Stellenwert der Dokumentation in der Pflege

hartwig

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02.04.2006
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338
Beruf
Krankenpfleger
Akt. Einsatzbereich
Dozent, Stationäre Pflege
Moin, moin!

Die drei Pfeiler der Pflege sind: Pflegediagnostik, Pflegetherapie/Pflegeinterventionen und die Pflegedokumentation. Interessanterweise wird in der Ausbildung zwar viel über Interventionen gesprochen aber in der Regel kaum über Diagnostik und Dokumentation. Natürlich ist allen klar, dass die Dokumentation inkl. der Evaluation ein entscheidener Bestandteil im Pflegeprozess ist, schliesslich brauchen wir ja die Information, ob denn das, was wir mit dem Patienten angestellt haben auch irgendeinen Effekt hatte (am besten natürlich den Effekt, den wir ereichen wollten...). In der Praxis wird Dokumentation allerdings eher selten als originäre pflegerische Aufgabe gesehen, sondern die juristische Absicherung steht im Vordergrund. Oft steht auch der Arbeitsaufwand in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Informationsgehalt: Ich kenne ein Altenheim, das eine Software zur Dokumentation benutzt, diese besteht dann fast ausschliesslich im Anklicken der erledigten Tätigkeiten und dauert im Schnitt 40 Minuten (also 40 Minuten anklicken von erledigten Tätigkeiten, die aber in Wahrheit oft gar nicht erledigt wurden, aber das ist ein anderes Thema...).
Werden Pflegeberichte geschrieben, ist der Inhalt oft wenig brauchbar. Mitunter werden Informationen wiederholt, die sich bereits an anderer Stelle finden, es ist kein Prozess erkennbar (beispielsweise gestern ging es dem Patienten schlecht, heute wird aber kein Wort darüber verloren, ob es ihm besser geht) oder die Aussagen sind ungenau formuliert - beispielsweise: "Pat hat gut gegessen". Was bedeutet das? Hat er viel gegessen? Wenn ja, wieviel? Was hat er gegesssen? Hatte er dabei Appetit? Steht das im Zusammenhang mit einer vorangegangenen Intervention z.B. Beratung? usw. Oder "Pat. hat abgeführt". Diese Aussage als solches hat fast keinen Informationsgehalt, darüberhinaus wird dies ja in der Regel als Strich irgendwo in der Kurve festgehalten. Warum steht das in dem Pflegebericht? Welche Konsistens/Farbe hatte der Stuhl? Gab es Schmerzen? Blut? Wie sind seine Darmgeräusche? Steht das im Zusammenhang mit einer Intervention? Gibt es irgendeinen Bezug zu der Anamnese, also z.B. Welche Stuhlfrequenz ist denn bei dem Pat üblich? Welche Abführgewohnheiten hat er? usw. Gab es nichts auffälliges warum dann im Pflegebericht noch mal erwähnen, dass er abgeführt hat?

Oft besteht in der Praxis grosse Unsicherheit darüber, was zu Berichten und wie dies zu formulieren ist. Was ist die Ursache dafür? Ein Mangel ist der Ausbildung? Ein Setzen falscher Prioritäten? Wie lässt sich Dokumentation wieder so gestallten, dass es als wichtige pflegerische Handlung erkennbar wird und nicht alleine als juristische Absicherung?

Gruss Hartwig
 
Eine Ursache dafür ist m. E., dass es weder eine Pflegeplanung gibt und somit auch keinen Pflegeprozeß, den man dann dokumentieren/evaluieren usw. könnte. Wenn doch, gibt es den nur in den einzelnen Köpfen und nicht für jeden Hinterlegt, so dass es nachvollziehbar wäre. Warum jetzt das wieder? Naja, so lernt man es als Schüler in der Praxis und behält es irgendwann bei. Außnahmen bestätigen die Regel.

Ulrich Fürst
 
Wie keine Pflegeplanung? Sowas gibts noch? Klar, in welchem Maße, also vor allem wie individuell geplant wird ist wohl überall verschieden und wahrscheinlich nicht oft sehr schulmäßig, aber so ganz ohne Plan - das ist doch das blanke Chaos. Wer macht dann was? Das ist doch dann überhaupt nicht mehr nachvollziehbar.

Eine befreundete KS von mir arbeitet in einem Haus, in dem die Schwestern für jeden Patienten die Pflegeplanung noch selbst schreiben müssen (ohne vorgedruckte Pflegenachweise). Das macht zwar sicher viel Arbeit, finde ich aber sehr sinnvoll, da man sich wirklich mit dem Patienten auseinandersetzen muss und die Maßnahmen für alle verständlich werden und nur so ja auch konsequent durchgeführt werden können.

Um einmal auf den ersten Beitrag zu sprechen zu kommen. Ich denke es liegt teilweise wirklich an einer zu knappen Abhandlung in der Ausbildung, dass die Pflegeberichte so ungenau, zu ausführlich, zu sinnlos sind. Wir haben z.B. laaaaaaaaange den Pflegeprozess besprochen, aber Pflegebericht. "Da schreibt ihr Besonderheiten rein und eben Sachen die im Pflegenachweis nicht drinstehen bzw. begründet abgezeichnete Maßnahmen dort." So ungefähr. Dann mal eben geübt und fertig - ab auf Station. Und dort, im Alltag, lernt man (ich) Pflegeberichte eben so zu schreiben wie es die Schwestern dort machen, weil man sich die schon vorhandenen Berichte in der Unerfahrenheit einfach als "Anschauung" nimmt. "Wenn es die Schwester auch so schreibt, wird es schon stimmen."
 
Hallo..

also die Dokumentation hat einen sehr grossen Stellenwert in der Pflege, sie dient ja auch als Tätigkeitsnachweis. Es muss alles dokumentiert werden, den was nicht dokumentiert ist, ist auch nicht gemacht worden. Aber das wichtigste ist der Verlaufsbericht, damit man lesen kann ob es Veränderungen sowohl positiv als auch negativ gibt.

Gruss
:flowerpower:
 
@Anne9888:
Ich habe noch keine Station kennengelernt, auf der eine individuelle Pflegeplanung geschrieben wird. Und ich unterhalte mich mit Kollegen von vielen Stationen aus den unterschiedlichsten Krankenhäusern und Fachrichtungen. Meine Aussage bezieht sich also nicht nur auf ein einzelnes Krankenhaus oder gar eine einzelne Station. Ich kenne noch nicht mal ein Dokumentationssystem, mit dem das möglich ist - obwohl, es gibt da fürs Examen so extra Blätter (gab's zumindest in der Ausbildung)...
Ob eine individuelle Pflegeplanung bei einer Liegedauer von 2 bis 10 Tagen überhaupt sinnvoll ist, ist allerdings eine ganz andere Frage.

Damit trotzdem kein Chaos entsteht:
Man kann ja Allgemeine Planungen schreiben für bestimmte Erkrankungen und dann Abweichungen, Verläufe, wo benötigt der Patient noch Unterstützung, was hat er heute gelernt, usw. im Pflegebericht vermerken.

Ulrich Fürst
 
Die Pflegedokumentation hat einen hohen Stellenwert. Wer nicht dokumentiert tut sich überhaupt keinen Gefallen. Dazu gehört auch eine Pflegeplanung, Wunddokumentation und Co.
Aber auch z.B. Beatmungsprotokoll und Co. In Zeiten der EDV- Dokumentation ist es schwer überhaupt nicht mehr zu dokumentieren. Dort gibt es keine Pflegeplanung. Alles was man tut und nicht tut ist jederzeit ersichtlich, weil Name hinterlegt. Änderungen bei der Bilanz (nachträglich z.B.) sind überhaupt nicht mehr möglich. Das bedeutet, dass es auch Sperren gibt. Das ist gut so.
 
@Anne9888:
Ich habe noch keine Station kennengelernt, auf der eine individuelle Pflegeplanung geschrieben wird. Und ich unterhalte mich mit Kollegen von vielen Stationen aus den unterschiedlichsten Krankenhäusern und Fachrichtungen. Meine Aussage bezieht sich also nicht nur auf ein einzelnes Krankenhaus oder gar eine einzelne Station. Ich kenne noch nicht mal ein Dokumentationssystem, mit dem das möglich ist

Hallo Ulrich,
ich gebe zu, es gibt es sicherlich noch nicht oft, ABER es gibt es!
Bei uns bekommt jeder Patient der im PPR A2 oder A3 gestuft ist, eine individuelle Pflegeplanung. Wir haben dazu ein komplettes Dokusystem für unser Haus erstellt.
Grüsse
Michaela
 
Also ich habe manchmal das Gefühl das die Dokumentation einen höheren Stellenwert hat als der Patient selbst, wenn ich nur mal sehe was bei uns laut MDK alles in der Patientenakte sein muss, und täglich, wöchentlich bzw. monatlich überprüft bzw. dokumentiert werden muss:

  1. Leistungsnachweis Pflegekasse
  2. Leistungsnachweis Krankenkasse
  3. Anamnesebogen
  4. Biographieblatt
  5. Pflegeüberleitungsbogen
  6. Pflegevisitenprotokoll
  7. Pflegeplanung mit Pflegediagnosen
  8. Bradenskala
  9. Sturzrisikoskala
  10. Sturzereignisprotokoll
  11. Erfassungsbogen zum Ernährungszustand
  12. Lagerungs- bzw. Bewegungsplan (so heißt das Ding neuerdings)
  13. Ein- und Ausfuhrkontrolle
  14. Vitalwertebogen
  15. Injektionsprotokoll
  16. Durchführungsbogen
  17. Medikamentenliste
  18. Wundprotokoll
  19. Betäubungsmittelprotokoll
  20. Infusionsplan
  21. Bogen für Kommunikation mit dem Arzt
  22. Pflegebericht
  23. Pflegevertrag
  24. Schlüsselübergabeprotokoll
  25. Protokoll über Freiheitsentziehende Maßnahmen
Da frag ich mich doch ob das noch normal ist. Wenn ich bei einem Patienten bin wo ich fünf Minuten brauche um medikament zu verabreichen und 10 um zu dokumentieren. :schraube:
 
Eben habe ich das Stichwort MDK gelesen, aber vorher auch das Stichwort Tätigkeitsnachweis.
Der Pflegebericht ist für uns in der MDK-Verfahrensbearbeitung besonders wichtig. Belegt der doch, wenn gut geschrieben nicht nur DRG relevante Nebendiagnosen, sondern auch u. U. warum der Patient länger im Krankenhaus geblieben ist, als in der FPV vorgesehen ist.
Tagtäglich lese ich Pflegeberichte, die null Aussagekraft haben. Wie z.B. nix Besonderes. Aber schaut man dann in die Fieberkurve sieht man, dass der Patient in diesem Zeitraum seinen Bedarf an Schmerzmitteln bekam. Warum schreibt das nur keiner in den Pflegebericht, dass der Patient Schmerzen (am Besten mit Schmerzskalawertung) angibt.
Warum schreibt kaum einer in den Aufnahmebogen, dass der Patient allein lebt und häuslich nicht versorgt ist? Denn auch das kann für uns eine Argumentation gegenüber dem MDK sein, warum ein Patient nicht ambulant behandelt bzw. operiert wurde.
Können wir weder Aufwand für Nebendiagnosen bzw. Gründe für eine Aufnahme finden, geht der Klinik Geld verloren. Fehlt Geld, spüren wir alle es wieder am Stellenschlüssel.
Ich hoffe, dass es bald EDV-Unterstützung für die Pflege gibt, die Anhand von Satzbausteinen eine schnell und vollständige Dokumentation ermöglicht.
By the way. Die PPR-Einstufungen zählen beim MDK i.d.R. nicht als Nachweis für einen Aufwand.
 
Was weiß der MDK eigentlich über Pflegediagnosen (z.B. NANDA, INCP), über Pflegeinterventionen (z.B. NIC), Pflegeergenisdokumentation (z.B. NOC)?

Ist die internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) bekannt?

Welche Pflegebedarfsassessments kennt der MDK (z.B. FIM)?

Welche Dokumentationen der tatsächlich ausgeführten Pflegemaßnahmen kennt der MDK (z.B. LEP, PPR)?

Zusammenfassend: was interssiert den MDK überhaupt, wenn es um PFLEGE geht- also nicht um die Erbringung von diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen im medizinischen Kontext?

These: Gar nicht. Denn anders läßt sich der zunehmende Pflegepersonalmangel in Krakenhäusern, Pflegeinrichtung und der ambulanten Pflege nicht erklären.

By the way- es wäre gut das Personal zu schulen, welche Parameter wichtig sind und nicht alles einfach zu erwarten. Ich denke, auch ein Kodierer lernt sein Handwerk nicht in der dreijährigen Grundausbildung.

Elisabeth
 
Was weiß der MDK eigentlich über Pflegediagnosen (z.B. NANDA, INCP), über Pflegeinterventionen (z.B. NIC), Pflegeergenisdokumentation (z.B. NOC)?

Ist die internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) bekannt?

Welche Pflegebedarfsassessments kennt der MDK (z.B. FIM)?

Welche Dokumentationen der tatsächlich ausgeführten Pflegemaßnahmen kennt der MDK (z.B. LEP, PPR)?

Die sind sehr wohl bekannt. Nur so nebenbei, die PPR zählt nur noch im Rahmen der Kostenträgerrechnung und der Berechung der Pflegeminuten (Wobei hier der PPR mittlerweile auch schon lächerlich unvollständig ist), aber nicht als Nachweisdokument bei einer externen Fallprüfung durch wen auch immer (MDK, Krankenkasse, Justiz)

Zusammenfassend: was interssiert den MDK überhaupt, wenn es um PFLEGE geht- also nicht um die Erbringung von diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen im medizinischen Kontext?

Hier interessieren vor allem, bei leider immer mehr weniger werdenden DRG relevanten Nebendiagnosen, Gründe warum ein Patient z.B. so lange in der Klinik war. Wenn im Pflegeverlaufbericht keine Gründe wie z.B. ständige Kollapsneigung, plötzliche langanhaltende Diarrhoe, Wundkomplikationen etc. zu finden sind, müssen die Krankenhäuser Fallkürzungen hinnehmen. Übrigens, in die länge gezogene Diagnostik und zu spät begonnenes Entlassmanagement bei häuslich nicht versorgten Patienten führt ebenfalls zu Fallkürzungen. Denn für unsere "Schlamperrei" im Krankenhaus kann weder der Patient noch der Kostenträger was.

These: Gar nicht. Denn anders läßt sich der zunehmende Pflegepersonalmangel in Krakenhäusern, Pflegeinrichtung und der ambulanten Pflege nicht erklären.

Oh doch, die Arbeit der Pflege interessiert sogar mehr als man glaubt. Nahzu täglich bekomme ich Anforderungen vom MDK, dass wir Pflegeberichte liefern sollen.

Zum Thema Personalmangel. Da Pflegestellen immernoch anhand der durchschnittlichen Verweildauer der Patienten und nicht nach ihrer Leistung errechnet werden, werden die Stellen mit sinkender Verweildauer auch weiter reduziert. Denn da immer schneller entlassen wird, werden auch immer mehr Patienten versorgt. Halt mit weniger Personal.


By the way- es wäre gut das Personal zu schulen, welche Parameter wichtig sind und nicht alles einfach zu erwarten. Ich denke, auch ein Kodierer lernt sein Handwerk nicht in der dreijährigen Grundausbildung.

Hier kann ich nur sagen, dass in unserem Haus bis jetzt immer nach Bedarf geschult wurde. Ab nächstem Jahr ist die Schulung "Richtige Pflegedokumentation im Zeitalter der DRG" Bestandteil der internen Fort- und Weiterbildung. Außerdem schulen wir diesen Part auch im Rahmen von Prozessänderungen im Entlassmanagement. Sollte der Wunsch nach Schulung bestehen, sollte das eigene MCO angesprochen werden. Das ist deren Aufgabe.

Elisabeth

Scheubi
 
Zu diesem Thema hätte ich aus aktuellem Anlaß - meine Kollegin und ich erarbeiten eine neue Pflegedokumentationsmappe - eine ganz praktische Frage: wir finden nirgendwo ein Register aus Plastik mit mindestens 20 Trennungen und das im Querformat.
Könnte uns da jemand weiterhelfen ??
 

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