Pflegediagnostik in der Praxis

hartwig

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02.04.2006
Beiträge
338
Beruf
Krankenpfleger
Akt. Einsatzbereich
Dozent, Stationäre Pflege
Moin, moin!

Warum ist eigentlich die Pflegediagnostik in der Praxis kaum verankert? Wenn Pflegende von Diagnostik sprechen, meinen sie in der Regel die medizinische Diagnostik aber nicht ihre eigene. Wahrscheinlich weiss jeder, was ein KfZ - Mechaniker meint, wenn er von einer "Diagnostik" spricht", niemand kommt auf die Idee, dass der Meister plötzlich "Arzt" spielt. Im Gegensatz dazu verbindet die Öffentlichkeit das Wort "Pflegediagnostik" sofort mit dem Arztberuf und selbst Pflegende assoziieren diesen Begriff meiner Erfahrung nach in erster Linie mit dem Arzt - Nach dem Motto: "Diagnostik macht bei uns der Arzt, wir machen hier Pflege!".
Das heisst natürlich nicht, dass Pflege nicht diagnostiziert, in der Regel gründet sich die Entscheidung für oder Gegen eine Pflegemassnahme ja auf irgendeiner Grundlage, aber dieser Prozess ist wenig strukturiert und greifbar und verläuft selten auf Basis einer wissenschaftlichen Grundlage.
Woran liegt das? Ist es die Angst vor der Verantwortung? Fehlende Kenntnisse? Liegt es an der Ausbildung, weil Pflegediagnostik im Unterricht meines Wissens nach nicht explizit gelehrt wird? Wo liegt das Problem?

Gruss Hartwig
 
Wo hättest du die Begrifflichkeit Pflegediagnostik denn gern zur Sprache gebracht?
In der Öffentlichkeit, in den medien? (dafür gibts bereits Threads).

Oder möchtest du gern zum Pat gehen und sagen "Ich habe heute ausführliche Pflegediagnostik betrieben"
Geht es hier um Profilierung?

Wenn ein Pat dich nach Diagnostik fragt, meint er in erster Linie seine Krankheit und die dazugehörige ärztliche Diagnostik. Ist logisch.
Es werden von Pat, oder aber eher von Angehörigen, auch durchaus pflegediagnostische Dinge hinterfragt, nur nutzen sie dafür diese Begrifflichkeit nicht.
Hättest du das gerne? Reicht es nicht einfach zu antworten, muss dabei klar werden, dass du "diagnostiziert" hast?




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Jetzt der andere Teil deines Threads: Warum große Teile der Pflege wenig auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse arbeiten, sondern sich auf Erfahrungen verlassen, ist eine andere Frage.
Wurd auch schon ein paar Mal besprochen. Dies hier auszuführen führt sicher zu weit.
Außerdem wirst du solche Leute eher weniger hier treffen, denn wer sich online weiterbildet, ist nicht auf dem Stand, der hier angesprochen wird; bzw. den ich meine.
 
Wo hättest du die Begrifflichkeit Pflegediagnostik denn gern zur Sprache gebracht?
In der Öffentlichkeit, in den medien? (dafür gibts bereits Threads).

Oder möchtest du gern zum Pat gehen und sagen "Ich habe heute ausführliche Pflegediagnostik betrieben"
Geht es hier um Profilierung?

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Es geht weniger um den Begriff als solches, sondern erst einmal darum, es überhaupt zu tun...! Dass der Bergiff "Pflegediagnostik" kaum im pflegerischen Sprachgebrauch auftaucht, resultiert ja meiner Meinung nach gerade daher, weil Pflege nicht, oder zumindest nicht strukturiert diagnostiziert! (Es gibt immer Ausnahme, ich spreche hier von einem allgemeinen Verhalten) Meine Frage war: Warum ist das so?

Gruss Hartwig
 
Hiho!

Im Rahmen einer Unterrichts Lerneinheit "Pflege als Wissenschaft" habe ich unseren Lehrer darauf angesprochen, ob wir nicht mal was in Richtung NANDA/NIC/NOC machen könnten. Hatte auch nur über das Forum hier gehört.

Aber was nutzt das im Endeffekt? Plötzlich dümpeln 20 Schüler verteilt in ganz Deutschland mit Kenntnissen über diese "Pflegediagnosen" herum und versuchen etwas in ein riesen Pflegeapparat einzubringen.

Die Problematik, die vorallem bei uns häufig vor kommt, ist, dass die Pflegeplanung (bei uns explizit im Haus) absolut im Hintergrund steht. Pflegeplanungen werden mit "Urinflasche, DK-Pflege n. Standard, Viggopflege n. Standard" etc befüllt.


Was Maniac anspricht, diese von ihm als "Profilierung" geltende Bewegung, kann ich nicht so ganz zustimmen. Es ist ein notwendiges (Übel?^^) sich auf präzise Patientendaten in der Pflege zu beschränken. Von Ganzheitlichkeit kann da nicht unbedingt gesprochen werden, aber welcher Patient möchte seine Seele schon im Krankenhaus baumeln lassen?
Die Aufdröselung nach ATLs oder AEDLs ist doch für den Akutbereich zu unübersichtlich.

Ich denke, dass so eine Präzision der Begrifflichkeiten, wodurch man dann doch von einer "Diagnose" sprechen kann (wobei ich hier nicht um den Begriff feilschen möchte)
 
Hiho!

Im Rahmen einer Unterrichts Lerneinheit "Pflege als Wissenschaft" habe ich unseren Lehrer darauf angesprochen, ob wir nicht mal was in Richtung NANDA/NIC/NOC machen könnten. Hatte auch nur über das Forum hier gehört.

Aber was nutzt das im Endeffekt? Plötzlich dümpeln 20 Schüler verteilt in ganz Deutschland mit Kenntnissen über diese "Pflegediagnosen" herum und versuchen etwas in ein riesen Pflegeapparat einzubringen.

Tja,

eigentlich eine Schande, dass dieses Thema scheinbar immer noch nicht (oder wohl zumindest nicht im angemessenden Umfang) Eingang in die Ausbildung gefunden hat... Allerdings muss man auch sagen, dass eine Pflegediagnose am Ende des diagnostischen Prozesses steht, es ist ein Ergebnis, man kann in der Schule nicht sinnvoll über Pflegediagnosen sprechen, wenn nicht gelehrt wurde, wie und was Pflege untersucht und wie man zu einer Diagnose gelangt! Hier erlebe ich Pflege immer noch zu sehr handlungsorientiert. Wir lernen in der Ausbildung die unterschiedlichsten Pflegemassnahmen kennen wissen aber kaum, unter welchen Bedingungen diese anzuwenden sind. Beispiel Pneumonie-/Atelektasenprophylaxe - am Ende des Unterrichts kennt der Schüler jede Menge prohylaktischer Massnahmen,weiss aber nicht, unter welchen Bedingungen welche Massnahme in welcher Dosierung anzuwenden ist. Das Ergebnis: Er wählt aus Unsicherheit lieber gar keine Massnahme aus, lässt sich entsprechendes vom Arzt vorschreiben und konzentriert sich im weiteren auf das Einreiben des Rückens mit diversen Gels - schliesslich machen das die anderen das ja auch so, also wird es schon richtig sein.
Um Verantwortung für ein pflegerisches Handel zu übernehmen, um vielleicht in ferner Zukunft einmal die rechtliche Grundlage zu haben, eigenständig eine Pflegemassnahme anordnen zu können, muss ich wissen, wie ich überhaupt zu einer solchen Entscheidung kommen, sprich, ich muss diagnostizieren. Warum ist eine Massnahme, die für das pflegerische Tun die Basis ist so wenig präsent?

Gruss Hartwig
 
Mein Senf dazu:
Es scheint mir auch so, dass das Konzept der Pflegediagnostik in der Ausbildung kaum beachtung findet. Auf welchem steinzeitmäßigen Niveau sich die deutsche Pflegeausbildung im internationalen Vergleich befindet, hatte ich bereits in anderen Threads erwähnt.

Pflegediagnostik wird oft aber auch gar nicht oder falsch verstanden. Ich selbst schließe mich da nicht aus.

Schönes Beispiel ist das St. Joseph Krankenhaus Tempelhof. Hier hatte die Abteilungsleitung der Pädiatrie Pflegediagnosen nach NANDA eingeführt. Die Implementierung war allerdings relativ praxisfremd. Die Mitarbeiter wurden kaum geschult. Daher war die Akzeptanz des Systems und dessen Nutzen bzw. Mehrwehrt auch praktisch nicht vorhanden. Der Widerstand war ehr extrem!
Erst nachdem sich besagte Abteilungsleitung in Rente verabschiedete, hat deren Nachfolger erstmal das ganze System abgesägt, um dann in Ruhe ein neues Pflegeplanungs- oder Pflegediagnostiksystem zu implementieren.
Das Ende vom Lied kenne ich allerdings nicht, da ich zu diesem Zeitpunkt das Haus verlassen habe.

Bisher ist mir leider noch keine realistische und praxistaugliche Implementierung von Pflegediagnostik unter gekommen. Für positive Beispiele wäre ich überaus dankbar!

Trotz meiner negativen Erfahrungen, halte ich das Konzept nachwievor für überaus genial! Aber es dürfte noch einige Jahrzehnte dauern, bis wir allen Pfleger(innen) das "Denken mit dem Schwesternhäubchen" abtrainiert haben.
 
Bei uns werden die Pflegediagnosen nach NANDA vom ersten Block an unterrichtet. Man schreibt als Schüler im Laufe der Ausbildung Dutzende von Pflegeplanungen mit Hilfe der Pflegediagnosen. Stellen kann ich die natürlich erst nach Anamnese und Patientenbeobachtung (über die Definition, die zu jeder Diagnose dazugehört). Im Krankenhaus gibt es derzeit noch eine Mischform aus selbst formulierten Pflegeproblemen und NANDA-Diagnosen, je nach Ausbildung der Schwester, die sie in den dafür in der Kurve extra vorgesehenen Bereich schreibt. Ich benutze NANDA, weil ich nicht einsehe daß ich mir was aus den Fingern saugen soll in Sachen Formulierung, wenn ich auch einfach auf einen NANDA-Titel zurückgreifen kann. Im KH sind die Pflegeplanungen eher kurz, Maßnahmen werden gerne mit den dazu passenden Standards abgekürzt (auch nichts anderes, als die passende NIC-Nr. rauszusuchen - ja, die werden bei uns auch unterrichtet, aber leider mangels deutscher Übersetzung noch nicht angewandt), die nur Nummern sind aber alle möglichen Maßnahmen zu einem Thema beinhalten was genau ich dann gemacht habe muß ich evtl. noch im Pflegebericht festhalten). Für die Schule und praktische Prüfungen (hatte grad Mittwoch eine) muß ich natürlich alle Maßnahmen ausformulieren....
 
auch wir haben in der schule das schreiben von pflegediagnosen nach NANDA gelernt und auch geübt. auf den stationen gibt es pflegediagnosen aber kaum. und wenn doch, dann nur in form von zetteln auf denen das, was am ehesten passt angekreuzt wird. selbstgeschriebene diagnosen hab ich noch nirgens gesehn.
und wenn ich ganz ehrlich bin, so wirklich hat sich mir der sinn von pflegediagnosen noch nicht erschlossen (bitte nicht steinigen :emba: )
ich verstehe schon, dass man damit versucht die pflege zu "professionalisieren". aber doch eigentlich nur am papier. für den patienten hat das keine auswirkung. die pflegemaßnahmen werden, wenn es eine gute dienstübergabe gibt, doch sowieso durchgeführt und dokumentiert. warum muss man das also nochmal alles auf einen eigenen zettel schreiben? verändert sich dadurch für den patienten irgendwas?

vielleicht könnt ihr ja licht in mein dunkel bringen :mrgreen:
 
Ich für mich finde die Probleme des Patienten werden noch mal genau benannt, jeder, der die Kurve in die Hand nimmt, sieht sie zusammen mit den Zielen und Maßnahmen auf einen Blick und kann in seiner Schicht entweder weitermachen oder die betreffende Diagnose als erledigt abzeichnen. Außerdem kann man an den neu hinzugekommenen oder abgehakten Diagnosen einen gewissen pflegerischen Verlauf ablesen....
 

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