Sprachethik

Andre_Winter

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09.07.2004
Beiträge
151
Beruf
Krankenpfleger
Hallo Leute!

Ich habe heute einen Satz gelesen, da krempelten sich mir beinahe die Fußnägel auf:
…wenn z.b. jemand eingeschissen ist…
Dieses Satzfragment las ich hier im Forum, aber das tut nichts zur Sache, denn worüber ich mit Euch reden möchte ist die Frage, wo die Ethik in unserer Sprache geblieben ist.
Wie steht es im Pflegebericht, wenn sich ein Patient “eingeschissen” hat?
Wenn er “vollgekotzt” war oder sein ganzes Bett “bepißt”?
So manches Mal, kann ich mir vorstellen, hört man solche Bezeichnungen in mündlichen Übergaben, in Gesprächen von Kolleginnen und Kollegen untereinander.
Wie weit dürfen wir damit gehen?
Ich stamme noch aus einer Generation, die lernte, sich immer erst zu fragen, wie sich der Patient fühlen mag, wie ich mich in der Situation als Patient fühlen würde.
Sagte jemand über mich, ich hätte mich “eingeschissen”, würde ich mich allerdings absolut garnicht mehr fühlen.
Wenn ich könnte, würde ich die Flucht ergreifen!
Ich will nicht sagen, daß ich auf einer Vorbildabteilung arbeite, denn auch hier gibt es schonmal verbale Entgleisungen, da sind wir Mensch wie jeder andere auch.
Aber diese beschränken sich weitestgehend auf ab und zu mal ein leises “Scheiße”, wenn mal was nicht klappt, wie es soll.
Dennoch sind wir äußerst bemüht, auf der Abteilung ganz bestimmt keine “eingeschissenen”, “vollgekotzten” oder “bepißten” Patienten zu haben.
Ganz bewußt sprechen wir von Stuhl- oder Urin-Inkontinenz oder Erbrochenem. Sowohl schriftlich, als auch mündlich.
Wie wird das bei Euch gehandhabt?
Bin gespannt…

Gruß!
Andreas
 
Andre,
Auf "meiner"Strahlentherapie haben wir es häufigst mit Erbrochenem,Stuhl u.Urin zu tun.
Weder unter Kollegen,noch im Gespräch mit den ärztlichen Mitarbeitern u.schon gar nicht im Umgang mit dem Pat.u.deren Angehörigen,sprechen wir von "Kotze","Scheiße" u."*****".
Vielmehr sprechen/schreiben wir von teilweiser oder völliger Inkontinenz bzw.ganz direkt vom Erbrechen.
Angehörigen u.Pat.kann ich häufig die Furcht nehmen,wenn ich sage,daß das alles menschlich ist.Damit hab ich die Furcht,nicht aber das Schamgefühl der Leute im Griff.Gegen die Scham hilft nur ständiges,geduldiges Wiederholen.

Greetings,Rasmus
 
Hallo ihr beiden,

Ich arbeite auf einer gastroentereologischen Station mit dementsprechend vielen pflegebedürftigen und inkontinenten Patienten. In deren Gegenwart und der Angehörigen wird sehr auf die richtige Wortwahl geachtet.
In den Übergaben sieht das aber schon etwas anders aus. Jeder geht damit anders um, es gibt Schwestern die achten sehr genau auf ihre Wortwahl und auf die der anderen und es gibt Pfleger, die nehmen das während der Übergabe nicht so ernst.
Zu meinem Bedauern ist mir letzte Woche, während einer Übergabe, selbst etwas über einen "ungepflegten" Mann rausgeruscht. Darüber war der Stationsleiter dann aber gar nicht erfreut, vor allen da ich meine Ausbildung ja noch vor mit habe und bei den Schüler auch sehr auf die Wortwahl geachtet wird. Nach seiner Lektion über eben dieses Thema fühlte ich mich auch ziemlich mies.....aus Fehlern lernt man.

Ciao,
Tim
 
Hallo zusammen!

Es stimmt vollkommen das man sich in unserem Beruf "gehobener" ausdrücken sollte. Und es schreibt auch sicher keiner im Pflegebericht "Hr. z.B. hat sich eingeschissen" und noch viel weniger glaube ich, das Pflegekräfte sich vor Pat. oder Angehörigen so auslassen.

Aber ich denke, man sollte solche Worte nicht aus dem Zusammenhang nehmen ... Wenn ich mich daran erinnere, als bei uns auf Station wirklich fast jeder mit Norwalk-like infiziert war ... da kann einem schon mal das Wort Sch... rausrutschen ... immerhin waren erstmal fast alle Pat. eingekotet und die Pflegekräfte sind auch ständig auf´s WC gelaufen. Wir haben aber den guten Weg gefunden in solchen Dünnpfiff-Epidemien Lotto zu spielen, weil nicht nur Scherben bringen Glück :D

Liebe Grüße
Andrea
 
Bei uns in der KJP wird auch sehr viel Wert auf eine gut gewählte Ausdrucksweise geachtet...
Egal ob bei Zivis, Schülern oder Therapeuten - ganz egal, wer sich nicht angemessen artikulieren kann wird drauf hingewiesen.

Egal welcher Generation man angehört, oder in welchem Beruf man arbeitet - eine ordentliche Ausdrucksweise gehört immer zum guten Ton.

In der Ausbildung sagten unsere Lehrer uns immer wieder :"Behandelt die Patienten so wie auch ihr behandelt werden wollt". :!:

Im letzten Jahr gab es eine heitere Situation: Eine ehemalige Kollegin von mir - Heilerziehungspflegerin ihres Zeichens - schrieb in der Doku: " Pat. xy hat eingekackt...".
Natürlich bekam sie dann auch nen Tipp, daß diese Ausdrucksweise ziemlich daneben ist. Sie sagte darauf, sie hätte immer gedacht, daß Tiere einkoten und nicht Menschen. (Menschen "****en" eben...)

Denkt Euch euren Teil dazu................... :weissnix:

Aber manchmal hab ich schon das Gefühl, daß wir uns mit unserer Ausdrucksweise wesentlich mehr Mühe geben als unser Klientel (v. a. die Jugendlichen).
Aber wir sind uns unserer Vorbildrolle wohl bewusst...

Was aber öfter auffällt, daß viele Schüler Probleme haben das Verhalten unserer Klienten zu beschreiben: da heißt es öfter mal "Das Kind xy rennt den ganzen Tag wie angestochen rum..." *räusper*
Von nem "großen Bewegungsdrang" haben die wenigsten bis dahin gehört.
Aber es ist ja auch unsere Aufgabe ihnen das und vieles andere beizubringen...

Schönen Sommertag Euch allen... :daumen:
 
Das sind schon paar derbe Beispiele in der Wortwahl. :x

Ich habe jetzt nur darüber nachgedacht, warum jemand diese Worte, vielleicht noch mit leicht abfälligem Unterton, benutzt.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies grundlos passiert.

Vor x Jahren hatte ich mal einen Azubi, der benutzte gerne Worte wie: "Verreckt der jetzt?" bei einem präfinalen Patienten.
Ich war damals heftigst schockiert und hatte ein heftiges Kritikgespräch mit ihm. Schließendlich mit den Wochen hat sich aber herausgestellt, dass er mit der Situation, mit dem Leid und dem Sterben, nicht zurechtkam.
Er hat sich dann noch während der Probezeit umorientiert...

Kann es sein, dass manche Mitarbeiter aus Frust, Burn-Out etc. durch solche verbalen Entgleisungen versuchen, gestaute Energien freizulassen?

Ich weiß es nicht. Aber gerade so im größten Stress, wenn ein tendenziell aggressiver, desorientierter Patient seinen Stuhlgang quer über die Wandfliesen im Bad, über das Bett samt Gitter, am Boden entlang im Zimmer....sich selbst eingeschlossen, verschmiert hat... kann doch bei der Übergabe so ein : "Man, der hat mir heute alles vollgeschissen" sehr befreiend sein.

Als Stationsleitung wünsche ich natürlich nicht dieses Vokabular... aber ich finde, man sollte auch schauen, was die Beweggründe des Mitarbeiters sind, dies zu benutzen und nicht nur bestimmte Begriffe zu Unwörtern erklären.
Vielleicht werden Mitarbeiter diese Begriffe nicht so schnell benutzen, wenn ihre Überbelastung frühzeitig wahrgenommen wird...und sie nicht erst durch "****en, kotzen und scheißen" die Aufmerksamkeit auf sich lenken müssen.

Meine Gedanken dazu ;)

mic
 
Frust loswerden ist das eine.

Aber: Ich hatte mal das "Vergnügen", selbst Patient zu sein. Kleine Sache nur (vier Tage, Neues Trommelfell rechts=Tympanoplastik Typ II), aber.

Wirklich gut ging es mir nicht am ersten Tag danach. Doch ich stand auf, zog Hose und Hemd an und machte mein Bett und sagte nichts. Denn ich wollte nicht, daß man mich für eine Memme hält.

Abends erbat ich mir Schmerztropfen. Daß sie nicht halfen, traute ich mich nicht zu sagen, denn ich wollte nicht, daß man mich für eine Memme hält.
Was ich wußte, was mir helfen würde, traute ich mich erst recht nicht zu sagen. Damit man mich nicht für süchtig nach etwas hält.

usw....

Psychohygiene ist wichtig. Aber man sollte die Achtung vor den PatientInnen nicht verlieren. Wenn man in einer Akutsituation flucht, ist das manchmal verständlich. Aber in einer Diskussion, zumal schriftlich, stimmt mich das bedenklich.