Ethischer Grenzgang

  • Ersteller Ersteller Piratte
  • Erstellt am Erstellt am
P

Piratte

Gast
Unsere Nachbarstation ist eine Neurologie und dort liegt eine
ausländische ältere Dame, die mit einer Hemiparese aufgenommen wurde.
Es stellte sich heraus, dass die Dame einen Hirntumor hat.
Leider spricht sie keinen Brocken deutsch.
Die Tochter ist Krankenschwester bei uns im Haus und spricht
dementsprechend gut deutsch und ihr wurde die Diagnose mitgeteilt.

Sie möchte ihrer Mutter die Diagnose nicht mitteilen und will auch nicht,
dass irgendeine Therapie gemacht wird.

Der alten Dame kann man es wegen der Sprachbarriere nicht mitteilen.

Nun kam die Stationsärztin der Nachbarstation zu uns und fragte, ob wir
übersetzen können. Bei uns gibts genug Leute, die diese Sprache sprechen.

Die Frage war konkret, dass jemand von uns dabei ist, um zu überwachen,
ob die Tochter es ihrer Mutter korrekt übersetzt.

Dies wurde von einer unserer Schwestern sofort abgelehnt mit dem
Hinsweis, dass dafür ein offizieller Übersetzer gebraucht wird, um nicht
in rechtliche Schwierigkeiten zu kommen.

Was haltet ihr von der Geschichte?

Ich habe mehrere Ansatzpunkt, die mir zu denken geben.

1. Die Ärzte haben ihrer Schweigepflicht gebrochen, indem sie der
Tochter die Diagnose mitteilten, aber nicht der Mutter.
2. Die Tochter handelt m.E. unverantwortlich, wenn sie, aber nicht die
Mutter über den Fortgang der Therapie entscheidet und außerdem
verhindert, dass die Mutter von der Diagnose erfährt.
Ich finde ein bisschen, dass sie Gott spielt.
3. Die Tochter bei der Übersetzung zu kontrollieren ist auch nicht gerade
die feine Art.
 
Nochmal eine andere Frage:

Weisst Du, ob die Tochter Gelegenheit hatte, ihre Gruende darzulegen, warum sie es ihrer Mutter nicht sagen will? Ist sie der Meinung, sie verkraftet es nicht? Warum lehnt sie eine Therapie bei ihrer Mutter ab?

Meine ersten Gedanken zur Situation:

Bevor es der Tochter mitgeteilt wurde, haette man es der Patientin selber sagen muessen. Das sehe ich als Ursache des "Schlamassels".
Als Schwester, die diese andere Sprache spricht, wuerde ich auch nicht als Zeugin der Aufklaerung beiwohnen wollen. Vom Rechtlichen abgesehen wuerde ich mich ganz einfach unwohl fuehlen.
Die aeltere Dame hat ein Recht zu erfahren, was die Diagnostik ergeben hat und welche Behandlungsmoeglichkeiten bestehen. Notfalls muss man wohl die Tochter uebergehen, was den Konflikt natuerlich verschaerfen wuerde....

Ist schon was entschieden?
 
........wirklich schwierig

Von daher ist die Überschrift "Grenzgang " sehr treffend.

Aus welcher Kultur stammt die Betroffene?

Wie ist der Umgang mit Krankheit und Sterben?

Welche Rolle spielen die Angehörigen im Umgang mit Krankheit?

Wer verantwortet was?

Um wen geht es und wer entscheidet was?

Die Patientin ist "aufgeklärt"; und dann?

Wir leben, sind krank und sterben in Deutschland. Woanders mag es anders sein, such danach...

Lieben Gruss
 
Prinzipiell ginbt es durchaus Menschen, denen man kaum zumuten kann, von der Schwere der eigenen Erkrankung zu erfahren. Vorsichtige Hinweise, die der Betroffene entweder erkennen oder auch verdrängen kann, sind aber zwingend nötig. Jeder Mensch sollte das Recht haben, seine Angelegenheiten zu regeln, einen alten Freudn nochmal anzurufen, einem geliebten Menschen danken, Papierkram...alles, was dazu gehört. Und wenn es "nur" die Trauer um das eigene Sterben ist.

Für die Tochter ist die Situation mehr als schwierig. Sie trägt nun die volle Verantwortung. Um das gut u machen und zu können, ist sie viel zu involviert. Auch aus psychologischer Sicht eine sehr schlimme Geschichte, viele Kinder können es kaum ertragen, wenn ihre Eltern hilflos sind.

Eine Schwester aus dem Haus sollte der Aufklärung nicht beisitzen, um zu hören, was gesagt wird, das muss ohne wenn uund aber von einem neutralen Übersetzer getan werden. Klingt zwar nach "unfein", ist aber durchaus üblich und agebracht, wenn Zweifel an der Korrektheit der Übersetzung durch Anghörige bestehen. Wäre es keine Schwester aus dem haus, hättest du vielleicht keine solchen Bedenken, weil du dir keine Gedanken um die Kolegin, sondern ausschließlich um die Patientin machen würdest.
Das ist nicht negativ gemeint, aber auch du bist zu involviert. Ihr müsst eiligst zusehen, dass die ganze Geschichte wieder auf einem professionellen Pfad landet, also: vorsichtiges, kulturentsprechendes Aufklärung unter einbeziehung des Umstandes, dass die Tochter Bedenken hat (also sehr sehr behutsam) und eines Dolmetschers.
 
Hallo,

eine durchaus schwierige Situation... aber ich kann aus einem wenn auch nur ähnlichen Fall berichten...

Wir hatten eine türkische Patientin etwa 55-60Jahre alt mit einer Leukämie. Sie sprach so gut wie kein Deutsch, lebte aber shcon ewig in deutschland. Die Kinder wollten auch nur, das die Patienten erfährt das sie eine Bluterkrankung hat, aber nicht welche... eine Therapie wurde gemacht und es war wirkoich schwierig für uns als Pflegepersonal, aber auch für die Docs...Leider verstarb die Patientin zuhause nachdem die erste Therapie nicht angeschlagen hatte...

Um zum fall der anderen dame zu kommen... bei uns im Haus sind alle ausländischen Kollegen ehrenamtliche Übersetzer und können zu sämtlichen Gesprächen hinzu geholt werden. Dazu mus es keinen offiziellen geben.

Ich finde auch die Ärtze hätten mit der Tochter zusammen ein gespräch mit der Mutter suchen sollen...ob sie dann wirklich übersetzt... bleibt dahin gestelllt.
Wie gut wären denn die Chancen der Dame?? Reelle Überlebenschance oder nur ein palliativer Ansatz???

Gruss aus der Hämatologie

nightnurse Britta
:nurse:
 
Prinzipiell ginbt es durchaus Menschen, denen man kaum zumuten kann, von der Schwere der eigenen Erkrankung zu erfahren.
Hallo Soulfire,
wer soll entscheiden ob der Patient seine Diagnose ertragen kann?
Ich finde jeder Patient hat ein Recht seine Diagnose zu erfahren.
Ich habe vor vielen Jahren einmal eine Situation erlebt, da fanden die Angehörigen auch, dass der Patient kein Recht auf die Diagnose hätte. Das führte dazu, dass der Patient zu einem Münztelefon ging, sich als sein Hausarzt ausgab und so seine Diagnose erfahren hat. Danach ging er in den obersten Stock und sprang aus dem Fenster.

Liebe Grüsse
Narde
 
Mh, ob dein Beispiel jetzt das beste ist, um die Ansicht der Angehörigen als falsch darzustellen, bleibt dahingestellt...
Ansonsten: ich habe nicht geschriebemn, dass jemand seine Diagnose NICHT erfahren sollte, ich habe geschrieben, dass es manchem kaum (nicht nicht) zuzumuten ist, sie erfahren zu müssen und habe weiter ausgeführt (dann auch wieder fallbezogen), dass man sich als Arzt sehr vorsichtig und behutsam vortasten muss. Das Recht, ihm die Diagnose vorzuenthalten hat keiner, das geht wohl as dem, was ich sonst so geschrieben habe, deutlich hervor.

Der Patient hat das RECHT vollständig aufgeklärt zu werden, es ist nicht seine PFLICHT alles wissen zu wollen.
Zu den Rechten des Patienten gehört auch, manche Diagnose verdrängen zu dürfen.

Aber: das ist meine Meinung, keine allgemeingültige Angelegenheit.
 
Das ist echt kompliziert, ethisch würde ich auch abwägen.
Aber allein um rechtlich nichts falsches zu machen würden ich einen Juristen mit Schwerpunkt Medizinrecht dazuziehen um nicht noch mehr falsch zu machen.
Dabei aber nicht die Tochter übergehen , denn sie ist eine wichtige Schnittstelle. Vielleicht solltet ihr bei so einer belasteten Situation eine Fallsupervision machen? Es ist nichts fatales dran sich Hilfe hinzuzuziehen.
Wär auch eine ideale Fortbildung für den Bereich Onko.

LG Psychiaticnurse