Pflege bei C2 und Incompliance

Jillian

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29.10.2013
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GuKP
Akt. Einsatzbereich
Kurzzeitpflege
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Dauernachtwache
Hallo,
Aktuell pflegen wir auf unserer internistischen Peripherstation einen männlichen obdachlosen Patienten, knapp 50 Jahre alt, bekannter C2- und Drogenabusus, Einweisungsdiagnose Oberbauchbeschwerden. Mitgebracht hat der Pat. eine offene Schulter-/Schlüsselbeinfraktur nach Sturz von einem Stretcher in der ZNA eines anderen KHs. Dort ließ er den Arm eingipsen und entließ sich dann selbst.
Bei uns ist der Patient, was die Oberbauchschmerzen angeht, beschwerdefrei. Was mir mehr Sorgen bereitet, ist seine Incompliance. Oft ist er stundenlang von Station abwesend und kann auch nicht im Raucherpavillon gefunden werden. Sein Gangbild und Geruch war vorgestern so auffällig, dass ich den betreuenden Stationsarzt angeregt habe, eine Blutentnahme durchzuführen. Im Ergebnis hatte der Patient 2,3 Promille Blutalkohol. Ich habe den Dienstarzt angerufen und gebeten, das Diazepam abzusetzen, das wurde getan. Alle anderen Medikamente, u.a. Valproat, blieben im Programm. Auch mein Hinweis, dass der Patient aus eigenem Bestand zusätzlich Valproat einnimmt, wurde übergangen.
Gestern behauptete der Patient gegen 16 Uhr, er habe sein morgendliches L-Polamidon nicht bekommen. Nachweislich hat er es bekommen, das Spiel spielen wir jeden Tag. Nach zwei weiteren Stürzen und wiederholt auffälligem Gangbild und Alkoholgeruch stand er gestern vor meiner Tür und kündigte an, wenn er jetzt von mir kein L-Polamidon bekomme, würde er sich jetzt Heroin besorgen. 2h war er von Station abgängig, danach tauchte er wieder auf, kaum ansprechbar, stecknadelkopfgroße Pupillen, extrem verlangsamte oder gar keine Reaktionen. Nach VZ-Kontrolle habe ich den Dienstarzt informiert, der mich abwimmelte mit den Worten "Ich habe Rücksprache mit der Oberärztin gehalten, wir machen da erstmal nichts."

Ich fühle mich hintergangen und veralbert. Der Patient behindert absichtlich und gezielt die Therapie, bringt sich durch den Konsum von Alkohol und möglicherweise Drogen in Lebensgefahr (kein DNR), und von ärztlicher Seite hebt man die Schultern und lässt ihn gewähren. Ich habe mitlerweile Skrupel, dem Patienten auch nur ein einziges Medikament zu verabreichen, solange ich mir nicht klar bin, dass er nachweislich nicht alkoholisiert und auf Drogen ist.

Meine Beobachtungen, Gespräche und Telefonate habe ich zwar alle, teils mit Zeugen, dokumentiert, aber die Unsicherheit bleibt. Was würdet ihr in so einer Situation tun?
 
Das ist das Bild einer Suchterkrankung würde ich sagen.
Wenn einem Patienten nicht von vornherein die Pistole auf die Brust gesetzt und der Klinikaufenthalt mit
Abstinenz verbunden ist, wirst du nicht allzu viel machen können.
Ich würde mich in allen unübersichtlichen Situationen absichern bei den Ärzten.

Die Polamidongabe könntet ihr auch unterschrieben lassen von ihm, dann kann er es selbst sehen.
Ob das hilft ist allerdings die Frage.
Würde ich auch nur machen mit Arztrücksprache.
 
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@Jillian
Was sagen denn Deine Vorgesetzten (Stationsleitungen) dazu?
 
Die sagen im Moment gar nichts, weil sowohl STL als auch stellv. STL seit über 2 Wochen im Urlaub sind.
 
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In dem Fall wäre dann die PDL ein Ansprechpartner?
Komplette Abstinenz von Süchtigen während des stationären Aufenthaltes kenne ich nur aus grauer Vorzeit.
Sämtliche Suchtkranke waren extrem durchgängig, aggressiv und nach der (Selbst-) Entlassung wieder "drauf".
Diese Menschen befanden sich aber auch nicht (auf eigenen Wunsch) in einer Entzugsklinik, sondern auf irgendeiner Station.
Die Häuser in denen ich zuletzt war ging man eher dazu über, den Betroffenen ihr Suchtmittel nicht zu verwehren, bzw adäquaten Ersatz in ausreichender Dosierung zu geben.
VG
 
Für das Verlassen der Klinik Revers unterschreiben lassen, Ärzte vehement und mehrfach auf baldige Entlassung ansprechen, die Situation mehrfach bei ihnen anklagen, zur Not von ihnen die Verantwortung per Unterschrift abnehmen lassen und stets alles genausten dokumentieren. Wenn es die Ärzte nicht schaffen hier eine adäquate Substitution zu den sonst genommenen Drogen zu fahren, ist das in meinen Augen deren verfehlen. Das würde ich denen auch so sagen und diese Einschätzung persönlich von mindestens einem Oberarzt gegenzeichnen lassen - Infos an den/die AssistenzarztIn, welche/r dann wiederum mit dem/der OberarztIn spricht sind viel zu fehleranfällig (Prinzip: "Stille Post") und werden wohl kaum die gegebene Problematik aus deinem Standpunkt heraus auf den Punkt bringen. In meinen Augen solltest du den Fall nochmal persönlich bei dem/der zuständigen OberarztIn (oder zur Not auch Chefarzt) schildern (incl. entsprechender Doku und ggf. Unterschrift von diesem).

So wie das klingt, was du hier schilderst, wird sich der Patient wohl aktuell eh nicht auf die unbedingten Strukturen und Notwendigkeiten der stationären Behandlung einlassen - so what.... seine (wohl krankhaft veränderte aber tolerierte) Freiheit - wichtig ist hier aber, und ich meine das bei dir auch so herausgelesen zu haben, deine Sicherheit in Punkto Haftung als zuständige Pflegefachkraft. Bei hartnäckigen Zweifeln würde ich noch zusätzlich, zu dem, was ich schon genannt habe, den Juristen der Klinik anhauen, was der dazu sagt und wie du hier deine persönliche bzw. individuelle Haftung ausschließen kannst.

Btw... ich hoffe der Patient hat keinen liegenden i.v.-Zugang, mit welchem er da hin und wieder die Klinik verlässt und entsprechend bewusstseinsverändert wieder aufschlägt.
 
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Schwierige Situation.
Aber ich kenne es von der Station wo ich arbeite auch. Wenn Patienten augenscheinlich betrunken und/oder high auf Station auftauchen und permanent abwesend sind, wird der Arzt gerufen und eine Blutentnahme gemacht. Wenn sich der Verdacht bestätigt, dass der Patient betrunken oder auf Drogen ist(trotz ausreichender Ersatzmedikation/Pola-Gabe) werden die Patienten entlassen. Notfalls auch mit Hilfe der Polizei der Station/des Hauses verwiesen, wenn sie nicht freiwillig gehen.
Voraussetzung ist natürlich immer dass die Entlassung nicht mit einer akuten vitalen Gefährdung einher geht.
 
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wichtig ist hier aber, und ich meine das bei dir auch so herausgelesen zu haben, deine Sicherheit in Punkto Haftung als zuständige Pflegefachkraft. Bei hartnäckigen Zweifeln würde ich noch zusätzlich, zu dem, was ich schon genannt habe, den Juristen der Klinik anhauen, was der dazu sagt, wie du hier deine persönliche bzw. individuelle Haftung ausschließen kannst.
In der Rechtsabteilung anzufragen kam mir tatsächlich noch nicht in den Sinn. Vielen Dank für die Anregung.

Für das Verlassen der Klinik Revers unterschreiben lassen
Er entlässt sich ja nicht im Sinne des Wortes. Er verlässt lediglich das Klinikgelände. Sowas ist in unserem Haus nicht verboten, aber wir weisen alle Patienten darauf hin, welche versicherungsrechtlichen Konsequenzen das haben könnte. Beurlaubungen gibt es bei uns nicht mehr, die wurden von Leitungsebene aus, aus verständlichen Gründen, untersagt.

In dem Fall wäre dann die PDL ein Ansprechpartner?
Auch wenn uns unsere PDL meist alleine lässt mit unseren Schwierigkeiten und oft nicht einmal erreichbar ist für Notfälle, ist das wahrscheinlich leider der offizielle Dienstweg, den ich einschlagen muss.

Btw... ich hoffe der Patient hat keinen liegenden i.v.-Zugang, mit welchem er da hin und wieder die Klinik verlässt und entsprechend bewusstseinsverändert wieder aufschlägt.
Inzwischen nicht mehr. Wir Pflegekräfte haben den ärztlichen Kollegen dringend vom Legen einer Viggo abgeraten, was dankenswerterweise auch eingehalten wird. Dass ein Arzt nicht von selbst auf die Idee kommt, und bei Aufnahme und danach noch mehrmals trotzdem einen Zugang legt, lässt tief blicken.

Wenn Patienten augenscheinlich betrunken und/oder high auf Station auftauchen und permanent abwesend sind, wird der Arzt gerufen und eine Blutentnahme gemacht. Wenn sich der Verdacht bestätigt, dass der Patient betrunken oder auf Drogen ist(trotz ausreichender Ersatzmedikation/Pola-Gabe) werden die Patienten entlassen.
Ich wünschte, bei uns würde mit derselben Konsequenz gearbeitet. Aber ich musste mir gestern auf meine Einwände hin anhören, man könne ja nicht ständig und mehrfach am Tag dem Patienten Blut entnehmen. Ich frage mich, wieso nicht? Ich wies den Stationsarzt noch darauf hin, dass bei Nachweis von Blutalkohol der Patient zu entlassen wäre. Er nickte, sagte ja ja, und passiert ist... genau. Nichts.
 
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Er entlässt sich ja nicht im Sinne des Wortes. Er verlässt lediglich das Klinikgelände. Sowas ist in unserem Haus nicht verboten, aber wir weisen alle Patienten darauf hin, welche versicherungsrechtlichen Konsequenzen das haben könnte. Beurlaubungen gibt es bei uns nicht mehr, die wurden von Leitungsebene aus, aus verständlichen Gründen, untersagt.
Naja... verlässt er die Klinik bzw. das Gelände ist der mündliche oder schriftliche Hinweis auf versicherungsrechtliche Konsequenzen ohne Unterschrift des Patienten wohl nutzlos, oder? Habt ihr diese Info an ihn mit Gegenzeichnung? Auch wenn es wohl nie ganz wasserdicht wird, wenn er geht, würde ich trotzdem jedes Mal ein neues Revers unterschreiben lassen (und die scheinbar untätigen Ärzte damit nerven :kloppen: ).

Was ist mit der direkten Ansprache beim verantwortlichen Oberarzt? Wenn du in deiner Rechtsabteilung nachgefragt hast, sei so gut und lass uns wissen, wie die das sehen und was sie dir geraten haben - jetzt interessiert es mich auch. ;)
 
Das mit der Unterschrift für Verlassen des Klinikgeländes kann ich nachvollziehen (wird bei uns auch so gemacht), aber wenn der Patient so incompliant ist, ist die Frage, ob er sich an die Regeln halten würde, sich abzumelden, das zu unterschreiben und sich hinterher wieder zurückzumelden. Daran hab ich bei dem beschriebenen Patienten so meine Zweifel...
 
Ich würde an deiner Stelle gar nichts (außergewöhnliches) machen.

Dokumentation der Vorkommnisse -》Info an den zuständigen Arzt (Dokumentation darüber nicht vergessen) -》Medikamentengabe nach ärztlicher Anweisung.

Worüber machst du dir eigentlich Gedanken? Es ist nicht deine Sache was der Patient oder der Arzt tut.

Konzentriere dich auf deine Aufgaben und dann "kann" dir auch keiner was...

Ach, und lass das mit der Rechtsabteilung, was soll das bringen?
 
Worüber machst du dir eigentlich Gedanken? Es ist nicht deine Sache was der Patient oder der Arzt tut.

Konzentriere dich auf deine Aufgaben und dann "kann" dir auch keiner was...

Jillian macht genau das "Richtige".
Sie konzentriert sich voll und ganz auf ihre Aufgaben.
Sie kommt als Gesundheits- und Krankenpflegerin ihrer Aufgabe im vollsten Umfang nach, die der Fürsorge- und Aufsichtspflicht über Patienten inne hat.
Die Aufsichtspflicht beinhaltet auch, das die Pflegefachkraft sich Gedanken macht, ob die Gabe von Medikamenten für den Patienten richtig angeordnet sind.
Auch Ärzten können Fehler unterlaufen. Zu mal, wenn der Pflegefachkraft auffällt, das der Patient noch zusätzliche Medikamente aus seinem eigenen Bestand nimmt.
Sie hat diese Informationen und die anderen falschen Verhaltensweisen, seitens des Patienten dem Arzt auch mitgeteilt.
Natürlich kann kein Arzt Jillian etwas anhängen, da sie alle Informationen, die den Patienten betrifft, unverzüglich an den Arzt weiter gibt.

Ach, und lass das mit der Rechtsabteilung, was soll das bringen?

Warum soll Jillian das mit der Rechtsabteilung lassen?
Es geht hier schließlich um die eigene Absicherung. Schließlich will man ja nicht von denen gesagt bekommen: "Warum haben sie sich nicht bei uns gemeldet?".
 
Schließlich will man ja nicht von denen gesagt bekommen: "Warum haben sie sich nicht bei uns gemeldet?".

Niemals wird eine Pflegekraft sofern sie richtig und vollständig dokumentiert und Informationen zeitnah weitergibt sowas gefragt.

Wenn die Pflege nur sonst auch akribisch darauf achten würde alles rechtssicher zu dokumentieren ......
 
Vielen Dank für euren Zuspruch, eure Anregungen und Ideen. Glücklicherweise hat sich das Problem gestern von selbst gelöst: Nun wurde es auch unserer Oberärztin zu bunt, und sie hat den Patienten eigenhändig und persönlich rausgeschmissen, nachdem der Patient während der OA-Visite ins Zimmer gepinkelt und danach unten in der Cafeteria eine schöne Flasche Wodka getrunken hat.
 
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Das ist halt so in der Somatik... Solche Patienten würden bei uns im Haus auf die Intensiv kommen, würden ständig am Monitor hängen. Wenn nämlich so ein Patient sich einen Schuß setzt und dann irgendwo tot in einer Ecke liegt obwohl er stationär im Krankenhaus liegt dann interessiert es auch den Staatanwalt, denn die Todesursache wäre "nicht natürlich" oder "unklar".
Außerdem darf man nicht vergessen, dass die Assistenzärzte oft noch sehr unerfahren sind, was Süchtige wohl für Sachen abziehen und anderes und die Oberärzte sind ja auch nicht so präsent auf Station.
Wird also dieser Patient irgenwo tot aufgefunden, oder hat unterwegs und Einfluß von Alkohol und/oder Medis und Drogen einen Unfall wird auf jeden Fall ermittelt, erst recht wenn dritte zu Schaden kommen und so muss jeder, der es besser weiß alles dazu beitragen, dass es eben nicht zu so einer Situation kommt.
 
Das ist halt so in der Somatik... Solche Patienten würden bei uns im Haus auf die Intensiv kommen, würden ständig am Monitor hängen.

Bitte? Wenn ein Patient nicht unter Betreuung steht, kann er gehen, wohin er will. Ich darf ihn gar nicht gegen seinen Willen auf Station festhalten, das wäre Freiheitsberaubung.

Dokumentieren, auch gern mit wörtlicher Rede, auch in der Dokumentation festhalten, dass die Ärzte oder die Leitungen informiert wurden, und möglicherweise auch - wie hier - disziplinarische Entlassung.
 

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