Zur Analyse vielleicht auch noch folgender Ansatz:
Herzinfarkt ist normalerweise ein plötzliches Ereignis - der Patient wird aus seiner normalen Lebensphase/sphäre gerissen und nimmt das unterschiedlich wahr, erklärt das unterschiedlich und reagiert unterschiedlich darauf. Die gezielte Nachfrage in diese drei Richtungen gibt schon einen guten Überblick über den vom Patienten angestrebten Verarbeitungsweg, und hilft, zu beurteilen, ob es ein Problem dabei gibt oder vielleicht geben wird.
Allerdings will ich auch ermahnen, Patienten nicht mit fachlichen Erklärungen helfen zu wollen - die meisten Menschen verstehen die Zusammenhänge vielleicht, aber sie können sich für IHR Leben keinen Reim drauf machen.
Viele Patienten brauchen zunächst einen "Schuldigen" (außer sich selbst), um die Situation erst einmal von sich zu weisen. Auch das "Verharmlosen" ist eine übliche Strategie, um das Übel erst einmal auf Distanz zu kriegen. Dieses "Distanzieren" kann zu Beginn sehr hilfreich sein, später aber auch hinderlich.
Viele Patienten macht erst der Herzinfarkt auf sich selbst wieder aufmerksam, und das paßt ihnen oft gar nicht. Viele hielten sich immer für gesund und leistungsfähig, für unsterblich vielleicht - und bekommen schlagartig eine Grenze gezogen, wie einen scharfen Strich in ihrem Lebensplan. Manche finden das gut, manche erschrecken sich, manche bekommen Angst, manche werden zornig. Aber alle müssen sich mit dieser Grenze beschäftigen und sie irgendwie in ihr Leben integrieren.
Einige wenige Patienten aber haben den Infarkt auch erwartet, wie einen alten Freund, der ihnen aus der Klemme ihres Lebens hilft: schenkt er ihnen doch schlagartig Aufmerksamkeit und Zuwendung, Rücksicht und Mitleid - was ihnen vorher im Leben fehlte. Für andere wieder geht durch den Infarkt die soziale Position unter: sie werden weniger respektiert, von "anstrengenden" oder "wichtigen" Sachen ausgeschlossen, quasi als "behindert" oder vielmehr als "eingeschränkt" behandelt, obwohl sie das gar nicht sind: sie müssen um ihre Stellung kämpfen oder sogar ganz neue Ziele suchen, manchmal sogar ihr ganzes soziales Netz umbauen. Das kann sehr schwierig sein und kostet nicht wenige das Leben (!).
Für hilfreich (quasi als Standardmaßnahme) halte ich generell die Hilfestellung zur Reflexion des Geschehens, d.h. der Patient soll hierbei berichten, wie er seine Situation mit dem Herzinfarkt nun einschätzt, woher der Infarkt kam, warum es gerade ihn getroffen hat, welche Konsequenzen sich für ihn daraus ergeben, wie er die Reaktionen seiner Angehörigen wahrnimmt und einschätzt, welche _konkreten_ Sorgen er für die nahe Zukunft hat.
Darüber hinaus ist es ein guter Weg, dringende Probleme (der Patient wurde schließlich mitten aus seinem Alltag gerissen) für den Patienten lösbar zu machen, d.h. z.B. die Möglichkeit zum Telefonieren sollte gegeben sein, evtl. kann man auch den einen oder anderen Sachverhalt stellvertretend für den Patienten regeln (z.B. war einmal für eine ältere Dame mit akutem Infarkt nichts wichtiger, als die "Essen-Auf-Rädern"-Lieferung für die kommende Woche abzubestellen - nur wußte sie nicht den Namen und die Nummer des Lieferanten; eine scheinbar harmlose Situation, aber für die Dame sehr quälend und bitter).