Das kultursensible Krankenhaus

Jillian

Poweruser
Registriert
29.10.2013
Beiträge
1.398
Beruf
GuKP
Akt. Einsatzbereich
Kurzzeitpflege
Funktion
Dauernachtwache
Hallo,

Bedingt durch die letzten Jahre dürften in so ziemlich jedem Krankenhaus auch Menschen und Kulturen Einzug halten, die uns fremd erscheinen mögen. Seien es Familien- und Rollenbilder, Glaubensgrundsätze und religiöse Anschauungen, Kulturgüter und Lebenseinstellungen, die nicht immer mit unserem eigenen Verständnis von Leben und Tod sowie der Pflege konform gehen müssen.

In meinem Wunsch, diese mir fremden Menschen zu verstehen, statt sie pauschal abzuurteilen, stoße ich auf unzählige Schwierigkeiten, die der Pflegealltag mit dieser Patientengruppe mit sich bringt.

Ich interessiere mich immens dafür, wie andere Häuser umgehen mit Problemen wie z.B.
- der Versorgung Sterbender und Toter in den Religionen
- der Regelung von Besuchszeiten
- Respektieren von kulturell begründeten Wünschen wie unter fließendem Wasser gewaschen werden
- Überwindung von Sprachbarrieren rund um die Uhr
- Rollenbilder bei Pfleger und Patient
- to be continued...

Wie handhabt ihr das, wenn die ganze 10köpfige Familie den kompletten Nachmittag im Krankenzimmer verbringen will?
Wenn der männliche bettlägerige Patient sich nur von einem Mann und nur unter fließend Wasser waschen lassen will?
Wenn strenggläubige Patienten in Ausübung ihres Glaubens die Therapie sabotieren?
Oder der kürzlich verstorbene Patient entsprechend seiner Kultur nur von den gläubigen Angehörigen zu versorgen und innerhalb von 24h zu bestatten sei?

Ich bin gespannt auf eure Erfahrungen und Ideen.
 
Ich kann nur von meiner Palliativstation berichten, das ist nicht repräsentativ:

  • Wie handhabt ihr das, wenn die ganze 10köpfige Familie den kompletten Nachmittag im Krankenzimmer verbringen will? - Wir haben Einzelzimmer, insofern ist das schon möglich. Im Interesse des Patienten bitten wir nicht selten darum, sich am Bett abzuwechseln (das ist übrigens völlig unabhängig vom Kulturkreis. Auch bei deutschen Patienten gibt sich zum Teil der ganze Ort die Klinke in die Hand, das wird oft zu viel für die Betroffenen). Bei Pflegemaßnahmen bitten wir die Angehörigen hinaus bis auf ein, zwei, die uns behilflich sein können.
  • Wenn der männliche bettlägerige Patient sich nur von einem Mann und nur unter fließend Wasser waschen lassen will? - Schwierig bei nur wenigen männlichen Pflegekräften im Team, hatten wir aber noch nie. (Meines Wissens gibt es in muslimischen Ländern ausschließlich weibliche Pflegekräfte und mit Sicherheit auch männliche Patienten, also ist das eine erlaubte Ausnahme.) Ansonsten müssen eben die Angehörigen bei der Körperpflege helfen. Fließend Wasser ist bei mobilen Patienten kein Problem; ich kann mich nicht daran erinnern, dass dies bei Bettlägerigen jemals erbeten wurde. Viele der Angehörigen versorgen ihre Leute ja im ambulanten Bereich selbst und werden da die Unmöglichkeit von fließendem Wasser im Bett erkannt haben.
  • Wenn strenggläubige Patienten in Ausübung ihres Glaubens die Therapie sabotieren? - Wenn ein Patient eine Therapie oder Behandlung ablehnt, wird dies dokumentiert und fertig. Das kann der Zeuge Jehovas mit seiner Ablehnung der Blutkonserven sein oder der 80jährige, der keine Dialyse mehr möchte. Wir respektieren das.
  • Oder der kürzlich verstorbene Patient entsprechend seiner Kultur nur von den gläubigen Angehörigen zu versorgen und innerhalb von 24h zu bestatten sei? - Mich hat man einmal gebeten, den Verstorbenen mit Handschuhen zu versorgen; dadurch berühre ich ihn als Andersgläubige nicht. Es gibt Bestattungsinstitute, die sich auf muslimische Verstorbene spezialisiert haben. Die regeln dann alles auch recht fix. Für die Leichenschau reicht das Zeitfenster locker.
 

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