Wenn Frau Doktor eine Schwester ist
Nordkurier, 25. September 2007
Waren/Greifswald/Schwedt Liane Timper schließt den Schlauch an die Flexüle in Frank Starkes Armbeuge an und die Elektrolytlösung rinnt in seine Vene. Nach einer abschließenden Magen-Spiegelung muss der Gastronom aus Ludorf (Landkreis Müritz) nüchtern bleiben und wird künstlich versorgt. Trotzdem sitzt Starke entspannt auf seinem Bett. „Erst war es Krankenhaus, jetzt ist es wie im Hotel“, scherzt er. „Wenn die Operationsklammern entfernt sind, müssen Sie aber wieder nach Hause“, sagt Liane Timper und lächelt.
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Waren ist nur ein Beispiel für ein grundlegendes Umdenken in zahlreichen deutschen Krankenhäusern. Landesweit sind Kliniken dabei, die Aufgabenverteilung zwischen Ärzten, Pflege- und Servicepersonal neu zu organisieren.
Schon zu DDR-Zeiten hatten Schwestern nach einem Fachschulstudium selbstständig Dialysen gemacht und Spritzen gegeben. Im Westen dagegen führte Ende der 70er-Jahre ein Mangel an Pflegekräften zu einer Abgrenzungspolitik der Fachverbände.
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Ärzte dürfen durch die neue Arbeitszeitrichtlinie nicht mehr so lange Dienst schieben wie früher. Aber eigentlich haben sie mehr zu tun. Patienten bleiben kürzer im Krankenhaus, dafür kommen mehr Kranke. Sie sind älter und leiden häufig an chronischen Erkrankungen. Kein Wunder also, dass auch an oberster Stelle darüber nachgedacht wird, Ärzte zu entlasten: Die „Arztzentriertheit“ der Krankenversorgung sei nicht immer effizient, schreiben die Gesundheitsweisen. Ihre Auftraggeberin, Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), schließt sich der Forderung an: Im deutschen Gesundheitswesen gebe es ein „großes ungenutztes Potenzial“.
Doch Schmidts Vorstoß ist umstritten. „Wenn originäre ärztliche Tätigkeiten nur aus ökonomischen Gründen auf Pflegeberufe verlagert werden, gefährdet das die Sicherheit der Patienten“, kritisiert der Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern, Wolfgang Gagzow.
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Detlef Kleemann, ärztlicher Direktor am Müritz-Klinikum, hält die Diskussion über medizinische Assistenten hingegen für hausgemacht: „Die Rechtsprechung in Deutschland ist konservativ, außerdem werden sich die Berufslobbys schwer tun, zu einem Konsens zu kommen, der für grundlegende Gesetzesänderungen notwendig wäre“, ist der Ärztechef überzeugt.
Dazu kommt, dass auch die Pflege an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit angelangt ist. „Die Zahl der Schwestern nimmt ab, die Aufgabenfelder wachsen“, gibt Warens Schwestern-Chefin Beate Smarsly zu bedenken.
Aber nicht nur das lässt die Unzufriedenheit in der Branche wachsen. „Als es darum ging, dass wir ärztliche Tätigkeiten übernehmen sollten, hatten wir das zunächst als positiv empfunden“, sagt die Greifswalder Stationsschwester Solveig Albrecht, „aber nur unter der Voraussetzung, dass es finanziell auch vergütet wird“. Und das sei bisher nicht der Fall.
Im Gegenteil: In Waren beispielsweise unterliegen jüngere Pflegekräfte einem hausinternen Tarifvertrag und bekommen laut Beate Smarsly sogar ein geringeres Gehalt
Roman Goll