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Hotel mit Schwestern

12. Nov 15:13

Wer im Wachkoma liegt, wacht zwar meist wieder auf, doch nur selten gelingt die Rückkehr in ein fast normales Leben. Olaf Schlippe hat einen Mann besucht, den Fachleute ein «großes Wunder» nennen.

Eigentlich war alles wie sonst, an diesem Tag im Dezember 2006. Professor Peter Staisch stand früh auf, frühstückte, unterrichtete mehrere Stunden Politische Wissenschaften an der Fachhochschule Stralsund, kehrte zurück in sein Hotel, setzte sich noch kurz an die Bar und ging dann auf sein Zimmer, bevor er nach einer TV-Sendung einschlief.

Als er am Wochenende nicht wie gewohnt in seiner Hamburger Wohnung ankam, begann seine Frau sich Sorgen zu machen und rief im Hotel an. Er schläft, wurde ihr geantwortet. Das konnte nicht sein, wusste sie und bestand darauf, dass das überprüft würde. «Ich lag röchelnd im Bett», erzählt Peter Staisch. Er wurde sofort ins Krankenhaus gefahren. Seine Frau und sein Sohn besuchten ihn dort, doch er kann sich an nichts erinnern. Er schlief. Diagnose: multiples Organversagen.Sobald sich sein Befinden dank intensiver Akutversorgung stabilisiert hatte, wurde er in ein Haus für Schädel-Hirnverletzte ins Krankenhaus Eilbek südlich von Hamburg verlegt, künstlich ernährt, gepflegt und beatmet, bis er das selbst über eine Luftröhrenkanüle konnte. Er schlief immer noch, aber ein entscheidender Umstand hatte sich geändert: aus dem Koma war ein wachkomatöser Zustand geworden – das so genannte apallische Syndrom oder Wachkoma.

«Ich hatte Träume»
Peter Staisch, der einst lange Jahre als ARD-Korrespondent gearbeitet hatte und der erste Chefredakteur des Senders n-tv gewesen war, konnte die Augen öffnen, hielt einen Wach- und Schlafrhythmus ein, jedoch niemand ansehen. Er reagierte weder bewusst auf die Ansprache der Schwestern, noch nahm er selbst Kontakt zu seiner Umwelt auf. Auch nicht zu seiner Frau. Es war ein gläserner Blick: unfixiert und abwesend. «Ich kann mich nicht wirklich an etwas erinnern», sagt er. «Ich hatte Träume, angenehme Träume.» Quer durch Deutschland sei er gereist, mit dem Zug, mit dem Auto. Ein Besuch bei der Schwägerin ist haften geblieben.Keine bewusste Reaktion bedeutet nicht, dass Wachkoma-Patienten nicht reagieren: Auf Lichter, Stimmen, Düfte, Bäder, auf Hunde und Häschen, die manchmal sogar in das Bett der Patienten gesetzt werden, auf bestimmte Instrumente und Klänge. Die Biografiearbeit ist dabei das A und das O, glaubt die ausgebildete Wachkoma-Expertin Helge Röschmann. «Es geht immer um Vertrautheit.» Es geht darum, die Sinne zu stimulieren, den Menschen zu helfen, den eigenen Körper wieder wahrzunehmen, sagt Röschmann. Es geht aber auch um Behutsamkeit, etwa durch das Eintauchen der Finger in das warme Wasser vor dem eigentlichen Waschen, um Schlucken lernen und die zuerst passive, später aktive Bewegung von Armen und Beinen.


Erwachen aus der Starre
Wer das mag, entspannt sich, öffnet möglicherweise interessiert die Augen, lächelt mitunter sogar. Wer nicht, beginnt bisweilen zu schwitzen, bildet verstärkt Speichel, wendet den Blick in eine andere Richtung oder verschließt die Augen ganz. «Das deutet auf Abwehrverhalten hin»,weiß die Pflegedirektorin des Hamburger Pflegeheims «Amarita», deren Haus sich seit März dieses Jahres auf die Betreuung derartiger Patienten spezialisiert hat. 15 Betten gibt es derzeit, 35 sollen es ab Januar sein. Immerhin erwecken die Bemühungen vieler Helfer rund 80 Prozent aller Wachkomapatienten aus ihrer Starre. «Es gibt Auslöser, die sind so toll, dass sie wach werden», ist Helge Röschmann überzeugt.

Als sie Professor Staisch zum ersten Mal sah, saß er im Rollstuhl und benötigte eine Luftröhrenkanüle. Nach Meinung der Ärzte bestand wenig Hoffnung. Doch kurz vor Ostern 2007, nach rund vier Monaten Bewusstlosigkeit, kam er wieder zu sich. «Ich hatte die Augen aufgemacht und keine Ahnung, wo ich war. Irgendeine Krankenschwester erschien und sagte: Guten Morgen!» Natürlich konnte er nicht sofort aufstehen. Das dauerte noch Wochen. Zuerst half ihm der Rollstuhl, dann der Gehwagen. Bald atmete er auch wieder normal. Sein heutiges Zimmer im normalen Wohnbereich des Hamburger «Amarita» Seniorenpflegeheims betrat der 64-Jährige nach einem gymnastikreichen Zwischenaufenthalt in einer Reha-Klinik bereits mit Hilfe eines Gehstockes. Inzwischen läuft er ohne, spricht, isst. «Es geschehen viele kleine und große Wunder», meint Pflegedirektorin Helge Röschmann, «doch bei den kleinen muss man sehr genau hinschauen und die großen wie dieses geschehen selten.»

Für den Rest des Lebens
Denn die Normalität heißt Pflegebedürftigkeit - in der Regel für den Rest des Lebens. Und die Anzahl der Menschen, die im Wachkoma liegen, steigt. Experten schätzen ihre Zahl auf derzeit etwa 8000 Fälle im Jahr allein in Deutschland, bedingt durch den technischen Fortschritt der Medizin bei der Wiederbelebung von Menschen. Verkehrsunfälle mit Schädel-Hirnverletzungen oder schwere Schlaganfälle führen heute zwar nicht mehr notwendigerweise zum Tode, mit sicherer Wahrscheinlichkeit jedoch in ein Pflegeheim – zumindest vorübergehend.Professor Peter Staisch möchte über Weihnachten und Neujahr zuhause sein. Die Chancen hierfür stehen gut. Danach will er ins Amarita zurückkehren. «Wo ich liege, ist mir egal», sagt er, der zugibt gern zu schlafen. Seine Frau kann so ihren Beruf weiter ausüben und er lebt fast wie vorher, außer dass er zweimal täglich Tabletten bekommt. «Hier geht es mir ja nicht schlecht», meint er. «Ich lebe wie im Hotel, in einem Hotel mit Schwestern.»



Quelle: NETZEITUNG Aktuelle Nachrichten aus Politik, Wirtschaft, Sport, Entertainment, Medien und mehr
 
schöner artikel!!! und immer wieder erstaunlich, wozu der menschliche körper, aber auch die medizin fähig ist!
 
Hallöchen,
es ist wirklich ein toller Artikel- ich arbeite selber auf einer " Wachkomastation",
gibt es denn hier noch andere Leutchen die mitreden können über
die Apalliker?
Bis denne,
Fee