Lieber Leser,
ich möchte hiermit weder jemandem zu etwas raten, noch mich in ein endloses Klagelied ergießen.
Dies dient mehr meiner eigenen Sortierung. Aber vielleicht kann jemand aus meinen Gedanken etwas (nachvoll-)ziehen oder nachempfinden.
Ich, Krankenpfleger, habe meinen Dienst meist gerne gemacht. Doch irgendwann kam der Punkt an dem ich für mich festgestellt habe, dass sich dieser „Job“, manche sehen Ihn auch als Berufung, nicht mehr mit mir selbst vereinbaren lässt. In der Ausbildung hatte ich hochmotivierte Lehrer, in der Pflege mit Herz und Seele dabei. Natürlich habe ich auf den Stationen manchmal eine gute und manchmal eine schlechte Ausbildung erfahren. Auf jeden fall war es schon als Azubi meist schwer die Versorgung von Patienten so zu gestalten, dass ich selber am Ende des Dienstes das Gefühl hatte heute etwas geleistet und bewegt zu haben.
Dann als ich irgendwann mein Examen in der Tasche und auf einer riesigen Intensivstation angefangen hatte, merkte ich schnell wie ich an meine Grenzen stieß. Die Arbeitsbelastung und der gnadenlose Schichtdienst/Dienstplan forderten ihren Tribut. Ich merkte das ich immer schneller arbeitete, um den Erwartungen, die ich selber an meine Arbeit hatte und die an mich gestellt wurden, zu entsprechen. In der Zwischenzeit war ich durch die andauernden Schaukeldienste maximal erschöpft und müde. Ich war zu Hause nur ein Häufchen Elend und habe mich in jeder freien Minute vor dem PC oder meiner Konsole verkrochen und dabei gar nicht realisiert, dass ich einfach nur noch verdrängen wollte, dass ich niemanden mehr sehen wollte, mit niemandem mehr sprechen wollte. Mein damaliger Freundeskreis brach weg. Meine damalige Freundin war auch Krankenschwester und arbeitete in 12 Stunden Diensten, oft zu anderen Zeiten wie ich. So kam es, dass wir uns oft nur alle zwei Wochen an unserem freien Wochenende sahen, obwohl wir zusammen gewohnt haben. Klar haben wir im selben Bett geschlafen, doch ansonsten fehlte oft die Kraft etwas zu unternehmen. Das ging ein Jahr so. Ich funktionierte nur noch. Wie ein Roboter. Aufstehen, Arbeiten, Abschalten, Schlafen. Und wieder das selbe.
Dann irgendwann hatte ich die Schnauze voll. Es musste sich etwas ändern. Also kündigte ich, wir trennten uns, lösten die Wohnung auf und ich ging auf Reisen, um wieder zu mir selbst zu finden. In diesen Monaten war ich nicht mehr müde. Schlief regelmäßig, fing an wieder Sport zu treiben, zu sprechen, auf andere Menschen zuzugehen, zu leben, was mir vorher so lange versagt war. Ich ging zwei Wochen wandern, kletterte auf über 5400m, nahm diese Hürde und fühlte mich beseelt, glücklich, wieder als Teil dieser Welt und Menschheit. Ein kaum zu beschreibendes Gefühl.
Ich kam also wieder, regeneriert, voller Hoffnung mit neuem Idealismus und dachte mir: „Versuch es doch noch einmal, vielleicht war das einfach ein schlechter Arbeitgeber.“
Ich versuchte es noch einmal auf einer peripheren Station frohen Mutes und freute mich richtig wieder zu arbeiten, wieder mit Menschen zu arbeiten. Doch schnell merkte ich das alles sogar noch schlechter lief als bei meiner Arbeit zuvor. Die Krankenschwestern/Pfleger hatten, im Gegensatz zu der Klinik in der ich vorher arbeitete, eine sehr dienende Rollte gegenüber den Ärzten eingenommen, fast devot. Man versuchte sogar noch mehr Aufgaben auf uns abzuwälzen, obwohl man nur das nötigste in der vorhandenen Zeit für die Patienten machen konnte. Dazu war man chronisch unterbesetzt, heillos überfordert, teilweise dadurch aggressiv den Patienten gegenüber. In den paar Monaten dort habe ich bei mir selbst bemerkt wie mein Verhalten auch in diese Richtung tendierte. Ich manchmal im Stress (also dauerhaft) kurz angebunden war, noch 1000 Sachen zu erledigen hatte und nicht mehr mit Herz und Seele dabei war, mich zu Hause wieder vor meinen PC zurückzog und massivste Schlafstörungen nach den Nachtdiensten entwickelte. Inzwischen brauche ich ca. eine Woche um wieder in einen normalen Schlafrythmus zu kommen, wenn ich Nachtdienst hatte. Nachts muss dort Akkord gearbeitet werden. Pausen können in 50% der Dienste gar nicht genommen werden, weil man sonst seine Arbeit nicht schafft. In 45% nur alle 5 Minuten von der Klingel unterbrochen (das sehe ich nicht als Pause an). Und beim Rest hat man halt manchmal Glück.
Wenn jemand krank wird, wird kein Ersatz ran geholt, sodass man gerne mal alleine im Frühdienst das machen darf was sonst 3 Pflegekräfte machen und man andauernd gefragt wird ob man einspringen könne. Zwei Stationen z.T. Im Nachtdienst betreuen ist auch keine Seltenheit. Man freut sich schon sehr, wenn mal mal eine normale Besetzung zusammenbekommt.
Wenn eine Überlastungsanzeige geschrieben wird, wird dem Arbeitnehmer vorgeworfen wie er denn die Zeit habe eine zu schreiben, wenn er doch überlastet sei. Diesen Zynismus kann man kaum noch überbieten.
Somit bereue ich zutiefst das ich diesem Job noch eine Chance gegeben habe. Mich nochmal der Illusion hingab es könnte woanders besser sein. Irgendwo hörte ich mal zu Motivation gehört auch immer ein großes Stück Naivität. Der Glaube es könnte besser sein/werden wenn man aktiv etwas tut.
Jetzt war ich selbst als Patient im Krankenhaus. Ich habe in drei Tagen 5 Minuten Diagnostik bekommen. Habe die Pflegekräfte drei mal am Tag zum Essen austeilen gesehen. Diese waren, wenn sie mir nur das Essenstablet hingestellt haben kurz angebunden und schnell wieder weg. Ich war mir also im Prinzip selbst überlassen.
Doch so traurig es klingt, in ihren müden, durch Nachtdienst und Stress gezeichneten Gesichtern konnte ich mich selber wiedererkennen und erschrak, als ob mir jemand den Spiegel vorhält und mir sagt: „Willst du das? Willst du dir das wirklich geben? Für ca. 10-11€ Brutto in der Stunde inkl. Schichtzulagen deinen Schlaf, deine Wochenenden, dein Leben, deine Liebe, deine Seele opfern? Für was? Damit du später, weil wenige Freundschaften einen unregelmäßigen Kontakt aushalten und neue durch unregelmäßigen Kontakt noch viel weniger/schwerer (ausserhalb des Krankenhauses) entstehen, irgendwann nur noch deinen Job und deine Kollegen hast? Die Station zu deinem zweiten zu Hause wird? Für was? Um den Menschen zu helfen? Weil du denkst du machst diesen Planeten zu einem besseren Ort für alle? Wird er auch für dich dadurch besser?“
Das für mich prägendste Erlebnis waren weder die blutigen Reanimationen auf der Intensivstation, wo ECMO und ECLS unter Reanimation in den Menschen reingejagt wurden, die Menschen nach einer disseminierten intravasalen Koagulopathie anfingen aus allen Löchern zu bluten oder das einem Patient alle 4 Gliedmaßen, nachdem Arme und Beine nach langer Suprarenin-Gabe, abgestorben waren und amputiert werden mussten, noch in die verzweifelten weinenden Augen von jemandem zu blicken der unter Reanimation und ELCS Ödeme entwickelte, dass ihm die Augäpfel aus den Augen traten, nicht wiederzuerkennen war, und danach einen Schlaganfall mit anschließender Hemiplegie erlitten hatte,
noch die Sterbenden auf der palliativ Station, wo ich in der Ausbildung war, wo einer aufgrund eines malignen Ca., dass in den Vagus eingewachsen war bei jedem kleinen Hustenstoß sich schwallartig erbrechen musste und seinen Stuhl nicht mehr halten konnte, dabei aber bei vollem Bewusstsein war. Oder die verzweifelten Augen einer Glioblastom-Patienten (Mutter von zwei kleinen Kindern) und deren Angehöriger zu blicken, nachdem ihr mitgeteilt wurde, dass sie nur noch ein paar wenige Monate habe. Diese ganze Verzweiflung konnte ich ertragen, konnte damit umgehen, weil ich die Zeit hatte etwas zu machen, die Situation zu verbessern, Trost zu spenden, da zu sein, zuzuhören.
Mit diesen Erlebnissen könnte ich bestimmt noch ein paar Seiten füllen. Ich belasse es aber dabei. Die rechtlich fragwürdigen Behandlungsfehler (man sollte schon das Kreuz auf der richtigen Seite machen) lass hier mal raus.
Das prägenste Erlebnis war bei meiner neuen Arbeitsstelle. So banal es auch klingen mag.
Dort hingegen verzweifelte ich an meiner eigenen Ohnmacht und Hilflosigkeit in voller Überforderung im Nachtdienst als eine Patientin da lag, komplett ungewaschen und ungepflegt, Gesicht und Haare von einer dicken Patina aus Hautschuppen bedeckt, Dekubitus 4. Grades an Rücken und Steiß und ich sie anschnauzte warum sie nun schon zum 3. mal geklingelt hatte, um eine zweite Decke zu bekommen, weil sie frohr.
Ich erkannte mich selbst nicht wieder, entschuldigte mich bei ihr, ging fix eine Decke holen und mummelte sie ein. (die Wege dort sind sehr lang, wollte ihr die eigentlich geben, wenn ich mit dem Rundgang fertig war).
Das Erschrecken über ihren Zustand (vollkommen verwahrlost) in dem meine Kollegin sie da gelassen haben, meine eigene Machtlosigkeit, weil ich keine freie Minute hatte, brachten mich nach langem Nachdenken zu der Erkenntnis, dass ich dies nicht mehr mitmachen möchte.
Das mag sich vielleicht noch relativ harmlos anhören, doch für mich ist diese Frau, in ihrer Verwahrlosung, zu einem Vorboten für die Zukunft geworden und für das große Problem in dem sich das Gesundheitssystem mit uns, Krankenschwester/Pfleger, als größte Berufsgruppe befindet.
Die Krankenpflege ist für mich ein unmenschlicher Beruf geworden. Ein Hamsterrad, eine Tretmühle ein Stressfaktor in meinem Leben der mich auf lange Sicht psychisch und physisch auslaugen wird. Klar jeder erlebt Stress und Überforderung anders aber für mich ist das Maß voll.
Ich werde mich jetzt etwas fachlich weit entferntes studieren, nicht Medizin, wie ich es seit dem Abi geplant hatte. Ich werde mich bilden und werde mich nie wieder in meinem Leben in ein System aus ermüdenden Routinen reinpressen lassen, in denen ich außer meinen eigenen Grenzen, deren Überschreitungen und deren negativen Effekte auf mich im chronischen Ausnahmezustand, nichts lernen werde.
Mich nicht weiter dem Kostendruck und Gewinnstreben von Krankenkassen und Personalverwaltern entsprechend ausbeuten lassen.
Mich nicht von einer viel zu schwachen Gewerkschaft vertreten lassen, die maginale Änderungen erwirkt die eher dem aufrechterhalten des Status quo dienen (Inflationsausgleich). Ich will streiken dürfen ohne in Konflikt mit einer direkten Verantwortung gegenüber den mir Schutzbefohlenen (Patienten) zu kommen.
Ich will wissen das ich am Wochenende zu Geburtstagen gehen kann. Möchte mein Leben länger als einen Monat im vorraus planen können und nicht so lang wie der Dienstplan reicht, Weihnachten und Silvester frei haben.
Wieder im Verein Sport machen. Ich möchte krank sein dürfen ohne zu denken wie überfordert meine Kollegen jetzt sind. Viel zu oft habe ich mich schon mit einer Grippe zum Dienst geschleppt.
Ich will wieder regelmäßig schlafen können und nicht dauernd müde sein. Wieder die Kraft haben mich gegen Missstände aufzulehnen und nicht vor Kraftlosigkeit alles erdulden, weil das dagegen vorgehen mir zu viel Kraft kostet und außer weiteren Stress nichts bringt.
Es mag feige wirken einfach so zu gehen, sich nicht dagegen zu stemmen und mit aller Macht etwas dagegen zu tun. Sich nicht aktiv in die Gewerkschaft einzubringen.
Bloß wurde bei dem ersten und einzigen Warnstreik den ich miterlebt habe, direkt ein bereits ausgehandelter Vertrag mit Friedenspflicht eingeführt der gegenüber den gestellten Forderungen das geringere Übel war. Der Streik verpuffte also als er noch gar nicht richtig begann.
Armes Deutschland, wie du deine Schwächsten versorgen lässt und wie du uns, die es für dich tun, für ihre Mühen belohnst.
Allen, die in diesem Beruf bleiben wollen, wünsche ich alles Gute. Auf das die Zukunft besser wird.
Für mich ist Schluss mit Schwester/Pfleger.
Natürlich sind alle o.g. Fälle frei erfunden und lassen keine Rückschlüsse auf reale Fälle zu...