Bombenalarm - Anordnungsbefugnis?

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08.10.2006
Beiträge
8
Ort
Steiermark
Beruf
Diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester
Akt. Einsatzbereich
Pulmologie
Funktion
Praxisanleiterin
Vor einem halben Jahr hatte ich Nachtdienst (Station mit 18 Betten) und war wie immer alleine (kein Pflegehelfer, Schüler,...).
Um ca. 01:50 erhielt ich einen Anruf von der chirurgischen Ambulanz - sie hätten gerne den diensthabenden Oberarzt gesprochen.
Dieser kam einige Minuten später auf Station und teilte mir mit, dass das Krankenhaus evakuiert werden müsse da eine telefonische Bombendrohung beim Nachtportier eingetroffen wäre, die von der Krankenhausleitung sehr ernst genommen werde (vom OA weniger).
Der OA sagte, die gehfähigen Patienten wären zu wecken. Er würde mit ihnen zu dem Sammelpunkt am Parkplatz gehen.
Die liegenden Patienten (stark red. AZ z.T.) sollen mit mir auf Station bleiben 8O
Bis dorthin verlief alles reibungslos. Die nächste Abteilung liegt um die Ecke und es war unschwer zu erkennen, dass die sowohl gehende als auch liegende Patienten evakuierten.
So wuchs meine Unsicherheit. Am Parkplatz (von unseren Balkon gut zu sehen) waren dutzende Feuerwehrautos, Polizei- und Rettungswägen. Und mittlerweile schon unzählige Patienbetten und gehfähige Patienten. (Wie ich später erfuhr wurde das gesamte Haus ausser Intensivstationen und Kreißsaal, in dem zu diesem Zeitpunkt eine Mutter entbunden hatte, evakuiert).
Nach ca. 15 Minuten kamen Polizei und Feuerwehrleute auf meine Abteilung mit dem Auftrag, wirklich ALLE Patienten zu evakuieren da der Katastrophenalarm gelte. Ich solle meine Kollegen telefonisch verständigen da wir Hilfe brauchten zwecks des logistischen Aufwandes.
Polizei und Feuerwehr fuhren mit meinen liegenden Patienten zum Sammelpunkt.
Als das der Oberarzt sah war er erst etwas ungehalten da ich seine Anordnung "ignoriert" hätte. Er sagte dass ich SEINEN Anordnungen folge leisten müsse und nicht denen der Polizei bzw. Feuerwehr.
Um 04:45 hatte die Spezialeinheit inklusive Hunde den letzten Trakt durchsucht und keine Bombe gefunden.
Das Beste: Um 06:00 kam der unwissende Frühdienst und fragte, warum ich die s.c. Injektionen nicht verabreicht habe :verwirrt:

Was hättet ihr getan? Welche Anordnung hättet ihr befolgt? Weiss jemand wie die Sache rechtlich aussieht?


Musste vorhin wieder an dieses Ereignis denken da ich einen Zugang von der Chir.Amb. bekam und mir stellts die Nackenhaare auf wenn ich im Nachtdienst einen Anruf von dieser Ambulanz bekomme :verwirrt:
 
Hallo,


nun, da man diesen Fall als "MANV (Massenanfall von Verletzen)" bezeichnen könnte, hat der dafür vorgesehene und von der Politik eingesetzte Vertreter für derartige Situationen das sagen.
Im Bezug auf die Gesundheitsfürsorge der Patienten ist der LNA (der leitende Notarzt) und der organisatorische Leiter des Abschnittes Gesundheit zuständig und weisungsbefugt.

Quelle:
Landesgesetz
über den Brandschutz, die allgemeine Hilfe und den Katastrophenschutz
(Brand- und Katastrophenschutzgesetz - LBKG -)



§ 24

Einsatzleitung

(1) Die Einsatzleitung hat
1. der Bürgermeister

2. der Landrat, wenn innerhalb eines Kreisgebietes mehrere Gemeinden betroffen sind und zur Gefahrenabwehr die Übernahme der Einsatzleitung durch den Landrat erforderlich ist oder bei Gefahren größeren Umfanges,

3.der Präsident der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion bei Gefahren im Sinne des § 6 Nr. 1,

oder ein Beauftragter


(2) Die Aufsichtsbehörde kann bei dringendem öffentlichen Interesse die Einsatzleitung übernehmen.

(3) In besonderen Fällen kann die gemeinsame Aufsichtsbehörde, wenn eine solche nicht vorhanden ist der das für den Brand- und Katastrophenschutz zuständige Ministerium, einen Einsatzleiter zur einheitlichen Wahrnehmung der Abwehrmaßnahmen bestimmen.

(4) In Betrieben mit einer Werkfeuerwehr hat der Leiter der Werkfeuerwehr die Einsatzleitung. Wird neben der Werkfeuerwehr eine Berufsfeuerwehr eingesetzt, so bilden sie eine gemeinsame Einsatzleitung, deren Führung bei hauptberuflicher Werkfeuerwehr bei deren Leiter, sonst bei dem Leiter der Berufsfeuerwehr liegt. Der Bürgermeister kann sich selbst die Einsatzleitung vorbehalten oder einen anderen damit beauftragen, wenn Gefahren für die Allgemeinheit drohen.

Meist wird dazu ein Beauftragter bestellt und es wird ein "Krisenstab" gebildet in dem alle mitwirkenden Organisationen und Fachberater vertreten sind.


Quelle:
Landesgesetz
über den Brandschutz, die allgemeine Hilfe und den Katastrophenschutz
(Brand- und Katastrophenschutzgesetz - LBKG -)


§ 25

Befugnisse der Einsatzleitung

(1) Der Einsatzleiter veranlasst nach pflichtgemäßem Ermessen die zur Gefahrenabwehr notwendigen Maßnahmen. Hierbei sind die von den in ihrem Aufgabenbereich berührten Fachbehörden für erforderlich gehaltenen Maßnahmen zu berücksichtigen. Ist eine größere Anzahl Verletzter oder Erkrankter zu versorgen, hat der Einsatzleiter einen Leitenden Notarzt und einen Organisatorischen Leiter damit zu beauftragen, schnellstmöglich eine den notfallmedizinischen Grundsätzen entsprechende Versorgung zu veranlassen. Der Einsatzleiter führt die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen durch, soweit diese nicht von der Polizei oder anderen zuständigen Stellen getroffen werden. Er hat die Befugnisse eines Vollstreckungsbeamten nach dem III. Abschnitt des ersten Teiles des ,,Landesverwaltungsvollstreckungsgesetzes.
(2) Sicherheitsmaßnahmen der Polizei oder anderer zuständiger Stellen sollen im Einvernehmen mit dem Einsatzleiter angeordnet werden.
(3) Feuerwehrangehörige und Helfer der anderen Hilfsorganisationen haben die Befugnisse nach Absatz 1, wenn der Einsatzleiter die notwendigen Maßnahmen nicht selbst veranlassen kann.

Gruß
Dennis
 
Hallo Pulmoschwester,

in einer solchen Situation handeln wir gemäss unseres hauseigenen Katastrophenplans, mit Krankenhauseinsatzleitung (KHEL). Der Plan ist für jeden Mitarbeiter zugänglich und muss auch von jedem Mitarbeiter gelesen werden. Die Vorgaben sind für alle bindend.
Ein Oberarzt der nicht die Einsatzleitung hat, hat nichts zu sagen.
Den Anordnungen der KHEL ist Folge zu leisten.
Ich verstehe die Anordnung deines Oberarztes nicht, er gefährdet unnötig Patienten, ich hätte mich auch nicht an seine Weisung gehalten.

Bisher war in den seltensten Fällen wirklich eine Bombe im Krankenhaus hochgegangen, wir hatten auch schon einen Bombenalarm, der ernst genommen wurde und die entsprechende Abteilung wurde geräumt und evakuiert - zum Glück war es ein falscher Alarm.

Liebe Grüsse
Narde
 
Nur um vielleicht mal einen Zusammenhang zum Gesetz herzustellen:

Die KHEL wäre dann im Abschnitt (1) Nummer 3. angesiedelt und natürlich auch im aufgebauten Krisenstab vertreten.

Gruß
Dennis
 
Hallo JD,

das ist richtig, wie die Erfahrung zeigt, ist die KHEL in der Regel schneller vor Ort als der Krisenstab, deshalb trifft sie die Anordnungen schon vorher.

Schönen Sonntag - ohne Katastrophen
Narde
 
Hallo zusammen,

bleibt noch die Kleinigkeit zu fragen, ob die österreichischen Gesetze analog bestehen, den Pulmoschwester kommt von dort...
 
...
Die liegenden Patienten (stark red. AZ z.T.) sollen mit mir auf Station bleiben 8O

Was hättet ihr getan? Welche Anordnung hättet ihr befolgt? Weiss jemand wie die Sache rechtlich aussieht?


:verwirrt:

Moin,

diese Anordnung hätte ich im Zweifelsfall verweigert.

Evakuieren ja ... mein eigenes Leben riskieren nein. Ich wage stark zu bezweifeln, dass einem daraus einer einen Strick drehen kann und wird.

Was den Rest angeht, ich hätte auch eher auf die Feuerwehr gehört.

Cys
 
Hallo Cystofix,

es geht nicht nur um mein Leben, sondern auch noch um das der Patienten die auf der Station verbleiben müssen.
Wenn alle anderen Stationen evakuieren, muss auch die Station von Pulmoschwester evakuiert werden, oder garkeine.

Liebe Grüsse
Narde
 
Klar muss auch die Station evakuiert werden ... nur wenn man einige Pat. nicht rausbringen kann ( sei es auf ner ICU Kreislaufinstabilitäten oder so ), dann würde ich trotzdem gehen, auch wenn Pat. auf Station verbleiben.

Hätte man eine Deadline, bis zu der evakuiert werden müsste, dann würde ich natürlich bis dahin mithelfen, jeden rauszuholen , aber anschliessend würde auch ich das Gebäude verlassen und eben Leute darin zurücklassen, so hart es klingen mag.

Alles zu versuchen ist eins ... für andere mein Leben aufs Spiel setzen -> nein.

Cys
 
Wie auf dem Schiff:

Kinder und Frauen zuerst!
 
*offtopic*Das erinnert mich an etwas, was ich erst nach der Wende erfahren habe.
Ich wohne ja unweit eines ehemaligen AKWs. Zu DDR- Zeiten gab es einen Katastrophenplan. Dieser sah unter anderem vor die Kinder von Krankenschwestern nicht zu evakuieren um sicher zu gehen, dass diese nicht den Ort verlassen im Falle eines Falles.

*ontopic* Ich würde ebenfalls so handeln wie cys. Es nutzt nichts selbst Schaden zu nehmen. Ein Märtyrertod möchte ich nicht sterben. Meine Aufgabe ist, die Pat. soweit es in meiner Macht steht zu evakuieren und dann für meine eigene Sicherheit zu sorgen um eine weitere Versorgung der geretteten Pat. zu garantieren.

Elisabeth
 
ok, Maniac,

hier mein Zwinkern: :motzen::knockin::fidee:
um das ganze zu erklären, wenn ich den Text von Pulmonurse richtig interpretiere ging es darum, dass andere Stationen komplett geräumt wurden, nur ihr Oberarzt anderer Meinung war. Deshalb bin ich immer noch der Meinung, dass dies die Falsche Eingabe des OA's war, so unwahrscheinlich die ganze Sache auch sein mag. Entweder kommen alle Patienten raus, oder keiner.

Schönen Abend
Narde
 
Um ehrlich zu sein, mir wäre es nicht in den Sinn gekommen, die liegenden Patienten alleine auf Station zu lassen. Natürlich war ich sehr erleichtert als Polizei und Feuerwehr auch diese evakuierten. Aber wie gesagt alleine gelassen hätte ich sie nicht.
Eine Patientin haben wir aber zurückgelassen (isoliert - MRSA, somnolent, BIPAP).

Bei uns liegt auch ein Katastrophenalarmplan auf. Er ist zwar sehr umfangreich (Begriffserklärungen, Panikprophylaxe, Alarmauslösung, Versorgungsstrasse.....) beantwortet aber nicht meine Frage. Hab ihn erst gestern wieder genau durchgelesen.

@Narde: Du hast den Text richtig interpretiert, alle anderen Stationen (ausser Med. Intensiv, Chir. Intensiv und Kreißsaal) wurden vollständig evakuiert. Sogar Kinder Intensiv inklusive Inkubatoren. Nur mein Oberarzt war der Meinung dass wir gegen den Strom schwimmen müssen... verrückt.

Gruß vom Nachtdienst der sich dem Ende zuneigt (ohne Katastrophen diesmal).
Pulmoschwester
 
Moin Flexi,

der Link ist interessant, denke allerdings, dass im Falle einer solchen Situation nichts passieren würde.
Ich entferne mich nicht, weil mir langweilig ist, oder ich was Besseres vor habe. Ich würde mein Leben ( was mir in einem solchen Fall wichtiger ist! ) - nach Ausschöpfen der Möglichkeiten zur Evakuierung - in Sicherheit bringen.

Ich denke, in einem solchen Fall hätten klagende Angehörige wenig Chancen und selbst falls der Träger / das Haus einem juristisch ans Leder wollen würde, dürften sie verlieren.

Cys
 
Hallo!

Ich hätte mich auch der Meinung des Oberarztes widersetzt. Wenn das Haus wegen Bombenalarm evakuiert wird übernimmt wie Narde sagte die Krankenhauseinsatzleitung das Kommando und dann spielt die Anordnung eines einzelnen Oberarztes keine juristische Rolle!
Zum Zurücklassen von Patienten nach Ablauf der Deadline kann ich nur sagen dass ich es genauso machen würde! Ich bleibe solange wie mein eigenes Leben nicht akut bedroht ist und dann verlasse ich das Gebäude. Ich glaube auch nicht, dass das juristische Folgen haben würde. Niemand kann mich zwingen mein Leben für andere auf´s Spiel zu setzen!
 
Ich habe leider keine Informationen zu den österreichischen Kapazitäten im Katastrophenfall, aber allem Anschein nach sind die ja ziemlich flott und haben auch ausreichende Transportkapazitäten.
Je nach Region sieht das in Deutschland etwas anders aus. :roll:

Es steht und fällt bei einer Evakuierung alles mit der Größe des Krankenhauses.
Übungen zur Evakuierung finden so mit 40 - 60 Patienten statt. So verfahren wir auch bei unseren ICE Übungen oder Großschadensfällen, aber die realistische Zahl ist natürlich weit höher.
Diese Patienten sind natürlich nicht alle schwer verletzt oder verletzt. :verwirrt:

Das logistische Problem 10 - 15 oder sogar 20 intensivpflichtige Patienten zu transportieren und für diese neue Aufenthaltsorte zu finden ist nicht in 5 Minuten zu bewerkstelligen und die Gefahr für den Patienten bei einer Bombendrohung oder dem Transport muss man im Einzelfall abwägen.

Eine Bombendrohung ist keine direkte Bedrohung für Leib und Leben (bitte das nicht falsch zu verstehen) wie Feuer oder Einsturz, wenn ich nun einfach aus Panik heraus die Patienten verlasse kann ich nicht genau sagen ob man dafür belangt werden kann.

Fakt ist natürlich, der, der und der bleiben erst einmal hier ist totaler Unsinn.
Evakuierung bei egal welchem Geschehnis beginnen. Lieber einmal zu oft evakuiert, als einmal zu wenig. Ich würde nur nicht unbedingt mit den Intensivpatienten beginnen, denn für diese gibt es vor der Tür noch keine Versorgungsmöglichkeiten.

Gruß
Dennis