Ernährung von Intensivpatienten

Katy

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Ludwigsburg
Akt. Einsatzbereich
Interdisziplinäre Intensivstation
Hallo zusammen,

mich würde interessieren, wie Eure Patienten ernährt werden.
Überwiegend parenteral?
Mit wievielen Kalorien?

Bei uns werden die Patienten so schnell es geht enteral über Ernährungssonde ernährt.
Wir haben Osmolite und Diben- 500ml Flaschen mit jeweils 500 Kalorien..hoffe, ich erinnere mich richtig.
Es ist schier unmöglich den Patienten jemals ausreichend Kalorien zukommen zu lassen.
Unserer Meinung (Pflege) nach, sind alle unsere Patienten nicht ausreichend ernährt. Gerade Intensivpatienten haben einen höheren Umsatz und nehmen so ziemlich viel ab.
Andererseits ist es schwierig 4 Liter oder mehr Flüssigkeit über Ernährungssonde an einem Tag zu applizieren.

Auch wenn unsere Patienten parenteral ernährt werden, sieht es ählich aus, was die Kalorien betrifft.

Wir haben uns jetzt überlegt, mal mit unseren Ärzten zu sprechen..

Würde mich freuen, von Euren Erfahrungen zu hören/ zu lesen.

Viele Grüße, Katy
 
Hi!

Bei uns ist das Prinzip "Enteral vor Parenteral". Wir versuchen unsere Patienten primär enteral zu ernähren. Das geht aber leider nicht immer. Dann versuchen wir es mit einer Kombination aus enteral und parenteral.
Manchmal auch ausschließlich parenteral.
Leider finde ich auch, dass unsere Patienten in der Regel unterversorgt werden mit kcal. Im Schnitt bekommen unsere Patienten zwischen 1300 und 1800 kcal (grob geschätzt).
Was jedoch JEDER Patient bekommt (sofern keine absolute Kontraindikation besteht) ist eine minimale Fördermenge an enteraler Kost um die Darmzotten am Leben zu erhalten. Man will ja keine Translokation aus dem Darm ins Blut riskieren.

Was ich bei uns ganz gut finde ist, dass bei der Ernährung darauf geachtet wird, dass man nicht nur Kohlenhydrate, sondern auch Fette und Eiweiße substituiert. Je nach Patientenbedarf. Und auch die Vitamine und Spurenelemente werden nicht vergessen, wenn es ein längerer Aufenthalt wird.
 
Hallo,

bei uns wird auch so schnell wie möglich enteral Ernährt.
Wir haben verschiedene Ernährungen.
Nutrison PRE 0,5kcal/ml
Nutrison Multi fibre 1,0kcal/ml
Nutrison ernergy 1,5kcal/ml

für Diabetiker gibt es bei uns
Nutrison Diason 1,0kcal/ml

für Dialysepflichtige Pat.

Restoric Nephro intensiv 2,0kcal/ml
Suvimed renal 1,3kcal/ml (weniger genommen weil Eiweiß sehr niedrig)

Wenn Pat. länger als 3 Tage nicht enteral Ernährt wurden fangen wir mit PRE an auf 20ml/h wird gesteigert bis auf 60ml/h dann wird auf das nächste gewechselt.

Fette,Mineralstoffe, Spurenelemente und Vitamine werden zusätzlich über Infusionen gegeben.
Es gibt eine Formel für den Grundumsatz!

24kcal/kg KG/Tag für EW
22kcal/kg KG/Tag ab 51 Jahren
dies wird mal 1,1 für Bettlägrige Pat. genommen, sitzend, leicht mobil mal 1,2 und für mobil mal 1,3 gerechnet

mal dem Stress/ und Krankheitsfaktor z.B. Dekubitus mal 1,3-1,9
Sepsis mal 1,6
große Op´s mal 1,1-1,3

Beispiel: 70 Jähriger Pat., 80kg, bettlägerig mit Sepsis
Grunumsatz 80 X 22kcal = 1760kcal X 1,1 X 1,6 = rund 3098kcal.

hoffe konnte dir helfen
 
Hey,

danke für die Reaktionen.
Die Formel kenne ich aus meiner Fachweiterbildung, müßte das allerdings nachschlagen, Tina.
Ich finde es super, daß die Kalorienzufuhr bei Euch so berechnet wird.
Bei uns macht das nur ein einziger Arzt, wenn überhaupt..ansonsten wird nach Gutdünken ernährt.

Spurenelemente, fettlösliche Vitamine, e.t.c werden wenigstens auch bei uns gegeben.
Ich denke, wir bräuchten höherkalorische Ernährung.

Mobitz, JEDEM Patienten eine minimale Zufuhr an Ernährung zukommen zu lassen zwecks Verhindern von Zottenatrophie...finde ich auch super.

Prinzipiell gilt auch bei uns enterale Ernährung vor parenteraler...nur leider oft nicht ausreichend.

Grüße, Katy
 
Hallo zusammen, hallo Katy,

vielleicht hilft dir das hier weiter:

ainurse.org: YaNuCa 0.1

Wir setzen auf unserer Station seit etwa vier Jahren so ein Tool ein, dieses hier ist die aktuelle Weiterentwicklung.

Obacht:
Die oft zitierte These, Patienten auf Intensivstationen seien prinzipiell unterernährt, trifft so nicht wirklich zu, nicht selten ist sogar das Gegenteil der Fall. Aber: es stimmt schon - viele Intensivpatienten sind FALSCH ernährt, und zwar ausgerechnet, weil man es gut meint.

Klare Sache: Es gibt solide Guidelines (siehe DGEM - Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin) und damit kommt man i.d.R. weiter, in jedem Fall sollte es auf der Station ein daran angelehntes Ernährungskonzept geben.

Dominic
 
Ach so,

ich sollte vielleicht noch nachtragen, wie es geht:

1. Patienten ohne vorbestehende Mangelernährung in der Akutphase (etwa 1.-3. Tag) einer schweren Erkrankung werden nicht künstlich ernährt. Patienten mit vorbestehender Mangelernährung oder bereits vorheriger längerer Nahrungskarenz (>3 Tage) werden schon am 1. Tag aufgebaut, und zwar zuerst PARENTERAL, ab dem 4. Tag auch enteral. Dasselbe gilt für Patienten mit krankheitsbedingt stark erhöhtem Energieumsatz, beispielsweise bei Hirnprozessen (Apoplex, Apalliker), Trauma und großen Wundflächen (>40% KOF), oder solchen Patienten, deren Krankheit schon länger besteht (z.B. Übernahme aus anderer Intensivstation).

2. Ab dem 4. Tag wird die künstliche Ernährung dann bei jedem Patienten aufgebaut (und zwar zunächst NUR ENTERAL, es sei denn, es wurde aus o.g. Gründen parenteral begonnen) - in vier Stufen, beginnend ab Stufe 1 (siehe Kalkulationshilfe). Nach je vier Stunden Sondenkost-Gabe wird eine bis zwei Stunden pausiert (je nachdem, wieviele Portionen vorgesehen sind: 4 Portionen = 2 Stunden Pause, 5 Portionen = 1 Stunde Pause) und kontrolliert, ob der Patient die Nahrung auch verträgt (also weniger als 200ml noch im Magen), dann geht es weiter mit Sondenkost. Täglich wird um eine Stufe gesteigert. Verträgt der Patient die Sondennahrung nicht, kann man eine längere Pause einlegen und ggf. eine Stufe zurückgehen (dies ist meist ein passageres Problem), in einigen Fällen erreicht man die Stufe 0 (=TPN). Manchmal hilft auch die Wahl einer anderen Sondenkost weiter.

3. Ab dem 6. Tag werden auch bei allen Patienten die parenteralen Ergänzungen gegeben, je nach Stufe, die der Patient bis dahin erreicht hat (in Stufe 4 normalerweise nicht mehr erforderlich).

4. Wichtig: täglich (bei der Visite z.B.) wird die Ernährung neu beurteilt und berechnet, wenn etwas nicht funktioniert (z.B. enterale Ernährung wird nicht toleriert, anhaltend zu hohe Blutzucker), dann wird entsprechend umgestellt.

Und wenn ich noch etwas empfehlen darf (ich will damit aber keine Werbung machen!!): Sondenkostprodukte mit niedrigen Kohlenhydratindex (beispielsweise Oxepa oder Pulmocare von Abbott) sind bei der Ernährung im Intensivbereich klar von Vorteil!
 
Hallo Dominic,

so wie du es beschreibst, haben wir es vor 10 Jahren gemacht, mittlerweile beginnen wir mit dem Kostaufbau ab dem ersten Tag um Mangelernährung vorzubeugen.
Wir beginnen mit einer frühzeitigen enteralen Ernährung wenn möglich aber auch mit parenteraler Ernährung.

Schönen Tag
Narde
 
Ja,

das haben wir bisher auch getan. Jeder Patient wurde bereits am ersten Tag aufgebaut, eben in der Annahme, das man damit einer Mangelernährung vorbeugen kann.

Allerdings ist das nicht wirklich erforderlich (siehe Leitlinien), deshalb sollen nur solche Patienten sofort aufgebaut werden, die
a) bereits vorher künstlich ernährt waren
b) Zeichen einer vorbestehenden Mangelernährung aufweisen
c) bereits vor Aufnahme eine längere Nahrungskarenz hatten (>=3 Tage)
d) aufgrund ihrer Erkrankung einen gesteigerten Energieumsatz haben
e) voraussichtlich auf längere Zeit (>3 Tage) nicht normal ernährt werden können

Patienten, die bis zum Aufnahmetag normal ernährt waren und nun aufgrund ihrer Erkrankung (vorübergehend) nicht ernährt werden können, laufen durch eine Karenz von maximal 3 Tagen nicht Gefahr, mangelernährt zu werden. Die Risiken durch künstliche Ernährung überwiegen hier den (potentiellen) Nutzen (siehe ESPEN-Guidelines). Kann also ein solcher Patient binnen 3 Tagen wieder normal essen, gibt es keinen Grund für künstliche Ernährung.

Mangelernährte Patienten profitieren davon, wenn sie zuerst parenteral und später enteral aufgebaut werden. Übrige Patientengruppen können aber durchaus primär enteral aufgebaut werden.

Aber gut, das mag von Haus zu Haus anders geregelt sein, Hauptsache ist doch, es gibt überhaupt ein Konzept. Ich biete hier ja auch kein Ernährungskonzept an (obwohl ich das sicher gern tun würde), sondern lediglich eine Kalkulationshilfe an.
 
Hallo Dominic,

vielleicht sollten wir das ganz etwas konkretisieren - Intensivpatient ist nicht gleich Intensivpatient.
Einen Patienten mit einem akuten Myocardinfarkt und spontan atmend verpassen wir nicht sofort eine Parenterale Ernährung, er darf wenn er will "normal" essen. Anders bei Patienten mit Sepsis, Polytrauma oder ähnlichem beginnen wir hier bereits am ersten Tag mit der Ernährung.

Diverse Studien haben belegt, dass bei einer frühzeitig begonnenen Ernährung des Intensivpatienten das outcome höher ist. - Ähm, aber frag mich gerade nicht welche, dazu muss ich erstmal nachgucken.

Schönen Tag
Narde
 
Jepp,

das kommt gut hin. Präzisierung tut not.

Aber der unkomplizierte Herzinfarkt ist zunächst einmal gar kein Intensivpatient - ein Überwachungspatient allenfalls.

Das verbesserte Outcome bei frühzeitiger Ernährung trifft zu, und zwar speziell bei den hyperkatabolen Zuständen von Polytrauma/Verbrennung/Sepsis (und es sind genau diese drei Gruppen, die bei ESPEN genannt werden). Das gilt aber (steht nicht in der Leitlinie) auch für Patienten im Durchgangssysndrom, bei Apallikern und anderen Hirnschädigungen.

Aber "frühzeitig" und "sofort" sind zwei verschiedene Dinge, der richtige Zeitpunkt will (auch ärztlicherseits!) genau erkannt werden, und der erste Tag kann falsch (oder zumindest nutzlos) sein:

Akutphasen kritischer Erkrankungen und Schockzustände gehen meist mit einer verminderten Eliminationsrate von Nährstoffen einher (betrifft vor allem Protein- und Glucosestoffwechsel), daran kann man auch durch eine künstliche Ernährung nichts ändern. Die Aufnahme von Nährstoffen in die Zellen ist durch die krankheitsbedingt veränderte Körperchemie vermindert, auch wenn der Zellstoffwechsel selbst mitunter sogar erhöht ist. Studien mit recht großen Patientengruppen haben hierbei gezeigt, daß Patienten, die nur 60-80% ihres Energieumsatzes ersetzt bekamen, sogar eine höhere Chance hatten, das Krankenhaus lebend zu verlassen. Deshalb kann/sollte hier der volle Ernährungsaufbau erst etwa ab dem 3. oder 4. Tag beginnen, sofern kein spezielles Risiko für Mangelernährung besteht (also ganz besonders bei den schwer adipösen Menschen, die spielend über 20000 kcal an eigener Körperfettmasse zuzusetzen haben).

Eine akute Verschlechterung einer bestehenden Sepsis beispielsweise - oder der Übergang einer Sepsis in eine schwere Sepsis...negative Energiebilanz ist hier also mitunter vorteilhaft, während eine Hyperalimentation eigentlich nichts bewirkt außer häufigen Azidosen und hohen Konzentrationen von Glucose und Triglyzeriden im Serum.

Aber nur da!

Völlig anders sieht das im Verlauf aus: im Mittel etwa ab dem 4. Tag nach der Akutphase steigt der Nährstoffverbrauch erheblich an (anabole Phase), bei Polytraumata bis auf 50%, bei Sepsis sogar mitunter auf 80% über dem Grundumsatzniveau, so daß hier auf jeden Fall und ausreichend ernährt werden MUSS. In dieser Phase wird erfahrungsgemäß fast nie ausreichend ernährt, der Bedarf wird fast immer unterschätzt (betrifft vor allem Patienten im Durchgangssyndrom oder etwa mit Katecholamintherapie).

Was schlußfolgern wir daraus?

Nun ja:
1. sind Energiebedarf und sinnvolle Energiezufuhr zwei verschiedene Dinge.
2. ist der Ernährungsbedarf von Patienten kein statischer Sachverhalt, sondern ein dynamischer - er kann sich im Verlauf erheblich ändern von "kein Bedarf" bis "maximaler Bedarf" ist alles drin.
3. ist die Pauschalannahme, Patienten auf Intensivstationen seien prinzipiell und immer unterernährt und müßten deshalb sofort mehr Nahrung zugeführt bekommen, schlicht falsch.

Nachtrag:
Natürlich soll das nicht heißen, "Heilfasten" sei nun immer richtig. Aber es ist in gewissem Maß und Rahmen durchaus physiologisch, und dir selbst sicher auch bekannt: Beinahe jeder nimmt zuerst einmal weniger Nahrung auf, wenn er akut krank wird, während er im Verlauf dann wieder mehr ißt, als wenn er gesund wäre. Das ist ziemlich normal, und hat biochemische Gründe, die wir nicht umgehen können.
 

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