Ich komme zwar nicht aus der Krankenpflege, aber aus der Altenpflege. Im Altenheim weiß man, dass die Bewohner in den meisten Fällen auch in diesen Pflegeeinrichtungen sterben werden. Trotzdem war mein erster Todesfall im Altenheim für mich ein Erlebnis, welches ich auch niemals vergessen werde.
Gegen 19 Uhr brachte ich diese Frau ins Bett. Da sie Geburtstag hatte, blieb sie länger als gewohnt auf. Gegen 19.20 Uhr habe ich sie dann ins Bett gelegt. Was mir da nicht auffiel, aber im nachhinein, war, dass diese Frau irgendwo sogar besser drauf war als gewohnt. Sie lief kaum noch gebeugt, sie redete viel, konnte Gesprächen folgen und zeigte sich äußerst freundlich - freundlicher als gewohnt! Ob das nun mit ihrer Freude über die Geburtstagsfeier bei ihrer Tochter zusammenhing, kann ich nicht sagen, schließe ich aber auch nicht aus. Ich wünschte ihr eine gute Nacht und ging aus dem Zimmer. Es war mein erster Jahr in der Pflege und ich gewöhnte mir an, nachdem ich alle Bewohner im Bett hatte, noch ein mal in alle Zimmer zu gehen um zu kontrollieren ob ich nicht irgendwas vergessen oder übersehen habe. Um 20.45 Uhr hatte ich eigentlich Feierabend. Nachdem ich mit der Doku fertig war, begann ich meine Tour durch alle Zimmer der Bewohner, die ich ins Bett gebracht habe. Als ich in das Zimmer der betreffenden Frau kam, habe ich zuerst nichts bemerkt. Plötzlich hörte ich ein komisches Atemgeräusch (brodelnd-pfeifend) und ging ans Bett zu dieser Frau. Sie lag mit dem Rücken zu mir und als ich sie ansprach und anfasste, reagierte sie nicht, obwohl sie sonst immer wach wurde, wenn man auch nur eine Packung Taschentücher hat fallen lassen. Ich drehte sie auf den Rücken und dann sah ich, dass sie die Augen verdreht, die Arme über der Brust verkreuzt und verkrampft hatte und dass ihr Blut aus den Mund lief. Ich habe die Frau wieder auf die Seite gelegt, Alarm geklingelt und innerhalb von 15 Sekunden kam dann schon meine exam. Kollegin. Der Notarzt wurde gerufen, doch bevor er kam, ist die Frau schon verstorben. Meine Gedanken waren: "Hast du vielleicht etwas falsch gemacht?", "Hast du vielleicht etwas wichtiges übersehen?", "Hätte man sie retten können, wenn ich vielleicht noch früher ins Zimmer gegangen wäre?". Diese Frau wurde am 28.11.190X geboren und starb am 28.11.200X.
Nachdem ich mittlerweile schon ca. 25 Tote gesehen und bei über die Hälfte der Bewohner dabei war als sie starben, habe ich keine Probleme mehr damit. Bei der besagten Frau dachte ich in der Nacht noch etwas darüber nach, aber ab dann war es mir egal, weil ich wusste, dass ich keinen Fehler gemacht habe und diese Frau sowieso fast 100 Jahre alt war und das irdische Leben auch nicht ewig ist.
Ich kann dir einfach nur den Tipp geben (auch wenn es für viele leichter gesagt ist als getan), sobald die Tür bei der Arbeit schließt und nach Hause gehst, alle Erlebnisse und Gedanken über Bewohner bzw Patienten quasi bei der Arbeit zu lassen. Bei mir klappt es sehr gut. Sobald ich meine Arbeitsbekleidung anlege, bin ich in der Arbeitswelt. Wenn ich die Arbeitsbekleidung ablege in meinem Privatleben und ab dann interessiert mich nicht mehr was mit Bewohnern passiert ist bzw wie stressig die Schicht war. Das "umswitchen" ist für viele schwer, aber ich habe den Weg gefunden wie es klappt und wie ich mich von solchen Sachen distanzieren kann. Und diesen Weg solltest du auch suchen um selber gesund zu bleiben. Wenn jetzt jemand stirbt, drücke ich ihn die Augen zu, mache ihn mit der Examierten fertig und danach arbeite ich wie gewohnt weiter bzw. esse wie gewohnt mein Frühstück oder Mittag.
Und noch ein Tipp:
Wenns hoch kommt habe ich Mona vier Tage frei (meistens 2 bis 3 Tage), aber dann unternehme ich immer etwas als Belohnung (meist sogar ganz alleine) für meine Arbeit. und wenn mein Geld kommt, wird erstmal etwas gekauft was mir gefällt. Das hilft auch... zumindest mir!