Drogensondersprache - Tabu oder hilfreiches Mittel im Kontext der Pflege von Abhängigen?

randall-mcmurphy

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Erziehungswissenschaftler, Germanist, Krankenpfleger, Dozent, Autor
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Allgemeine Psychiatrie Heidelberg
Hallo allerseits,

mich würde mal interessieren, ob diejenigen von Euch, die im stationären Kontext mit Abhängigen arbeiten, zum Vertrauensaufbau und -erhalt auf szenesprachliche Kommunikationsstrukturen zurückgreifen oder nicht. Wir hatten letztens eine große Diskussion auf der Station, ob es sinnvoll ist die Sprache der Patienten zu sprechen oder nicht. Natürlich war die Meinung sehr geteilt und es wurde recht heftig diskutiert.

Liebe Grüße

Randall
 
Ich bin dir keine Hilfe, aber was meinst du genau mit Drogen-Szene-Sprache?
 
Hallo,

unter dieser Art der Sprachgebrauchsform verstehe ich Wörter, Metaphern oder sonstige sprachliche Konstruktionen, die von Menschen verwendet werden, die sich der Szene der illegalen Drogennutzer nahe fühlen, oder direkter Bestandtteil dieser sind. Dass die Drogenszene eine eigenen Sprache hat (wie ziemlich jeder andere Subkultur auch), gilt als empirisch gesichert, d.h., es gibt ja diverse Wörterbücher der Drogensprache und unzählige Wortlisten im Internet.

LG

Randall
 
Im mom arbeite ich auf ner offenen Sucht station und as schon seit einigen wochen.

Daher kann ich dir sagen ich lasse mich nicht auf diese Sprache ein, denn somit ziehe ich ne klare grenze zwischen mir und den Patienten und "verbünde" mich nicht mit ihnen.

Sonst kann es auch schnelll zu Ärgernissen im Team kommen und die Patienten merken sowas sehr schnell und treiben da noch nen keil rein.
 
Hallo!

Ich hab vor kurzem einen 5-Wöchigen Einsatz in einer geschlossenen Suchtstation gehabt. Dort haben sich die Mitarbeiter nicht in der Szenesprache ausgedrückt gegenüber den Patienten.
Sie haben sogar die Patienten drauf hin gewiesen, dass sie versuchen sollen sich ohne diese Worte auszudrücken, weil das ein erster Schrit ist, sich von ihrem Millieu zu distanzieren.

Liebe Grüße Julia
 
hallo und danke bisher für eure beiträge,

in vielen pflegebüchern steht allerdings "man soll den patienten da abholen, wo er steht" ... (z.B. Heuwinkel-Otter, A et al. (Hg.):Menschen Pflegen (Bd. 2), Springer 2006, S. 237)

und der ansatz der "zugehenden sozialarbeit", wie auch der der "motivierenden gesprächsführung" lautet doch, dass man den klienten akzeptieren soll, wie er nun mal ist. nur so lässt sich eine veränderungsmotivation aufbauen.

dies sind alles nur fragen, die ich mir stelle ...

lG

Randall
 
in vielen pflegebüchern steht allerdings "man soll den patienten da abholen, wo er steht" ... (z.B. Heuwinkel-Otter, A et al. (Hg.):Menschen Pflegen (Bd. 2), Springer 2006, S. 237)
Randall

Kommt drauf an wie distanziert der Pat bereits von der Szene ist und wie und ob er sich überhaupt öffnet.

Ich finde es eigentlich ganz gut, diesen Drogenslang nicht aufzugreifen, um eine Distanz - wie oben bereits gesagt - zur Szene zu fördern. Viele steigen sonst noch mehr auf diesen Slang ein und kultivieren ihn noch.
 
Wenn ich sonst nicht in dieser Sprache spreche, wieso sollte ich es dann mit einem Pat. tun? Ich würde mich nur unglaubwürdig machen.
Ich würde ja auch kein Proll-Türken-Deutsch reden, um Kontakt aufzubauen. (Ohoh, hoffentlich fasst das jetzt nicht einer als ausländerfeindlich auf!)
 
Ich bin auch dafür, dass man sich da ausklinkt. Einfach dass den Patienten aufgezeigt wird das dies auch zur Therapie gehört, sich davon zu distanzieren.

Was wäre denn das Pro davon? Des einzigste was mir dazu einfallen würde, dass sich der Patient auch wirklich verstanden fühlt. Aber das kann man auch durch die "normale" Sprache aufzeigen "Ja, ich habe dich verstanden." ggf. mit.... hach, wie heißt dieses Wort, wenn man das gesagte seines Gegenübers nochmal kurz zusammenfasst ob das auch richtig aufgefasst wurde. Gibt ein Schlagwort dafür?!! :emba:
 
Da ein Freund lange zeit drogenabhängig war sage ich dazu nur, dass es schön wäre wenn besagte stationen mal überhaupt das gespräch suchen und die menschen dort nicht nur ihre zeit absitzen lassen. sorry, musste mal raus.man sollte sich nicht gedanken machen ob man sich "in ihrer sprache" ausdrücken soll, sondern sich gedanken machen wie man nääher an diese patienten heran kommt und offen und ehrlich sprechen. das wäre eine große hilfe.
 
Ich denke, jeder weiß das noch von früher aus den Teenie-Zeiten, wenn Erwachsene versucht haben in der Teenie-Sprache zu reden - die habe ich überhaupt nicht ernst genommen...

Ein Beispiel, wo es sehr gut klappt, Pat in "ihrer Sprache" zu begegnen - wenn man es kann - ist zB Plattdeutsch. Trifft aber meist auf alte Menschen zu, die eher nicht auf Drogenentzugsstationen zu finden sind. :wink:
 
Puh, schwirig, kenne keine Drogensprache, aber generell finde ich muss es zu dem jenigen passen, also ich rede wie ich rede halt auch lockerer und wenigergeschwollen, da passend, aber wenn ein älterer Herr vor mir sitzt oder ne ältere Dame vom alten schlach beispielsweise oder keine Ahnung halt gesetztere Menschen, zügele ich mich schon und überlegeetwas mehr wie ich mich ausdrücke.....aber auch passend möchte doch authentisch rüber kmmen...und sein!!!!

Ne ätere Krschw kann nicht in Jugendsprache sprechen und ne jüngere kann nicht in alte schlach sprache sprechen finde ich das passt gar nicht und finde ich fällt voll auf
 
Hallöchen,
ich würde nicht mitreden. Der Versuch kommt nicht so gut bei den Drogenleuten an und es wirkt unecht. Man darf aber durchblicken lassen/ zu verstehen geben, dass man den Jargon versteht.
Ausserdem ist man nicht auf der Strasse, sondern in einer therapeutischen Einrichtung. Den Unterschied sollte man verdeutlichen und nicht eine "Fortführung des Milieus mit anderen Mitteln" versuchen.
MfG
rudi09
 
hallo @ll,

ich hab meine sprache und die werde ich verwenden.
wichtig ist authentizität.
für mich gibts da keine generelle lösung.
natürlich frage ich "kiffen" ab und weiss, was ein "schoppen" ist.
wenn ich jemandem begegnen kann, indem er/sie "ein blech" raucht, ist es ok.
jeden abholen, wo er/sie steht.
anfangen und weitergehen, das ist arbeit mit suchtkranken menschen.

grüsse
 
danke für eure vielen antworten!

lg

randall
 
Hallo Randall,

wie ging eure Diskussion auf Station aus?

Ich persönlich finde es schon sinnvoll die Sprache zu verstehen, wende sie aber nicht an - bin allerdings auch nicht in der Psychiatrie tätig, dennoch haben wir in der Infektiologie viel Kontakt mit Suchtkranken Patienten.

Liebe Grüsse
Narde
 
hallo,

die diskussion ging offen aus. die einen meinten, dass man die szenesprache auf gar keinen fall sprechen darf. die anderen stimmten zu, dass man ausdrücke der patienten im gespräch übernehmen darf. ich meinte mit "sprechen der sondersprache" auch nicht, dass man übertriebenermaßen davon gebrauch machen sollte, oder irgendwie gekünstelt daherreden sollte (so haben das manche hier verstanden).

ich habe mich zudem mal schlau gemacht und recherchiert, nen artikel verfasst und den an die zeitschrift psych.pflege heute geschickt. die erste resonanz war posititv.

lg

randall

p.s.: für alle, die sich für literatur zum thema interessieren:

Franke, P / Schildberg, F: Gruppentherapie zur Abstinenz- und Motivationsstärkung bei Opiat-Abhängigen Patienten. Ein verhaltenstherapeutisches Manual. Tübingen: dgvt-Verlag, 2004

Haertzen, C / Ross, F: Effects of clean, drug relevant, and drug word stimuli upon verbal associations to stages of addiction and Stepps in drug-taking. In: Addicitve Behaviors (1980), 5: 285 - 298

Hamid, H et al.: Substance Abuse: Medical and Slang Terminology. In: Southern Medical Journal (2005), 98(3): 350 - 362

Kampe, H. et al.: Die Bedeutung des Sondersprachgebrauches Drogenabhängiger für das Erleben und Verhalten. In: Sucht (1997), 43(1): 18 - 36

Kampe, H. et al.: Sondersprachgebrauch und Problemlösen bei Drogenabhängigen. In: Sucht (1997), 43(6): 393 - 423

Kaplan, CD et al.: Argots as a Code-Switching Process: a case study of the sociolinguistic aspects of drug subcultures. In: Jacobson, R: Code-Switching as a Worldwide Phenomenon. New York: Peter Lang Pub. Inc, 1991: 141 - 158
 
Hm, irgendwie finde ich alle genannten Argumente plausibel...
einerseits klare Grenzen ziehen u das Milieu aus der Einrichtung verbannen..schließlich sind die Betroffenen ja da um dem zu entfliehen.
Es ist sicherlich für ihr späteres Leben von Vorteil wenn sie eher "unsere Sprache" übernehmen und "deren's" ablegen, als das wir in unserem Alltag auch noch so anfangen. Man kennt ja das Phänomen, dass wenn man längere Zeit mit einem Menschen verbringt oft seine Sprache u Mimik übernimmt" (wie zB in Cliquen usw). Andererseits sollte man nicht zu überheblich reden/wirken (ihn nicht zu sehr als als"Fall" behandeln u seine "Lehrbuchweissheiten" raus hängen lassen), damit man einen guten Zugang zu ihnen findet u ein vertrauensvolen Kontakt aufbauen kann. Wie schon oft bestätigt : authentisch eben...
so und nun führt mich mal auch in den "Drogenslang" (rein zur Verständnis) ein u erklärt mir oben genannte Ausdrücke... "kiffen" ist mir ein Begriff, aber den Rest habe ich nie gehört...


hallo @ll,

ich hab meine sprache und die werde ich verwenden.
wichtig ist authentizität.
für mich gibts da keine generelle lösung.
natürlich frage ich "kiffen" ab und weiss, was ein "schoppen" ist.
wenn ich jemandem begegnen kann, indem er/sie "ein blech" raucht, ist es ok.
jeden abholen, wo er/sie steht.
anfangen und weitergehen, das ist arbeit mit suchtkranken menschen.

grüsse
 
hallo,

wenn du mal einen überblick über eine auswahl an synonymen für drogen, allerlei arten des konsums, etc. bekommen willst: Drogensprache - Szenesprache.

Ansonsten finden sich Wortlisten bei:

Möller et al.: Psychiatrie und Psychotherapie. Stuttgart: Thieme, 2005
Tretter et al: Suchtmedizin. Stuttgart: Schattauer, 2000

Zu den von dir zitierten Worten kann ich sagen:

> Einen Schoppen trinken = Alkohol trinken
> Ein Blech rauchen = Das Rauchen des Heroins (Slangbegriffe: „Blowen“, „Chasing the Dragon“, „den Drachen jagen“, “einen Aufleger rauchen“, “eine Folie rauchen“, „ein Blech rauchen“ bzw. „chineesen“), ist eine Konsumform, bei der das Heroin auf einem Stück Alufolie verdampft wird. Dieser Dampf wird mithilfe eines Aluröhrchens inhaliert.

Drogensprache wandelt sich allerdings recht schnell; besonders, wenn man bedenkt, dass viele ausdrücke aus der "szene" in die standardsprache hinüber diffundieren: ein gutes feeling haben; jemanden oder etwas checken; gut drauf sein, etc. sind alles phrasen, die ursprünglich der subkultur der illegalen drogenkonsumenten entstammen ...

lg

randall
 

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