Bedrängen der Angehörigen zur Organspende

Sanne3

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Krankenschwester
Hallo!
Ich hätte da mal eine Frage.
Es gibt zwar diverse Threads zur Organentnahme, aber etwas passendes finde ich nicht.

Eine ehemalige Kollegin meines Mannes ist ziemlich verzweifelt.
Ihr Mann, von dem sie seit 8 Jahren im Guten getrennt lebt, wurde vor 6 Tagen mit 47 Jahren, mit einem heftigen Apoplex in der Wohnung liegend vorgefunden.
Er liegt auf einer Intensivstation und wird beatmet, auch sonst zeigt er keinerlei Regungen.
Sie wurde bereits am nächsten Tag bedrängt ihre Einwilligung zu geben die Geräte abzustellen, ansonsten würde er, sollte er überleben ein kompletter Pflegefall werden.
Das kam uns bereits ziemlich suspekt vor.

Heute sollte sie sich dann entgültig entscheiden, denn das EEG zeigte den sogenannten "Hirntod" an.
Mich machte die "Eile" stutzig und mein Mann bestätigte meinen Verdacht, dass es um eine Organentnahme ging, der sie dann heute zustimmen sollte.
Ob sie dem zustimmte weiß ich noch nicht, da sie sehr mitgenommen von den Umständen ist und eben ein absoluter medizinischer Laie.
Ist es wirklich so, dass die Angehörigen dermaßen zu einer Entscheidung bezüglich einer Organentnahme bedrängt werden?
Wie kann man vor einem EEG bereits von einer Abschaltung der Apparaturen sprechen?
Wenn es wirklich so sein sollte, werde ich meinen Organspendeausweiß vernichten.
Allerdings habe ich diese Informationen nur aus "dritter Hand".

Wer hat Ahnung und kann netterweise Auskunft geben?
Wie läuft so etwas normalerweise ab?
Werden die Angehörigen wirklich bedrängt?

Viele Grüße,
Sanne
 
Ich arbeite derzeit auf einer neurochirurgischen Intensivstation und dementpsrechend läuft bei uns viel Hirntoddiagnostik, auch zum Zweck der Organentnahme.
Eine Hirntoddiagnostik stützt sich nicht alleine auf ein EEG.
Schau mal hier:

DSO: Hirntoddiagnostik

da ist das Vorgehen sehr gut erklärt.




Eigentlich sollten die Angehörigen nicht zu dieser Entscheidung gedrängt werden. Zuerst einmal steht der Wille des Patienten im Vordergrund, oft ist darüber leider wenig bekannt, wenn dieser keinen Organspendeausweis besitzt.

Das erste Gespräch mit den Angehörigen findet dann mit den Ärzten unserer Station statt. Wenn diese grundsätzlich zustimmen, folgt ein Gespräch mit einem Arzt der DSO (DSO: Home) Dieser Arzt muss dann aus einer anderen Klinik sein, um "Mauschelei" auszuschliessen. Dieses Vorgehen ist gesetzlich geregelt.

Diese Ärzte nehmen sich sehr viel Zeit und sind sehr gut geschult.

Dass Deine Bekannte dazu gedrängt wurde, die Apparate abstellen zu lassen, ist wahrscheinlich falsch verstanden worden, denn auch bei einem Organspender werden die lebenserhaltenden Funktionen bis zur Organentnahme aufrechterhalten. Auch während der Orgenentnahme ist das so.
Für Angehörige ist diese Siuation oft sehr schwierig - der Patient atmet (wenn auch beatmet), das Herz schlägt und trotzdem soll der geliebte Mensch tot sein?

Hirntoddiagnostik und Organentnahme sind sehr sensible Themen, die Angehörigen befinden sich sowieso schon im absoluten Ausnahmezustand und müssen dann noch eine solch schwierige Entscheidung treffen.

Es tut mir sehr leid, wenn Deine Bekannte das Gefühl hatte, bedrängt worden zu sein. Das sollte nicht sein.
 
Die Angehörigen dürfen keinesfalls genötigt oder unter Druck gesetzt werden. Wenn keine Einwilligung zur Organentnahme gegeben wird, dann kann sie nicht erfolgen. Im Zweifel also immer dagegen entscheiden!
Im Eingangsthread ist auch angesprochen worden, daß der Ausgang derzeit noch ungewiß ist, denn der Verlauf muß nicht zwangsweise tödlich enden. Ich empfehle, zum Thema im Internet zu recherchieren. Da gibt es Diskussionsrunden und fundierte Artikel, auch immer mehr zur Infragestellung der Hirntoddefinition, die ja wie alle Definitionen interessengeleitet ist und seit 1968 auch immer mehr aufgeweicht wird...
Hier ein interessanter Link dazu:
http://www.faz.net/aktuell/wissen/f...gebnis-von-toten-und-sterbenden-12039977.html
 
Dass Deine Bekannte dazu gedrängt wurde, die Apparate abstellen zu lassen, ist wahrscheinlich falsch verstanden worden, denn auch bei einem Organspender werden die lebenserhaltenden Funktionen bis zur Organentnahme aufrechterhalten. Auch während der Orgenentnahme ist das so.

Es ist leider so, daß sich immer mehr Angehörige dieser Situation ausgesetzt sehen. Die Maschinen werden schnell abgeschaltet oder aber,sie werden zum Zweck der Organentnahme noch weiter betrieben. Das könnte durchaus mit den DRG's zu tun haben...
 
Es ist leider so, daß sich immer mehr Angehörige dieser Situation ausgesetzt sehen. Die Maschinen werden schnell abgeschaltet oder aber,sie werden zum Zweck der Organentnahme noch weiter betrieben. Das könnte durchaus mit den DRG's zu tun haben...

Woher beziehst Du dieses Wissen? Ich habe noch nie erlebt, dass vorschnell eine Hirntoddiagnostik lief oder eilig "abgestellt" wurde - und ich habe oft und direkt mit der Materie zu tun.
Oft wird nach dem Empfinden unseres Teams sogar viel zu lange gewartet, bis ein Patient gehen darf - auch wenn er kein Organspender ist.

Ich weiss, dass das Thema Organspende für Dich ein sehr emotionales ist. Dennoch würde ich an dieser Stelle fachliche und fundierte Informationen begrüßen.
 
Ich möchte mich littlesun voll und ganz anschließen!
Ich habe es noch nie erlebt, dass Angehörige bedrängt wurden in dieser Richtung, im Gegenteil.
Mit dem Thema wird bei uns höchst sensibel umgegangen und wenn abgelehnt werden sollte, dann ist das eben so, dafür muss sich bei uns sicher niemand rechtfertigen.

Ja ich weiß, meine Erfahrungen sind nicht repräsentativ, aber auf einer ITS mit Schwerpunkt NCH kommen solche Situationen nicht selten vor.
 
So ist es. Wir sind fast wöchentlich mit dieser Situation konfrontiert und ich habe wirklich noch nie erlebt, dass nicht korrekt uns einfühlsam gehandelt wurde.
 
Daß es bei Euch anders abläuft, freut mich und es zeigt, daß eben doch nicht überall ungut gehandelt wird.
 
Übrigens: Bei einem Menschen, der aufgrund einer Hirnschädugung vermutlich ein schlechtes Coming Out haben und pflegebedürftig sein wird, stellt sich die Frage einer Organentnahme gar nicht. Dies kommt nur bei einem nachweislich hirntoten Menschen in Frage.
 
Ich weiss, dass das Thema Organspende für Dich ein sehr emotionales ist. Dennoch würde ich an dieser Stelle fachliche und fundierte Informationen begrüßen.
Du hast recht. Gerade deshalb stehe ich immer noch voll in der Materie, auch wenn ich nicht mehr in diesem Bereich arbeite. Die Beziehung dazu wird sich nicht mehr ändern. Fachlich fundierte Informationen, die die Alarmglocken schrillen lassen, sind übrigens auch öffentlich zugänglich...
 
Liebe Squaw, das hast Du in einem anderen Thread bereits hinlänglich erörtert.
Hier jedoch wurde nach den eigenen Erfahrungen im Umgang mit Angehörigen gefragt, lass uns als bitte beim Thema bleiben.
 
Nimm es mir nicht übel, aber ich sehe nirgends die Formulierung "eigene Erfahrungen" im Umgang mit Angehörigen. Wo steht das denn?
Sie schrieb: "Wer hat Ahnung und kann netterweise Auskunft geben? Wie läuft so etwas normalerweise ab? Werden die Angehörigen wirklich bedrängt?
Ich habe Ahnung, und gelegentlich werden die Angehörigen bedrängt. Nicht immer und nicht überall, aber es kommt vor. Aber wenn Du möchtest, werde ich hier keinen Kommentar mehr posten, denn darauf läuft es ja hinaus.
 
Sorry Squaw,
aber das
gelegentlich werden die Angehörigen bedrängt. Nicht immer und nicht überall, aber es kommt vor.
hörte sich weiter oben noch etwas anders an. Da schriebst Du eher so, als ob es die Ausnahme wäre wenn Angehörige mal nicht bedrängt werden.
 
Die Angehörigen dürfen keinesfalls genötigt oder unter Druck gesetzt werden. Wenn keine Einwilligung zur Organentnahme gegeben wird, dann kann sie nicht erfolgen.
Das habe ich geschrieben, Blinki. Alles andere hast Du wohl selbst da herein interpretiert. Und weiter unten schrieb ich, daß sich leider immer mehr Angehörige dieser Situation ausgesetzt sehen. Das ist só und dazu stehe ich auch jetzt noch.
Obwohl sich das in letzter Zeit wegen der Skandale deutlich abgeschwächt hat.
 
:hippy::hippy::hippy:
Ich hatte bisher sogar mal das Gefühl, das den Leuten lieber nochmal Näher zu erklären, sodass der Pat. evtl doch zum Organspender wird.

Die Ärzte haben die Mutter gefragt, ob sie es möchte. Ohne sie weiter aufzuklären. Mit der Frage "Möchten Sie dass Ihr Sohn seine Organe spendet" würden relativ viele Laien meiner Meinung nach intuitiv "einfach mal" "Nein" sagen.
Hab es natürlich nicht gemacht. Das liegt ja nicht in meinem Kompetenzbereich. Ich fands ziemlich schade :(
 
Vielen lieben Dank für die zahlreichen Antworten!
Besonders der Link von littlesun hat mir doch sehr geholfen.

"Jetzt ist er erlöst", schrieb die Bekannte meines Mannes heute.
Ob sie sich letztendlich zur Organentnahme entschieden haben, wissen wir noch nicht.
Sie kann und mag noch nicht reden.

Es war aber tatsächlich so, dass sie UND die erwachsenen Kinder sich von den Ärzten zwecks Organentnahme bedrängt fühlten.
Und das bereits am Tag nach dem Apoplex, auch wenn man in 12 Stunden viele Tests durchführen kann, laut dem Link.
Ihr Mann hatte tatsächlich eine große Hirnblutung.

Meiner Meinug kann und darf nicht so unsensibel mit den nahestehenden Verwandten umgegangen werden.
Mir kommen da gleich die Organspendeskandale in den Sinn und wegen diesem unguten Gefühl habe ich erst einmal meinen Organspendeausweiß vernichtet.
Mein Mann ist auch über meine Unwilligkeit, Organe zu diesem Zeitpunkt zu spenden, sollte es denn so kommen, informiert.

Ich möchte niemals zu so einer Entscheidung gedrängt werden, ebenso mein Mann.
Zeit um das Geschehen verarbeiten zu können, muss schon sein.

Viele Grüße,
Sanne
 
Hallo Sanne3, auf einem Organspendeausweis kann auch ein "Nein" zur Spende angekreuzt werden. Mit dem eindeutigen Hinweis auf das Ablehnen von Organ- und/oder Gewebespenden (der auch in einer Patientenverfügung stehen kann) entfällt auch, dass Angehörige überhaupt mit der Frage konfrontiert werden.
 
Ein "Drängen" kann (sollte sich aber nicht) aus dem Umstand ergeben, dass eben doch auch der natürliche Tod seinen Dienst verrichtet und die Organe nebst dem Menschen ins Jenseits befördert! Auch bleiben die Organe mit fortschreiten des Niedergangs der Organfunktionen nicht in einem transplantationsfähigen Zustand.
Dennoch sollte der Druck der da auf den Entscheidern lastet nicht auf die Angehörigen des möglichen Spenders weitergeleitet werden! Schon allein der damit verbunden Missverständisse wegen und der daraus resultierenden Spekulationen über Hirntod, Organspende und abschalten von Geräten von ....!?!

Helfen kann eine rechtzeitig zu Lebzeiten ausgefüllter Organspendeausweis, Patientenverfügung und ergänzenden Gesprächen mit dem Partner, Kinder usw.; was eine Auseinandersetztung jedes Menschen mit dem eigenen Sterben zu einer Zeit voraussetzt, wo es einem noch so (gut) geht (, dass man sich mit solchen Themen kaum beschäftigen möchte)...
 
@Sanne: Organspende ist immer ein emotional belastendes Thema, da es ja zwangsläufig mit dem Tod einhergeht. Es kann immer sein, dass man auch mit der modernen Technik nicht lange Zeit hat, den bevorstehenden Tod noch zu verzögern (siehe Matras' Aussage zur Organperfusion), um den Angehörigen Zeit zu geben nachzudenken. Natürlich sollte dabei immer einfühlsam mit den Angehörigen umgegangen werden.
Deshalb wärs auch wichtig, dass du deinen Ausweis nicht zerreißt, sondern das zum Anlass nimmst, dich zu informieren und dann in Ruhe für dich die Entscheidung zu treffen: was willst du? Und auch wenns eine bewusste Entscheidung gegen eine Spende ist - auch das kann wie gesagt auf dem Ausweis festgehalten werden. Aber so kann man verhindern, dass die Angehörigen "bedrängt" werden.
 

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