Risikoskalen

Hallo!

Skalen, wirklich eine interessante Diskussion.
Ich finde den Umgang in der Praxis damit immer wieder bemerkenswert.

Bei meinen Mitarbeitern z.B. hat KEIN OP-Patient jemals 18 oder weniger Punkte auf der Braden-Skala. Weil dann bestünde ja ein Handlungsbedarf > Lagerung und Führen eines Bewegungsplanes.

Wenn ich die Braden-Skala durchmache, kommen bei mir die gleichen laparatomierten Patienten deutlich unter 18 Punkte,... und ich habe auch schon vor dieser Skala Mikrolagerungen, schiefe Ebenen,Freilagerungen und häufiges Mobilisieren praktiziert.

Die Skala ist nur so gut, wie der, der sie ausfüllt ;)

Dann gibt es Skalen, die völlig für die Katz´ sind und meiner Meinung nach gänzlich ohne jede praktische Relevanz. Dazu gehört die Sturzeinschätzung - ich spreche jetzt mal von meiner Urologischen Klinik:

Pat. bekommt einen Tranquilizer prae-op > Sturzgefahr
Pat. hat eine Sehhilfe > Sturzgefahr
Pat. hat einen Katheter und einen Infusionsständer > Sturzgefahr
Pat. bekommt Schmerzmittel > Sturzgefahr

Jetzt habe ich 4 potentielle Gefahrenquellen entdeckt und auf einem DinA4-Blatt für 30 Jahre verewigt!
Nun fragt mich mal einer nach der Konsequenz aus meiner Erkenntnis?!
Nichts, nada, niente, nothing....

Ich kann keinen Patienten im Bett fixieren, weil eine Sturzgefährdung nach irgendeiner Skala vorliegt. Und manche Gefahren kann ich auch einfach nicht abstellen, weswegen ihre Feststellung auch ohne Konsequenz bleibt...

Solche Skalen schüren nur eine allgemeine berechtigte Ablehnung gegen Skalen im allgemeinen.

Und wie gesagt, die unsere Braden-Skala würde Deku-Gefährdungen aufdecken, wenn sie vom Personal aufgedeckt werden wollten... Aber da wird halt auf 19 Punkte hochfrisiert...
(Kleine GEschichte am Rande: Am Anfang wurde nur bis 18 hochfrisiert bis ich mal sagte, dass eine Gefährdung schon bei 18 und weniger vorliegt)

LG
reX
 
Wieviele Dekubitus gab es mit welchem Grad denn nun auf eurer Station? Wenn nur du die Skalen führst müßte der proznetuale Anteil ja sehr hoch sein.
und ich habe auch schon vor dieser Skala Mikrolagerungen, schiefe Ebenen,Freilagerungen und häufiges Mobilisieren praktiziert.
Laut deinen Aussagen hättest du das aber gar nicht gebraucht. Kann es sein, dass deine Fachkompetenz ausgereicht hat eine Gefährdung zu erkennen? Und machen es deine Kollegen vielleicht ebenso?

Egal welche Skala... keine ist validiert und demzufolge der Sinn und Nutzen zu hinterfragen. Soundsoviel Punkte auf der Skala und dann ist das und das zu tun... was ist denn das? Ich denke Skalen sollen nur Sreeninginstrumente sein und nicht der Inhalt von "Kochrezepten".

Elisabeth
 
Meinem Eindruck nach, sind in allen operativen Bereichen die Anzahl der Dekubitus zu hoch. Objektiv kann ich feststellen, dass sie hier auch so gut wie nie dokumentiert werden. Es handelt sich meist um Dekutitus ersten oder zweiten Grades, die nach Wiedererlangung der Selbstständigkeit auch wieder von alleine abheilen... was die Sache aber meiner Meinung nach nicht entschuldigt oder weniger fahrlässig macht.

Meiner Meinung nach wird die Braden-Skala bei uns genutzt, um ein Alibi zu haben, nicht lagern zu müssen! Hätte ich vielleicht etwas deutlicher schreiben sollen.

Ich habe nirgends geschrieben, dass nur ich Braden-Skalen führe. Das machen wir alle. Nur jeder kriegt das Ergebnis, mit der Konsequenz, die er davor schon wusste.

LG
reX
 
Meiner Meinung nach wird die Braden-Skala bei uns genutzt, um ein Alibi zu haben, nicht lagern zu müssen! Hätte ich vielleicht etwas deutlicher schreiben sollen.
*lol* So kan man Skalen natürlich auch nutzen. Und der Richter von Trisha kann noch nicht mal meckern: Papier liegt vor- Beweislast dürfte schwer zu erbringen sein.

offtopic
Hab doch noch eine Frage: Warum wird den nicht gelagert? Haben sie kein Interesse oder keine Zeit?

Elisabeth
 
Um mich hier mal als Wissenschaftler in die Diskussion einzubringen:
Validierung von Skalen ist nicht alles. Damit die Instrumente auch das bringen, was man von Ihnen erwartet, also z.B. eine Reduktion der Dekubiti, muss man erstmal verdeutlichen, worin der Vorteil gegenüber dem Expertenurteil liegt. Leider liegen zu dieser Problematik nur ausreichenden Befunde vor.
Natürlich hängt der Vorteil von Skalen auch mit der Berufserfahrung der Pflegenden zusammen. Daher ist der Vorteil beim Einsatz von Novizen natürlich viel größer als der beim Experten.
Wie bei der Pflegeplanung gilt also auch hier: Skalen und Instrumente lenken zunächst mal nur die Aufmerksamkeit auf die möglichen Risikofaktoren.
Eine weitere kritische Diskussion findet man hier http://www.pflegeassessment.de
 
Validierung von Skalen ist nicht alles. Damit die Instrumente auch das bringen, was man von Ihnen erwartet, also z.B. eine Reduktion der Dekubiti, muss man erstmal verdeutlichen, worin der Vorteil gegenüber dem Expertenurteil liegt. Leider liegen zu dieser Problematik nur ausreichenden Befunde vor.
Wo finde ich da eine aussagekräftige Studie zu? In welcher Form wurden die "ausreichenden Befunde" erhoben?
Eine weitere kritische Diskussion findet man hier http://www.pflegeassessment.de/
Wo finde ich die Diskussion? Ich bin weder Autor noch will ich einer werden.

Elisabeth
 
Hallo,

pflegewissenschaftlich werden die Scalen immer als absolutes MUSS verkauft.

In der Ausbildung von KinderkrankenpflegeschülerInnen gibt es leider zuwenig modfizierte Scalen für die verschiedenen Altersstufen (Säuglinge, Kleinkinder, Schulkinder), oder kennt hier im Board jemand wissenschaftlich gesicherte Quellen?

Liebe Grüße,
Meggy
 
Hallo Elisabeth,

unter dem Punkt "Definition" und "Gütekriterien" auf der Seite www.pflegeassessment.de findest Du auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Bewertungsmaßstäben für Assessments. Gütekriterien wie Reliabilität, Validität, Praktikabilität, die immer wieder als allgemeine Grundlagen angepriesen werden, reichen eben leider nicht aus.
Ich denke, man kann den Pflegenden keine weiteren Assessments zumuten sollte, die keinen Mehrwert gegenüber dem klinischen Urteil haben.
Einen Befund, der die Unterschiede zwischen Assessment und klinischem Urteil deutlich macht findest Du in diesem tollen Artikel:
Welsh I, Lyons CM (2001) Evidence-Based Care and the Case for Intuition and Tacit Knowledge in Clinical Assessment and Decision Making in Mental Health Nursing Practice: An Empirical Contribution to the Debate, Journal of Psychiatric & Mental Health Nursing, Vol 8, No 4, pp 299 - 305
 
Also ich hab jetzt mal mein "Assesmentcenter" durchwühlt und geschaut, was ich in den Jahren alles so gesammelt habe:
  • ADL Skala zur Verlaufsbeurteilung von Patienten mit Demenz vom Alzheimer Typ und Down Syndrom
  • ADL Basis AKTIVITÄTEN DES TÄGLICHEN LEBENS
  • ADL Instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens IADL nach Lawton u. Brody 1969
  • ADL Barthel Index
  • Basale Anamnese
  • Psychogeriatrische Pflegebedürfnis Erhebung nach E. Böhm
  • TM Care card 1
  • TM Care card 2
  • Checkliste Obstipation
  • Dekubitusbeiblatt (Wunddokumentation)
  • SKALA ZUR ABSCHÄTZUNG DER DEKUBITUSGEFÄHRDUNG BEIM ALTEN MENSCHEN - GEFAHRENLAGE - © Erhart –1995 Modifiziert nach Norton
  • Linking Sedation and Delirium Monitoring:
    A Two Step Approach to Assess Consciousness (engl)
  • COHEN MANSFIELD AGITATION INVENTORY (deutsch)
  • BCRS: Brief Cognitive Rating Scale (deutsch)
  • BEHAVE-AD: Eine Skala zur Beurteilung von Verhaltenspatholgie bei der
    Alzheimerschen Demenz (Reisberg, 1987)
  • HACHINSKI-ISCHÄMIE-SCORE
  • Reisbergskala zur Beurteilung des Schweregrades
    der Alzheimer-Demenz
  • Sozialverhalten bei Demenz
  • Global Deterioration Scale for Age-Associated
  • Cognitive Decline and Alzheimer Desease (deutsch)
  • Checkliste: Erfassung von Müdigkeit (Fatique)
  • Funktionsskala Lokomotion (Gangsicherheit)
  • Funktionsskala Chairset (Sitzsicherheit)
  • Funktionstest Transfer
  • Funktionstest up and go
  • Funktionstest Handfunktion
  • RIVERMEAD MOTOR ASSESSMENT (deutsch/ Mobilitätstest)
  • Geriatrisches Minimum Data Set (deutsch/ Gemidas)
  • GeriatricDepressionSkala (deutsch)
  • Glasgow Coma Skale
  • Skala Expressive Kommunikation und Selbstaktualisierung (SEKS)
  • Sturzrisikoskala nach Huhn
  • Kraftmessung nach der Janda-Skala
  • MINI MENTAL STATE (Demenztest)
  • Mobilitäts- Und Gleichgewichtstest nach Tinetti
  • Tinetti 1 und 2
  • mod. Atemskala
  • Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit
    nach den Richtlinien der NYHA
  • Osteoporoseanamnese
  • Parkinson Medikation Bewegung
  • Befundskala bei Parkinson-Syndromen In Anlehnung an die Webster-Rating-Scale und den New York University Parkinson Score
  • Parkinson Tests- Rigor u.a.
  • Strukturiertes Sturzinterview und Protokollblatt Ergotherapie
  • ECPA (Scherzskala für die Geriatrie)
  • Schmerzskala für "sprachlose" demente Pat.
  • Standardisierter Schluckversuch
  • Staseskala
  • Braden Skala
  • Norton Skala
  • Waterlow Skala
  • Medley Skala
Ich hab irgendwann aufgehört zu sammeln. Aber es beschreibt glaub ich sehr gut das Dilemma. Es gibt eine Vielzahl an Skalen. Für den der sie fürs Haus entwirft mag es ersten Moment eine Erleichterung sein. Spätestens mit der zweiten Skala im Hause wirds schwierig... der Datenberg wächst. Und was ist am wichtigsten? Welche Skala brauche ich, welche nicht? Der Dekuprophylaxe - Verantwortliche wird schreien: Braden, der Basale wird sagen: SEKS, der Verantwortliche für das Sturzrisiko möchte seine Skala ausgefüllt sehen, dann gabs gerade Probs mit einem herzinsuffizienten Pat.- eine Skala muss ran, der Doc wünscht Barthelindex usw., usw.. Skalen sind nicht alles.



Elisabeth


Hallo Leute, ich hoffe es ist in Ordnung das ich meine Bitte gleich hier dran schreibe, denn ich bin verzweifelt auf der Suche nach Hilfe.

Ich sitze gerade dabei meine Diplommappe für meine praktische Prüfung vorzubereiten. Ich habe mich dabei für eine Bewohnerin im Pflegeheim entschieden, bei der ich diverse Skalen auszufüllen habe. Jetzt stehe ich bei dem Problem das ich das "Psychogeriatrische Pflegebedürfnis Erhebung nach E. Böhm" machen muss - ich finde im Internet zwar mega viel dazu - aber irgendwie komme ich dabei nicht ganz mit wie ich das nach Böhm einschätzen kann. Vielleicht könnte mir das jemand erklären??
Weiters habe ich eine Bitte, könnte mir jemand Tipps geben bezüglich Validation - meine Bewohnerin ist in der 2. Phase nach Naomi Feil - das heisst im Stadium 2:Zeitverwirrt - wie könnte ich da eine Validation während der Körperpflege aussehen?

Bedanke mich vielmals für eure Hilfe.
lg
Roswitha_Sylvia
 
Hallo!

Also zu dem Stufenmodell nach Böhm, kann ich dir nur folgendes sagen:

Böhm geht es um das bessere Verständnis des Dementen von uns PKs.
Er hat dafür die "Dementen" in 7 Erreichbarkeitsstufen eingeteilt. Die wirst du ja sicher schon gelesen haben.
Wenn du dich in diese 7 Stufen einliest, wirst du irgendwo deine Patientin wiedererkennen.
Redet sie so, "wie ihr der Schnabel gewachsen ist? Spricht sie im Dialekt? Vergisst sie einige Sachen (wo sie sie hingelegt hat usw)? Dann ist sie in der Stufe "Mutterwitz"...

Und so kannst du deinen Pat./Bew einordnen und besser verstehen.

Nochmal zum nachlesen der Stufen etc: Unabhngig und sorgenfrei im Alter wohnen

Viel Erfolg! :)
 
Hallo!

Also zu dem Stufenmodell nach Böhm, kann ich dir nur folgendes sagen:

Böhm geht es um das bessere Verständnis des Dementen von uns PKs.
Er hat dafür die "Dementen" in 7 Erreichbarkeitsstufen eingeteilt. Die wirst du ja sicher schon gelesen haben.
Wenn du dich in diese 7 Stufen einliest, wirst du irgendwo deine Patientin wiedererkennen.
Redet sie so, "wie ihr der Schnabel gewachsen ist? Spricht sie im Dialekt? Vergisst sie einige Sachen (wo sie sie hingelegt hat usw)? Dann ist sie in der Stufe "Mutterwitz"...

Und so kannst du deinen Pat./Bew einordnen und besser verstehen.

Nochmal zum nachlesen der Stufen etc: Unabhngig und sorgenfrei im Alter wohnen

Viel Erfolg! :)

Hallo HoneyBlooom, ja also wenn ich meine Bewohnerin in eine dieser 7 Erreichbarkeitsstufen wiederfinde -aber wie erhebe ich da genauere Bedürfnisse der Bewohnerin? Ich hab in meiner Richtlinie für die praktische Diplomprüfungsmappe nämlich das psychogeriatrisches bedürfniserhebungsblatt - weist du da zufällig auch was? weil vom Böhm finde ich nur psychobiografisches Modell - .... ich bin mittlerweile sooo am tun und machen, innerlicher druck und stress sodass ich momentan kaum klar denken kann.

vielen dank und lg
Roswitha_Sylvia