Im Zeitalter des PEPP...

verenalgo6

Stammgast
Registriert
02.03.2008
Beiträge
332
Beruf
Gesundheits-und Krankenpflegerin für Psychiatrie
Akt. Einsatzbereich
Allgemeinpsychiatrische offen geführte Station
Funktion
PSL
Liebe psychiatrisch pflegenden Kollegen (und natürlich alle anderen die sich mit diesem Thema beschäftigen:-)) ,

2017 rückt näher und vor uns steht der Wechsel in das PEPP System.
Könnt ihr schon über erste Schritte in diese Richtung auf euren Stationen berichten? Was hat sich verändert bzw. was plant ihr zu verändern und vor allem, wie bereitet ihr eure Mitarbeiter und Kollegen auf das neue Entgeltsystem vor?
Wie ihr seht, konkrete Fragen habe ich kaum, es interessiert mich einfach alles drum herum was die stationäre Versorgung angeht.

Auf eure Antworten freue ich mich sehr!
LG Verena
 
Hallo Verena,
wir rechnen derzeit mit einer massiven Verschlechterung der Patientenversorgung und einer weiteren Personalreduzierung. Unsere Kliniken haben sich schon mal vorgerechnet, welche Verluste ohnehin mit PEPP prognostisch geschrieben werden - und das Ergebnis ist extrem erschreckend. Wir arbeiten mit "PEPP" - also innerhalb der budgetneutralen Testphase schon seit 2014/2015. In Berlin findet in Kürze eine großangelegte bundesweite Protestaktion statt.

Ben
 
Hallo Ben,

zunächst mal vielen Dank für Deine Antwort. Da ihr bereits an der Testphase teilnehmt meine Frage: Hat sich in eurer praktischen Arbeit diesbezüglich bereits etwas verändert? Wird z.B. anders dokumentiert? Habt ihr an euren Statinsabläufen Veränderungen vorgenommen? Und wie habt ihr all eure Mitarbeiter auf die kommende Zeit vorbereitet (gab es Schulungen, Fortbildungen etc.?)?

Lg Verena
 
Hallo Verena,
es gibt eine Pflicht-Fortbildung für PEPP. Veränderungen in der praktischen Arbeit gibt es in Form von zusätzlicher und umfangreicherer Dokumentation.

Ben
 
Ich denke mal dass die Einführung vom PEPP nicht gerade die beste Lösung ist, aber auch nicht die schlechteste. Genau wie bei der Einführung des DRG-Systems, bis heute wird noch nachjustiert. Aber im Großen und Ganzen denke ich dass es ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist.
 
@ schlitzkompresse: Welche Vorteile siehst du darin?
 
Die Vorteile sehe ich, im Bezug auf das DRG System, mit einer effizienteren Belegungssteuerung und Straffung des Behandlungsverlaufes. Dafür benötigt man ein gut funktionierendes Patientenmanagement. Klar ist es auf einer Psychiatrie schwieriger umzusetzen aber es ist machbar.
Ausserdem denke ich dass wir somit auch unnötig lange Krankenhausaufenthalte vermeiden können. Ich sehe es z.b. bei uns in der Klinik, durch die Einführung der DRG's hat sich vieles zum positiven Verändert. Auch wenn es sich abgedroschen anhört. Letztendlich geht es ums Geld, es ist unser Gehalt was durch den Patienten "gebracht" wird.
Langfristig gesehen werden dadurch auch Kliniken die weniger wirtschaftlich arbeiten vom Markt verschwinden, was zwar tragisch ist, aber durchaus auch ein gewollter Effekt durch die Politik ist.
 
Du kannst aber nicht Krankheiten in der Allgemeinklinik mit denen in der Psychiatrie vergleichen. Sowohl Verlauf, als auch Dauer sind völlig variabel und mehr vom Individuum, als der Erkrankung an sich abhängig. Fallpauschalen bedeuten in der Psychiatrie, dass schwer kranke Leute vorzeitig entlassen werden müssen, sie innerhalb des Aufenthalts nicht mehr adäquat versorgt werden können oder in einigen Fällen sogar in die Obdachlosigkeit entlassen werden müssen. Der wirtschaftliche Gedanke wird jeder Patient und Mitarbeiter im psychiatrischen Bereich zukünftig deutlich zu spüren bekommen. So ziemlich jeder Fachexperte der Psychiatrie steht den Plänen daher mehr als skeptisch gegenüber, eingeschlossen die großen Verbände, z.B. die deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG).

Ben
 
Das ist vollkommen richtig Ben, aber auch da muss man auch durch eine gute Dokumentation belegen können ob die Aufenthaltsdauer begründet war. Da werden auch die Kassen Verständnis haben, bei uns ist es an der Tagesordnung dass der MDK anklopft und wissen will warum und weshalb. Meistens können wir alles durch gute Doku belegen.
Wir müssen halt abwarten was kommt, ich denke kaum dass da schon alles unter Dach und Fach ist.
Letztendlich wird auch da immer wieder was verändert werden, müssen.
 
Hast Du dich mit PEPP mal beschäftigt und arbeitest Du im psychiatrischen Bereich?

Ben
 
Jup, fast täglich sogar. Wir stehen der Einführung auch skeptisch gegenüber, aber wir müssen das beste daraus machen.
 
Ich sehe es ähnlich kritisch wie Ben. Wir haben immer wieder, vor allem im akutpsychiatrischen Bereich, Patienten über Monate hinweg bei uns die den "eigentlichen KH Aufenthalt" nicht mehr benötigten. ABER, was wenn wir noch keine geeignete Wohnform für denjenigen gefunden haben? Was wenn es zu Hause/ im Heim nach wenigen Tagen immer wieder eskaliert, was wen die Kostenzusage nicht prompt da ist, was wenn im geeigneten Heim noch kein Platz frei ist? Entweder wir entlassen dann trotzdem, was ich persönlich als fahrlässig einstufen würde, oder wir nehmen in Kauf das wir den Aufenthalt eher "selbst finanzieren".
Vor allem chronisch psychisch kranke Menschen fallen in unserem Versorgungssystem häufig durch das Raster (v.a. was die nachstationäre und ambulante Behandlung angeht) - und jetzt auch noch in der stationären Klinik?
Ich frag mich wie das werden soll...

Lg
 
Verena, Du sprichst einen wichtigen Punkt an: Häufig landen in der Psychiatrie Menschen ofW, eine Entlassung vor Klärung sozialer Angelegenheiten führt in eine erneute Obdachlosigkeit und setzt den Kreislauf erneut in Gang. Wahrscheinlich werden - vor allem anfangs - die Häuser Kosten übernehmen und eben nicht einfach entlassen. Doch dieses System wird auf Dauer nicht funktionieren und zusammenstürzen. Dies führt zu Überbelegungen bei weiterer Personalreduzierung. Was ist mit akuten Erkrankungen, bei denen wir auf Gutachten und Urteile warten müssen, bevor Behandlungen erfolgen können? Was ist mit schwer kranken, suizidalen Personen - dürfen Sie nach Ablauf von 14 Tagen nicht mehr suizidal sein oder werden sie trotzdem nach Hause entlassen? Wenn wir noch mehr und noch umfangreicher dokumentieren müssen, wer kümmert sich um die Patienten? Der Aufwand war schon ohne PEPP enorm. Bei uns ist es jetzt schon oft katastrophal - Akut-Station mit Besetzung von 2 PP bei durchschnittlich 30 Patienten. Selbst wenn jeder Patient schnell wieder entlassen wird und Leistungen ohne Ende, einschließlich Dokumentation erfolgen, bleibt ein massives finanzielles Defizit. Und die Patienten werden das zu spüren bekommen. Wir auch.

Ben
 
Ich stehe ebenfalls einer Fallpauschalisierung der Behandlung von psychisch Kranken skeptisch gegenüber.
So ärgerlich oftmals Behandlungsverläufe und deren Dauer sein können (teils monatelanges Warten bei Zwangsmedikationen, lange/nicht erfolgsgeprägte Suche neuer Wohnsituationen), sind viele "Langlieger" auch zurecht welche.
Wie sieht es in anderen Kliniken mit den aktuellen Behandlungsdauern aus?
Durchschnittsaufenthalt der aktuellen Belegung sagt hier (~40,6 Tage).

100 Tage Aufenthalt sind hier (Klinik in Hannover) nicht die Regel, aber auch keine Seltenheit. Chronisch-suizidale, traumatisierte Patienten werden häufig immerwieder mit erneuerten Beschlüssen stationär gehalten.
Als statistischen Ausreißer habe ich auch jemanden mit 800Tage+ Aufenthalt (traumatisiert, chronisch-suizidal) kennengelernt. Ich frage mich, wie solche Fälle in Zukunft behandelt werden.

@verenalgo6
Wir arbeiten formal auch seit Mitte 2014 mit dem System.
Die tatsächliche Arbeit hat sich meines Erachtens nach noch nicht groß verändert, jedoch, wie zuvor von @-Ben- erwähnt, ist die Dokumentationsarbeit & diesbezügliche Evaluation massiv angestiegen.

Tägliche Neubesprechung von Intensivmerkmalen aller Patienten, welche im interdisziplinären Team besprochen werden soll, jedoch nur ärztlich angeordnet werden kann (also zur Übergabezeit), jedoch vom Pflegepersonal dann im System eingepflegt werden muss.
Weitere schriftliche Dokumentation im Bereich des Behandlungsaufwands.
1:1-Betreuungen, Betreuung in Kleinstgruppen, Kriseninterventionen bei Patienten muss nicht nur angeordnet (1:1-Betreuung), sondern explizit begründet dokumentiert werden.
Kriseninterventionen müssen in Minuten berechnet im System eingegeben und daraufhin im Pflegebericht begründet sein. Warum habe ich x-Minuten bei Patient y verbracht, was habe ich gemacht?
Es gehört ohnehin in meinen jeweiligen Bericht dokumentiert, keine Frage, jedoch ist hier die Ausführlichkeit zu hinterfragen.

Positiv für die eigene Stationsbelegung sollte sich auswirken, dass hinterlegte 1:1-Begleitungen mit vorhandenen Personal geprüft werden sollen und ich dementsprechend keine, überspitzt gesagt, fünf 1:1 Betreuungen dokumentieren darf, wenn nur zwei Pflegekräfte im Dienst sind (cave: Betreuung in Kleinstgruppen [z.B. 2 fixierte Patienten im Sichtbereich einer Person]). Im Umkehrschluss sollte nun auf eine mehr realistische Belegung auf Station vorzufinden sein, aber wenn nun einmal entgegen des Aufnahmesektors jeder Patient aufgenommen wird, so ist man wieder bei Überwachungspatient 3-4 auf dem Flur. Da erhoffe ich mir in Zukunft noch Besserung, sobald das PEPP "scharf gemacht" ist.


Ich hoffe das hat einen kleinen Einblick gewährt, sind auch lediglich nur die ersten, spontanten Dinge, die mir einfallen.

Liebe Grüße
Steven
 
Hallo StevenG, ich möchte auch gerne nochmal auf den neuen Thread aufmerksam machen. Ich glaube, dass die Chancen nicht schlecht stehen, dass PEPP wieder eingemottet wird. :cheerlead:
Eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer von über 40 Tagen? Holla! Wie sehen denn eure bisherigen Zahlen aus dem PEPP aus? Aufgrund der Regression bei Langliegern müsstet ihr dann doch einiges an Einbußen haben. Wir haben von 2014 auf 2015 die durchschnittliche Liegedauer erneut um zwei Tage senken können, aktuell 12,5 Tage. Allerdings auch bei einer Bettenbelegung von ca. 75%...
 
Hey @Peppo ,
ich muss da glaube ich einige Sachen noch einmal expliziter formulieren! :D

Die Dokumentation ist dem PEPP schon angepasst (damit wir es schon korrekt können, denn dadurch würden ja im Endeffekt sonst Gelder verloren gehen!), die Therapie/Behandlung ist dem jedoch noch nicht angepasst.

Ich weiß natürlich nicht, wie es bei euch anderen überall aussieht. Eine Erneuerung des jetzigen Systems ist meiner Meinung zwingend nötig. Die Beantragung/Durchsetzung von Zwangsmedikationen dauern Minimum(!) 4-5 Wochen (alternativer Behandlungsort/Behandlungsweg??).
Es macht derzeit viel mehr den Anschein nach Verwahrung als Therapie im Akutbereich. Von Wohnheimsuche will ich garnicht erst reden.
So kommen eben auch Zahlen mit 40+ Tagen zu Stande. Zu diesen muss ich allerdings auch sagen, dass es keine repräsentative Ziffer ist - ich habe einfach die aktuelle Belegung der Station zum willkürlichen Moment zusammengerechnet.

Sofern wir therapeutisch ebenfalls schon nach dem neuen System handeln würden, wären es mit Sicherheit miese, ja.
 
Hallo zusammen,

mich würde mal interessieren: Gibt es noch andere Häuser, die noch nicht nach PEPP abrechnen? Ist ja nicht mehr lange bis 2017. Welche Schwierigkeiten ergeben sich bei euch durch die Umstellung?

EInen schönen Tag. Christina.
 
Hallo zusammen,

mich würde mal interessieren: Gibt es noch andere Häuser, die noch nicht nach PEPP abrechnen? Ist ja nicht mehr lange bis 2017. Welche Schwierigkeiten ergeben sich bei euch durch die Umstellung?

EInen schönen Tag. Christina.

Wonach rechnet ihr denn jetzt ab?

Irgendein Abrechnungssystem wird es ja sowieso geben, die Frage stellt sich nur wie es heißen wird... :confused:
Allein aus diesem Grund lohnt es sich, die Grundlagen dahingehend auszurichten (Abrechnung, Dokumentation, usw.)