Selbstbestimmungsrecht für Patient und Pfegepersonal

vivo2704

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16.10.2012
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Liebes Forum.

Habe hin und her gesucht, wo dieses Thema hinpassen würde.

Bin im folgenden Konflikt.

Ich arbeite in der Häuslichen Intensivpflege und kenne die patientin seit 3 1/2 jahren.
Sie hat fortgeschrittene ALS, sie kann nur noch den Kopf ein wenig bewegen, Kommunikation über PC (Augensteuerung).
Sie ist voll beatmet, Ernährung läuft über Port. (PEG/PEJ aus mediz, Gründen nicht möglich)
Von der Psyche ist sie sehr schwierig und das ist nicht nur durch die Erkrankung so. Einen gesetzlichen Betreuer hat sie nicht, entscheidet selbst und eine Patientenverfügung bezieht sich nur auf Reanimation und ähnliches.

Folgendes:

Die Portanlage hat sie seit gut einem 1 Jahr und war damit einverstanden, wurde aber anfangs nicht benutzt. (erst seit gut vier Monaten)
Bis dahin konnte sie noch ganz gut Nahrung oral aufnehmen und wurde satt. Da aber ihre Erkrankung stetig weiter fortschreitet und sie es auch selbst gemerkt hat, wurde die orale Nahrungsaufnahme immer schwieriger und der Port kam zum Einsatz.

Sie hat es trotzdem immer wieder verlangt, oral zu essen. Nun geht es beim besten Willen nicht mehr. Ihr Schluckreiz ist quasi zum erliegen gekommen (Selbst den Speichel kann sie nicht abschlucken), aber sie verlangt weiter Essen.

Ich kenne sie sehr gut und kann auch Tacheles mit ihr reden. Habe mehrere Gespräche mit ihr geführt, sie ausführlich über das hohe Risiko aufgeklärt, was passieren kann.

Trotzdem verlangt sie, dass wir Pflegekräfte ihr oral Essen anreichen. Sie kann es nicht schlucken, letztendlich räumt/saugt man alles wiede aus/ab. Sie bekommt Hustenanfälle vom feinsten, aber das hindert sie nicht daran.
Damit das nicht falsch verstanden wir, sie will keine Geschmacksstimmulation, sie WILL essen, um satt zu werden.

Ich lehne mittlerweile die Narungszufuhr bei ihr ab, weil ich es einfach nicht mehr vertreten kann.
Daraufhin "bockt" sie nun mit mir rum und wartet dann eben, bis die Ablösung kommt. Da kommt dann auch schon mal der Spruch:
" ... warum geben mir die anderen dann was? ..."
Von der Teamleitung kommt da leider wenig Unterstützung, sie hat nur eine "Anweisung" an uns gegeben, " ... wenn Patientein etwas möchte, dann müssen wir es geben ... "

Wie seht ihr das ???????????

Steht hier der Patientenwille unangefochten ganz oben? (Selbstbestimmungsrecht)
Das ist ein sch... Konflikt und von der strafrechtlichen Seite, mal ganz abgesehen.

Wie würdet Ihr euch in dem Fall verhalten?

LG vivo 2704
 
Das ist eine klassische Patt- Situation. Die Patientin möchte auf das orale, normale Essen nicht verzichten und Du kannst nicht verantworten, ihr etwas zu geben, weil sie u.U. aspirieren könnte. Da in dem von Dir geschlderten Fall wohl nicht mt einer Einigung zwischen Euch zu rechnen ist, mußt Du wohl für Dich entscheiden, ob Du die Frau weiter versorgen kannst. Mit allen Konsequenzen.
Tust Du weiter, was sie will und es passiert wirklich etwas, hast Du ein Riesen- Problem, denn aufgrund Deines Fachwissens war Dir das Risiko ja voll bewußt...
 
Ihr zu essen geben.
Wenn ich mal (versuche) geistig die Position der Patientin einzunehmen, ist Hunger, den sie verspürt und der Versuch zu essen, eines der klitzekleinen Fitzelchen an Lebensqualität, die ihr wahrscheinlich verblieben sind. Und mittlerweile ist die Nahrungszufuhr wahrscheinlich auch ein wesentlicher Bestandteil ihres Versuches an Selbstbestimmung geworden und damit eine Auseinandersetzung um Kontrolle zwischen ihr und den Pflegenden.
Frage: Was hat sie noch vom Leben? Das möge jeder selbst beantworten...
Frage: Wann und wie will jemand sterben? Es gibt zwei Wege, der eine heißt, streng nach medizinischen Vorgaben mit Kontrolle aller Bedingungen, das Ende ist ein frühzeitiger Tod, Weg zwei ist ein Kompromiss aus Medizin und, sagen wir mal in diesem Fall "Dummheiten" die aber augenscheinlich die Psyche braucht. Wahrscheinlich kommt die finale Pneumonie in dem Fall eher...aber wer will das wissen?
Ist die Patientin klar genug, um die Konsequenzen ihres Handelns zu überblicken, dann erfülle ich ihr ihren Wunsch. Kann ich das aus persönlichen, ethischen Gründen nicht, ziehe ich mich aus der Betreuung zurück.
Keinesfalls würde ich mich in so eine Konstellation wie oben beschrieben, verwickeln lassen.
Dieser Beitrag wurde erstellt mit der Erfahrung von 7 Jahren Heimbeatmung.
Grüße, Marty
 
Wie entsteht eigentlich das Hungergefühl? Wie äußert es sich? Magengrummeln? Übelkeit? Magenschmerzen?

Problem Psyche- "man gönnt sich ja sonst nix außer den Naschereien". Hat das Essenwollen hier ev. seine Ursache. welche Alternativen gibt es? Was kann man sonst als "Trost" anbieten?

Wie wird die Nahrung angeboten? Hab kürzlich mal was gelesen von Espuma in Der Pflege bei Dysphagiepat.. Mögliche Alternative?

Elisabeth
 
Nochmal zum Verständnis: Pat. hat eine geblockte TK und wird voll beatmet? Dann saugt ihr die Sachen aus der Mundhöhle wieder raus, bzw. räumt es aus? Gibt es auch Flüssiges oder Breiiges, das an der TK entlangläuft und zweifelsfrei über die TK abgesaugt werden muß?
Hab gestern noch ein bißchen drüber nachgedacht und glaube, das der größte Anteil an dieser Gemengelage ein Machtspiel ist. Stichworte: psychisch schwierig, Tacheles reden.
Als ich bei der Heimbeatmung anfing, mußte ich auch meine "Krankenhausansichten" runterschrauben und begreifen, das die Bedingungen und deshalb auch die eigenen Verhaltensweisen in manchen Aspekten grundlegend verschieden sind. Ich bin "im Revier" des Patienten und dazu da, ihm den Umgang mit seiner chronischen Krankheit zu erleichtern und oft auch ein "erträgliches Sterben" zu gewährleisten. Ich erfülle Wünsche. Ich hatte für mich selber immer eine griffige Formulierung: Wenn der Patient zu mir sagt, Schwester, ich möchte gern Marmelade aufs Knie geschmiert, dann diskutier ich nicht über Sinn oder Unsinn, sondern frag "Erdbeer oder Kirsch" und leg los. Diese etwas flapsige Formulierung zeigt, das mir der Wechsel in den Ansichten auch schwer fiel, weil ich im Krankenhaus, besonders auf Intensiv, schon das Kommando habe.
Insofern gebe ich eurer Teamleitung recht, sie könnte nur versuchen, mit euch eine Diskussion anzustoßen, damit keiner allein mit diesem Problem dasteht.
 
egal für was ihr euch entscheidet - ich finde ihr solltet euch auf jeden fall einig sein! besprecht das mal zusammen und entscheidet euch für eine lösung damit nicht immer einer doof dasteht wenns der andre anders gemacht hat. das führt ja immer wieder neu zu konflikten.


(ich würde mich wahrscheinlich gegen das anreichen entscheiden, aber ich steck nicht in der rolle drin..)
 
Mit "Tacheles reden", damit habe ich gemeint, die Patientin will kein drum herum gerede. Das gilt für alle (Unterhaltungs)Themen.

Ja TK ist geblockt und sie WILL Pudding etc, Kuchen etc....
Selbst wenn die Blockubg dafür etwas höher gesetzt wird, dicht bekommt man eine TK nie. Ergo, es kommt am TS überall wieder raus.

@Marty

"Wenn der Patient zu mir sagt, Schwester, ich möchte gern Marmelade aufs Knie geschmiert, dann diskutier ich nicht über Sinn oder Unsinn, sondern frag "Erdbeer oder Kirsch" und leg los"

Darum geht es doch überhaupt nicht. Außer das Essen, bekommt sie alles.

Aber zur beruhigung.

Hatten heute Team und da wurde das lange besprochen und wir sind uns alle einig geworden, dass die Pat. nicht grundsätzlich von uns etwas verlangen kann, was uns im Ernstfall in eine äußerst heikle Situation (Strafanzeige) bringen könnte. Letztendlich kann es aber jeder nun selbst entscheiden, wie er damit umgeht. Aber so wie es momentan aussieht, wird keiner ihr orale Nahrung geben.
Unsere TL will morgen mit der Familie und der Pat. selbst noch mal reden und ihr sagen, wie wir alle mit diesem Konflikt umgehen.

LG vivo2704
 
Na, das klingt doch vernünftig. Einigkeit macht stark...

Gruß,Marty
 
Nochmal die Frage- wo seht ihr die Ursache und welche Alternativen sind denkbar? Nur "ich verweigere" finde ich ein bisschen wenig.

Elisabeth
 
Sollte man die Alternativen nicht mit der Patientin und ihrer Familie besprechen?
 
Sollte man schon... nur muss man erst mal welche bieten können. Der Laie wird kaum die Möglichkeiten kennen.

Elisabeth
 

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