zugang legen. Bis da dann der RTW da ist, hat der Patient dann schonmal bestimmt 5min gekrampft.
Ich arbeite in der Neuropädiatrie, da sind Krampfanfälle an der Tagesordnung, allerdings: ich arbeite mit Kindern! Da kann manches anders sein als bei Erwachsenen.
Unsere Bedarfsmedikamente:
Nicht-i.v.:
- Midazolam buccal (Buccolam®) 2,5 / 5 / 7,5 / 10mg --> bei fast allen Patienten die 1. Wahl; Problem: ist offiziell nur als Bedarfsmedikation für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren zugelassen; bei uns erhalten es auch volljährige Patienten mit Erfolg, vor allem, wenn es "schon immer" ihr Bedarfsmedikament war und gut gewirkt hat, aber es ist wahrscheinlich nicht so einfach, einen niedergelassenen Neurologen zu finden, der einem alten Menschen ein Medikament verschreibt, das nur für Kinder zugelassen ist
- Chloralhydrat (rektal oder oral) in individueller Dosierung (ist eine 10 oder 20%ige Lösung, die von uns aufgezogen wird) --> seltener 1. Wahl, i.d.R. nur bei Säuglingen oder jungen Kleinkindern, die zu leicht für Buccolam sind
- Lorazepam buccal (Tavor expidet®) 1,0 /2,5mg --> eher selten, da die Wirkung relativ spät eintritt; wird (bei uns!) daher nur eingesetzt, um Serien zu unterbrechen und auch eigentlich so gut wie nur für (hauptsächlich einfach) fokale Anfälle; für Grand-Mal-Anfälle eher nicht so geeignet; es gibt aber auch Patienten, bei denen es sehr schnell wirkt und als Mittel der 1. Wahl verwendet werden kann, das ist sehr individuell
- Diazepam rektal 5 / 10mg --> selten 1. Wahl, meistens eher 2. Wahl, falls der Anfall nach Gabe der ersten Bedarfsmedikation nicht sistiert; wird auch hauptsächlich bei kleinen Kindern gegeben; Begründung: in der Regel ist es dem Buccolam nicht überlegen, aber in Bezug auf soziale und zeitliche Aspekte hat die buccale Applikation wesentliche Vorteile gegenüber der rektalen
i.v.:
- Clonazepam (Rivotril®)
- Midazolam
- Lorazepam (Tavor®)
- Diazepam
- Phenobarbital (Luminal®)
- Valproinsäure (z.B. Ergenyl®)
- sicherlich noch einige andere, die mir aber gerade nicht einfallen, weil sie seltener verwendet werden
Mit Altersepilepsie kenne ich mich natürlich überhaupt nicht aus. Aber bei uns sind sehr viele verschiedene Epilepsieformen vertreten, wodurch wir auch viele verschiedene Medikamente zur Dauermedikation kennen. "Kleine" Auswahl von dem, was mir ganz spontan einfällt:
- Levetiracetam (Keppra®)
- Oxcarbazepin (Apydan®, Timox®, Trileptal®)
- Brivaracetam (Briviact®)
- Carbamazepin (Tegretal®)
- Natriumvalproat/Valproinsäure (Orfiril®, Ergenyl®, Depakine®)
- Clobazam (Frisium®)
- Zonisamid (Zonegran®)
- Perampanel (Fycompa®)
- Lamotrigin (Lamictal®)
- Phenytoin (Phenhydan®)
- Vigabatrin (Sabril®)
- Topiramat (Topamax®)
- Lacosamid (Vimpat®)
- Ethosuximid (Petnidan®)
- Phenobarbital (Luminal®)
- Felbamat (Taloxa®)
- Pregabalin (Lyrica®, Pregabador®) und Gabapentin geben wir zwar auch, aber eigentlich weniger als Antiepileptika, sondern eher bei neuropathischen Schmerzen
Manche davon gibt es sowohl als "normale" als auch als Retard-Präparat, z.B. Oxcarbazepin (Retard: Apydan extent®) und Natriumvalproat/Valproinsäure (Retard: Orfiril long®/Ergenyl chrono®).
Einige werden zur Monotherapie oder zur Kombinationstherapie verwendet, andere nur zur Kombinationstherapie.
Ich wüsste jetzt auch von keinem davon, dass es bei Erwachsenen nicht verabreicht werden darf.
Also eine Bedarfsmedikation sollte der behandelnde Neurologe schon verschreiben, und die sollte dann eben auch verfügbar sein.
Was die Dauermedikation angeht, stimme ich weitestgehend mit
@Jillian überein. Blindes Aufdosieren vom Levetiracetam alleine bringt nicht viel. Erstmal sicherstellen, dass die Medikamentengabe möglichst genau nach Uhrzeit erfolgt (im häuslichen Bereich bei einer dementen Patientin sicherlich sehr schwierig); dann Spiegelkontrolle (Talspiegel, morgens nüchtern vor Medigabe); dann anhand des Spiegels entscheiden, wie weiter mediziert wird: Spiegel niedrig --> Levetiracetam erhöhen / Spiegel hoch (aber im therapeutischen Bereich) --> umstellen oder was zweites reinnehmen / Spiegel höher als therapeutischer Bereich --> umstellen oder reduzieren und kombinieren; Auswahl dafür gibt es ja genug. Aber bei einem so "kooperativen" Neurologen...
[...] da ein Krampfanfall so schnell wie möglich unterbrochen werden sollte!
"so schnell wie möglich" kann ich gut nachvollziehen, ist aber relativ und sicherlich situationsabhängig. Ich kann mir gut vorstellen, dass beispielsweise im OP oder ähnlichen Bereichen jeder Krampf sofort unterbrochen werden muss.
Das ist aber nicht immer und überall der Fall. Bei vielen unserer Patienten treten häufig selbstlimitierende Krämpfe auf, die man für einen gewissen Zeitraum tolerieren kann. Das hört sich jetzt komisch an, aber es wäre zu weit off topic, die einzelnen Anfallsformen und das Procedere genauer zu erläutern, zumal das sehr individuell vom einzelnen Patienten abhängt.