Bin ich ein Exot, wenn ich für eine generalistische Ausbildung bin?
In meiner Weiterbildung zum Praxisanleiter hatten wir eine ursprünglich gelernte Krankenschwester, welche vor der Stelle an jenem Bildungszentrum (an welchem meine Weiterbildung war) woanders Leitung einer Altenpflegeschule war. Ihr habe ich eben diesen Weitblick wie die Vergleichsmöglichkeit zugetraut das Thema entsprechend beurteilen zu können. Sie verglich mit uns die Ziele bzw. Inhalte der aktuell geltenden zwei Ausbildungen (Gesundheits- und Krankenpflege & Altenpflege) und kamen zu einer gerundeten Deckungssumme von 70%. Wen es interessiert, kann ja mal selbst den Vergleich der beiden Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen wagen.
Weiter betonte sie gerade die Möglichkeit eines weiteren Horizontes in der Versorgung von zu Pflegenden - Eine Pflegekraft im Krankenhaus kann in meinen Augen einiges von einer Altenpflegekraft im Thema Biografiearbeit und Validation lernen und sich ergänzen lassen - im Gegenüber - kann eine Pflegekraft im Altenpflegebereich bestimmt noch von Ergänzung in der Behandlungspflege oder in der Krankheitslehre profitieren. (Nur Beispiele)
Das Argument, dass aus drei Ausbildungen dann 9 Jahre werden müssten ist meiner Ansicht nach also so haltlos. Dafür gibt es, wie oben bereits erwähnt, auch Überschneidungen. Und gerade wenn das Examen auf die entsprechenden Ausbildungsinhalte abgestimmt ist kann das auch funktionieren - nicht wie bei diversen Pilotprojekten in welchen drei Examina nach 3,5 Jahren Ausbildung geleistet werden sollten. Durchaus bin ich mir aber auch bewusst, dass die Ausbildung im generalistischen Konzept eine Andere sein wird - und muss. Grundlagen werden wichtiger, fachspezifisches für die ein oder andere spätere Qualifikation wird sich in extra Weiterbildungen oder Studiengängen wiederfinden müssen.
Aber gerade das ist es wo das deutsche Pflegeausbildungssystem meiner Wahrnehmung nach im europäischen, wie im vom Pflegestandard vergleichbaren Ausland hinterher hinkt. Pflegeausbildungen sind in den meisten anderen Ländern eben generalistisch, grundausbildend angelegt und auf Weiterentwicklungen ausgelegt. Und eben dieser internationale Vergleich ist für mich das schlagende Argument in dieser Diskussion. Warum sollte es in Deutschland scheitern, fehlschlagen oder die Qualität bedrohen, wenn es in so vielen Ländern funktioniert?
Btw.... mehr Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb einer Profession können durchaus die Attraktivität der Grundausbildung heben. In meinen Augen ist das zwar kein Argument, mit welchem man alleinig fürsprechen kann bzw. mit welchem man als Erstes in der Diskussion "pro oder kontra" antreten sollte - aber mir will es, wie im Satz zuvor angeführt auf der pro-Seite gelten.
Den Ursprung der Problematik des Personalmangels, jetzt wie in der Zukunft, kann ich persönlich nicht nicht in der Ausbildung verorten. Der Arbeitsmarkt ist auch nur ein Markt und reguliert sich durch Nachfrage und Angebot. Vielmehr müsste also der Arbeitgeber (auch wenn er das nicht gern hört) entweder etwas an verlangten Leitungsanforderung und/oder Arbeitsbedingungen für den Arbeitnehmer ändern oder den Preis für ihn dafür nach oben korrigieren.
Ich meine teilweise ähnliche Vorbehalte aus der Krankenpflege gegenüber der damals neuen Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung gehört zu haben.
"Plötzlich fehlen auf dem Stundenplan der Ausbildung ganze Schulfächer, dass kann doch nicht gut gehen." - War da wohl ein sinngemäßer O-Ton unter Weiteren. Aber vielleicht sehe ich das auch so, weil ich schon zu der Generation Gesundheits- und Krankenpflege gehöre. Dass es damals möglicherweise eine ähnliche Kontroverse gab meine ich nur von Kollegen zu wissen, selbst hab ich sie aber nicht mitbekommen. (so fair muss ich sein)
Ich meine die generalistische Pflegeausbildung ist eh schon politisch beschlossene Sache - also auch wenn der Zeitpunkt der Einführung noch nicht feststeht bzw. bisher verschoben wurde wird sie wohl kommen. Deshalb wäre es doch nützlicher eben diesen Einführungs- und Entstehungsprozess konstruktiv zu begleiten anstatt sich dem strikt entgegen zu stellen. Es werden doch hoffentlich unsere neuen Kollegen davon profitieren können, dass wir auf ihre zukünftige Ausbildung entsprechend unserer Erfahrung konstruktiv Einfluss genommen haben. Dann haben wir alle was davon. Die Neuen, Wir und auch die zu Pflegenden, welche dann dadurch sicher keine schlechtere Pflege zu befürchten haben. Ich meine, wenn wir die Chance zur Qualitätsweiterentwicklung der Pflegeausbildung inclusive ihrer nachfolgenden Weiterbildungsmöglichkeiten jetzt erkennen und nutzen kann sich die Pflege nur positiv weiterentwickeln und viele frühere Vorbehalte werden sich in Luft auflösen können.
Auf eine weitere lebhafte und konstruktive Diskussion zu dieser Kontroverse.
