Ethisches Problem - ja oder nein?

Nalo

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huhu zusammen,
ich wusste nicht ob das die richtige sparte ist ,nunja ich fang einfach mal an.
ich arbeite seit 2009 auf einer interdisziplinären intensivstation. gekoppelt sind innere und chirurgie, mit all ihren facetten von unfallchir. bis hin zur tumorchirurgie. der job macht mir spaß und ich möchte nirgends anders sein, das vorweg :up:
ich weiß nicht, ob es allen in der sparte so geht, dass man ab und an einen patienten auf station hat, der einem nicht aus dem kopf geht, der einen auch zu hause beschäftigt.
wir haben seit nunmehr ca. 5 monaten einen solchen patienten. nennen wir ihn Herr XY. XY hatte ursprünglich ein ösophagus ca, das salamitechnisch entferntwurde, erst ö.resektion, dann magenhochzug, dann magenentfernung, dünndarmanastomosen, dünndarmteilresektionen etc etc... nunja dies überlebte er alles vor 5 jahren und kam nun vor ca 5 monaten mit erneuten beschwerden zu uns. was genau alles bei ihm gemacht wurde kann ich nach gefühlten 100 second looks nicht sagen. ich glaube realistisch gesehen sind es ca. 20-25 operationen seit er bei uns liegt. status momentan: dünndarmpatch an einer stelle undicht, esbl besiedelung quasi im ganzen körper, platzbauch kurz vor dem aufreißen, schlürfdrainagen links und rechts im bauch, die den "dünndarmsaft" absaugen sollen um den bauch keimarm zu halten. literweise flüssigkeitsverlust über die bauchwunden. der patient ist septisch, hoch katecholaminpflichtig, beatmet ( unter soweit guten gasen) schon seit längerem. mitlerweile steht er kurz vor einem ARDS. das wäre alles für uns pflegekräfte hal so schlimm...das ist der job. jetzt kommt das aber:
die frau von XY kämpft wie eine löwin um ihn. sie hofft in seinem sinne zu handeln, denn vor 5 jahren war er schon einmal aufgegeben, des öfteren und hat es geschafft - war wieder fit für 5 jahre. grundtenor ist:
der arme mann leidet offensichtlich extremst, wird (sind wir mal realistisch) nie wieder ein einigermaßen normales leben führen, sollte er dies alles überstehen. ( ich vergaß..nach dem letzten septischen schub, ja er hatte schon mehrere seit er bei uns ist, waren seine füße aufgrund der katecholamine schwarz geworden...) unsere chirurgen machen der frau immer und immer und immerwieder neue hoffnung, es gäbe ja noch eine kleine chance dass er es doch schafft. jetzt werden einige denken - schaltet doch die ethikkommission ein: naja unser chefchirurg ist vorsitzender dieser kommision - noch fragen?
keiner von uns, inkl mir. geht noch freiwilig in dieses zimmer. die stimmung ist erdrückend, die frau immer präsent ( verständlicherweise) sie wacht über all unsere handlungen. beim verbandswechsel drehen wir uns angewidert zur seite, wenn der arzt mit dem absaugkatheter durch die drains geht und unter der bauchdenke ( sichtbar durch die klaffenden stellen ) mit der absauge den kot absaugt... ich finde es unfassbar was der menschliche körper alles aushält.
der esbl keim den herr XY hat ist ein sehr seltener, nur 3 mal gemeldet in deutschland, da eigtl. ein ausländischer keim, und gegen quasi alles resistent.
zu alledem kommt, dass wir herrn XY auch wach und ansprechbar und halbwegs fit kennen ( er hatte auch gute phasen bei uns ) und er ist ein total netter und positiver kerl. einer, den man einfach mag sobald man ihn kennenlernt.
das macht das alles umso schwieriger. ich für meinen teil werde mich zukünftig weigern ihn zu betreuen, um meiner selbst willen. nach nur einem dienst träume ich tagelang von ihm und seinem gruselkabinettbauch.
seht ihr das genauso, dass hier ein ethisches problem vorliegt? katecholamine werden vorerst ohne grenze nach oben erhöht, falls notwendig. in den op geht er nur wegen seinem sonderbaren keim nciht mehr, die eingriffe werden weitestgehend steril nun im patientenzimmer durchgeführt.
tja ein langer test, zu einem fall, der mich tief bewegt. kann jemand einen rat geben was wir machen sollen ?
 
Fassen wir zusammen: Der Patient ist multimorbide, im Augenblick nicht selbst entscheidungsfähig. Eine Patientenverfügung für diesen Fall existiert Eures Wissens nicht. Die Ehefrau hat die Betreuung und will, dass alles Menschenmögliche getan wird. Die Ärzte oder zumindest ein Teil davon ist willens, den Patienten weiter zu behandeln. Ihr selbst habt große Probleme damit, den Patienten weiter zu betreuen.

Die Ethikkommission kann Euch hier nicht viel helfen; sie hat nur beratende Funktion und die Betreuerin denkt, sie handele nach dem Willen des Patienten (und sie kennt ihren Mann länger und besser als ihr. Ihr seht nur den physischen Zustand realistischer). Meines Erachtens müsst Ihr betreut werden, damit Ihr die Situation besser verkraftet.

Seid Ihr Euch im Team darüber einig? Dann wendet Euch an die Leitung und bittet um Unterstützung durch die Supervision o. ä.
 
also eine verfügung liegt nicht vor, das ist korrekt. allerdingst ist die frau, "nur" die frau und nicht sein rechtlicher vormund oder betreuerin. was im konkreten fall eigentlich auch keine rolle spielt, da sie trotz alledem geiwssen entscheidungsgewalt hat.
ich denke das problem bei der ganzen sache ist, wie du schreibst die realistische sicht der fakten. der mann wird sterben . punkt. was wir machen ist in meinen augen nicht menschenwürdig.diese endlose quälerei. und noch eine op , und noch ein eingriff und weiter gehts... dabei auch noch aktiv mitzuwirken - damit habe ich ein problem. ich bin krankenschwester geworden aus anderen gründen , aber gewiss nicht um jemanden so offensichtlich zu quälen. der mann verpackt dosen, es ist der wahsinn. hier ein kleiner einblick: durogesic pflaster 75 (mü ..damn wo is das zeichen^^ ) propofol perfusor auf 15 ml /h , dormicum p. 1mg / ml auf 8 ml /h, sufentanil 0,25 mg / 50 ml auf 8 ml / h , dazu läuft arterenol PUR und ncoh viele andere medis , wies halt so beim sepsisschema ist.und trotz alledem hat der mann schmerzen sobald man ihn berührt. wir alle haben ein problem damit, dass die behandelnden chirurgen am narzissmus kratzen und sich nciht eingestehen können , dass sie mit ihrem latein am ende sind. verstehst du wo mein problem liegt? ich maße mir nicht an zu entscheiden, ob das lebenswertes leben ist etc. fakt ist, dass der mann sterben wird ob über kurz oder etwas länger. mir persönlich bereitet nur das WIE und der weg dorthin große probleme. weißt du was ich meine?
 
und während dem schreiben kommen mir die tränen. ich glaube das ist ausdruck genug, wie belastend das alles ist. und ich bin nicht die einzige der es so geht. im team sind wir uns einig. auch unsere stationsleitung steht hinter uns inkl. pdl. aber wir haben keine handhabe mit diesem thema irgendwie in eine vernünfitge diskussion zu kommen.
 
jetzt werden einige denken - schaltet doch die ethikkommission ein: naja unser chefchirurg ist vorsitzender dieser kommision - noch fragen?
?
Ja: Und weil er Chefchirug ist , sprichst Du ihm pauschal eine ethische Kompetenz ab?
 
nein , so war das nicht gemeint. unser chefchirurg selbst scheut sich davor, mit der frau tacheles zu reden und redet um den heißen brei. man muss wissen, dass er einen naja, ich nenn ist nur beispielhaft. wir hatten schon mehrere solcher fälle. an wen soll man sich bei der kommission wenden, wenn der vorsitzende derjenige ist, der dieses ganze leiden vorantreibt?
 
Ich verstehe absolut was Du meinst.

Wenn der Patient schlecht mit den Schmerzen eingestellt ist, müsst Ihr darauf drängen, dass das verbessert wird. Bei uns im Haus würde man konsiliarisch die Anästhesisten hinzuziehen. Durogesic 75 Mikrogramm pro Stunde ist ein Witz, verglichen mit den Dosen meiner Palliativpatienten. Und in diesem Stadium sind transdermale Pflaster eh nicht besonders hilfreich - zu ungenaue Aufnahme und keine Möglichkeit, Schmerzspitzen abzufangen.

Aber wenn Ihr keinen Arzt habt, der die Ehefrau mit aufklärt, dann wird sie Euch möglicherweise nicht glauben, wenn Ihr ihr Eure Sicht der Dinge schildert. Und wenn Ihr dieses nicht ändern könnt - ich kann nicht beurteilen, ob dies tatsächlich der Fall ist - dann geht es darum, dass Ihr besser mit dieser Situation fertig werden. Supervision könnte helfen.
 
Im Rahmen eines etischen Fallgespräches besteht doch durchaus die Möglichkeit, jemanden für eine andere Sicht- und Handlungsweise zu sensibilisieren...
 
Wenn die Situation so ist, könntet Ihr aber doch die Ethikkommission einschalten. Der Vorsitzende entscheidet da nicht im Alleingang, die beraten sich gegenseitig. Und ein Blick von außen kann ganz hilfreich sein. Außerdem gibt's dann nicht den Rollenkonflikt Operateur - Ethikberater.

Stoßt das an. Was hättet Ihr denn zu verlieren?
 
ja, so siehts aus. die frau ist nicht ehrlich aufgeklärt. keiner will sich den schuh anziehen und den stein des anstoßes geben, dass die therapie eingefroren wird. wobei man auch sagen muss, sie ist eine typische verdrängerin. einer unserer chirurgen sagte zu ihr, dass er nicht glaubt, dass der mann es schaffen wird, aber momentan ist der bauch gut drainiert. sie widerum machte daraus: ah Dr. XYZ sagte, der bauch sieht momentan gut aus, also hat mein mann eine realistische chance. es ist wirklich schwer die richtigen worte zu finden. dass sie extremst verzweifelt ist können allerdings alle von uns gut verstehen.

unsere abteilung ist unter leitung der anästhesie.

wär der fall klar, und herr xy würde palliativ behandelt werden, ja dann sähe es anders aus mit der medikation, aber es läuft alles unter kurativem eingriff etc...
 
unser stationsarzt hat uns heute morgen noch davon abgeraten die kommission einzuschalten. er meinte wir werden uns die finger verbrennen. beim letzten beispielhaften fall wurde das pflegepersonal so dargestellt, als würden wir jeden schwer kranken patienten sterben lassen wollen. harte worte.
der chefarzt selbst meinte, wir als pflegepersonal könnten die situation nicht richtig einschätzen so nach dem motto : ihr habt doch eh alle keine ahnung.
dass der patient damals ein paar tage später trotz "guter prognose " unter maximaltherapie verstorben ist, und die angehörigen aus allen wolken gefallen sind, denn es war ja alles gut - das kam nicht zur sprache.
 
Wenn ihr die Kommission nicht einschaltet, bleibt die Situation so, wie sie ist. Das muss Euch klar sein. Was ist Euch lieber: eine Konfrontation mit der Kommission oder Euer gequälter Patient? Von allein wird sich gar nichts ändern, bis der Patient verstirbt.

Das ist kein ungewöhnliches Verhalten von Angehörigen. Da muss man am Ball bleiben, die haben einen extrem guten Verdrängungsmechanismus (Patienten können das ebenso haben.).

Gibt's noch weitere Angehörige? Wir holen da meist die ganze Familie ins Boot. Darunter ist meistens mindestens einer, der die ganze Sache etwas realistischer sehen kann. Durch medizinische Kenntnisse oder ähnliches.
 
leider nein, die beiden haben nur sich. sonst niemanden. das ist mitunter auch der grund warum sie so extremst kämpft.
 
Dann habt Ihr nur die Wahl: Kommission einschalten, um etwas an der Situation zu ändern oder: Unterstützungsangebote einfordern, um die Situation zu ertragen.

Wenn es außer den Kommissionsmitgliedern offensichtlich niemanden gibt, der es wagt, mit der Frau Klartext zu reden, und wenn die Einschätzung der Ärzte offensichtlich so sehr von der Euren abweicht, dann bleiben nur diese beiden Varianten, was Drittes gibt's nicht.
 
da hast du wohl recht. ich denke, da wir bei den ärzten auf granit stoßen werden bleibt uns nur überig, damit umzugehen. ich weiß nicht , ob ich übertreibe . aber ich persönlich KANN diesen patienten nicht mehr betreuen. ich habe zu keinem zeitpunkt der schicht das gefühl, dass ich ihm etwas gutes tue, oder ihm linderung verschaffe. mein problem ist, dass ich zu dem zeitpunkt, als er noch einigermaßen gut zurecht und wach war, angefangen habe den menschen herrn XY wirklich zu mögen. ein netter kerl eben. manchmal hat man das einfach denke ich. meine kollegen stecken in einem ähnlichen dilemma.
welche möglichkeiten zur unterstützung für uns gibt es denn ?
 
da stellt sich mir in dem moment auch die frage, ist es unprofessionell, bei einem pat. der uns schon so lange begleitet ( nun ja schon ca. 5 monate ) , dass man da ein wenig der distanz einbüßt? man lernt so jemanden über so einen langen zeitraum ja auch ein wenig kennen. und schließlich sind wir keine maschinen oder?
 
Welche institutionellen Unterstützungsmöglichkeiten Ihr habt (durch Supervision o.ä.) musst Du vor Ort erfragen. Ich weiß nicht, was Dein AG da anbietet.

Privat kannst Du Dir natürlich selbst Ausgleichsmöglichkeiten suchen. Von Professioneller Betreuung über Entspannungsübungen bis hin zu Sport machen, Kopf freikriegen, mit Freunden ausgehen...

Es wird immer wieder Patienten geben, die unsere Barrieren durchbrechen und uns an die Nieren gehen. Ist völlig normal und auch nicht schlimm, solange es kein bleibendes Trauma auslöst.
 
Wenn Du tatsächlich tagelang von ihm träumst, würde ich mich krank schreiben lassen, denn das fällt für mich schon unter traumatisiert und da hilft auch keine Entspannungsübung, denke ich.
Da hilft nur: Raus aus der Situation.
 
Ups Bachstelze, nun schütte mal nicht gleich das Kind mit dem Bade aus....Vielleicht lässt sich ein vorrübergehender interner Wechsel erwirken. Jeder AG würde einer solchen Alternative bestimmt gerne zustimmen, wenn er anderfalls eine Krankmeldung befürchten muss...
 
@Hypertone Krise - Ja? Meinst Du wirklich?

Oder bist Du dann für den Rest Deiner Zeit diejenige, die nicht belastbar ist und rumheult, weil ihr ein Patient nicht passt?

Ich weiß nicht, was mein Chef sagen würde, wenn ich sagen würde, das mich eine Situation auf der Station maximal stresst. Die Frage : "Fühlen Sie sich bei der Arbeit überfordert?" , ist auch selten positiv und hilfsbereit gemeint. Und um Versetzung zu bitten, wenn ansonsten alles stimmt, ist auch ziemlich riskant.

Viel Rückhalt, außer ein bisschen wenig hilfreiches Puschi-Puschi (wir haben ja Verständnis für Ihre Situation) scheint ja von der Leitungsebene nicht zu kommen.
 

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