Wahn

Trisha

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Registriert
04.03.2004
Beiträge
1.431
Ort
Göttingen
Beruf
Krankenschwester, Pflegerische Fachexpertin für chronische Wunden
Akt. Einsatzbereich
Bildungsmanagement Bereich chronische Wunden
Hallo liebe KollegInnen,

seit längerer Zeit betreue ich in meiner Tour (amb. PD) eine noch recht junge Pat. (47 Jahre alt), die des öfteren in der Psychiatrie war wegen einer Psychose (leider brachten wir hierzu nie genaues in Erfahrung wegen mangelnder Kooperation des Hausarztes). Sie hat eine amtl. Betreuung, und unsere Aufgabe ist es, ihr tgl. ihre Medikamente zu richten und zu verabreichen (Leponex, Cipramil) und sie somit tgl. zu beobachten, ob es ihr gut geht oder ob sie wesensverändert wirkt. Letztes Jahr sank sie wieder so tief, dass sie per Zwangseinweisung mit Polizei, Betreuuerin und Hausarzt für mehrere Monate in die Psychiatrie musste. Damals konnte sie einfach nicht mehr sprechen und wirkte panisch und introvertiert.
Jetzt ist es so, dass sie zusammen mit einer Freundin (ebenfalls psychisch krank, wohnt mit Pat. zusammen) in eine freikirchliche Gemeinde (Pfingstgemeinde) geriet, in der sie meiner Meinung nach einer Art "Gehirnwäsche" unterzogen wurde. Die Pat. redet nur noch von Jesus und Gott, ist übertrieben aufgeheitert, kichert und redet nur noch und jegliches Thema wird immer wieder auf christl. Themen gelenkt. Anfangs dachte ich, es scheint ihr gut zu tun, so kommt sie mal aus ihrer Wohnung und ist in Gesellschaft, aber ihr Verhalten veränderte sich innerhalb weniger Tage, das kam mir schon ausgesprochen komisch vor.
Die Betreuuerin ist äusserst besorgt, aber den Arzt (kein Facharzt) scheint das nicht wirklich zu kümmern, auch empfindet er es nicht notwendig, dass sie eine Betreuung hat, dass ihr jemand die Medikamente richten muss oder sie mal an einen neurolog./psychiatr. Facharzt zu überweisen.
Ich habe echt keine Ahnung, wie ich mit der Pat. umzugehen habe. Soll ich ihr zuhören und mich mit ihr freuen, oder gar nicht darauf eingehen? Es scheint ja wirklich von Tag zu Tag schlimmer zu werden und habe ehrlich gesagt Angst, dass es ungeahnte Ausmasse annimmt. Für uns Pflegekräfte ist es, auch wenn wir nur fünf Minuten drin sind, psychisch total aufreibend.

LG
Trisha
 
Hallo Trisha,

das große Problem von Menschen mit einer Psychose ist es, dass sehr ein instabilen Rahmen ihrer Persönlichkeit besitzen, einhergehend mit einer verzerrten Wahrnehmung (dem Grundsymptom der Psychose). Dies beduetet, dass Patienten gegen starke Einflüsse von Aussen sehr empfänglich sind.

Christliche Gemeinschaften wie die Zeugen Jehovas, die Pfingstgemeinde etc. weisen meist sehr enge und starre Strukturen auf und versprechen Lösungen - Glaube an Gott und er weist dir den Weg. Nicht ich muss etwas tun, Gott (oder eine anderes spirituelles Wesen) macht das schon. Das entlastet jemanden, der vom Leben sehr geschüttelt ist und chronisch psychisch Krank (dafür spricht ja ganz deutlich das Leponex - das ist das Mittel der letzten Wahl, wenn auch die atypischen nichts bringen). Das kann helfen, aber auch schaden. Wichtig ist es sich auf die Wahrnehmung des Betroffenen einzulassen, es gibt bei ihm keinen "Gesunden Menschenverstand". Psychosepatienten muss man versuchen zu verstehen, um gemeinsame Lösungen zu finden.

Hilfreich ist das Buch von Bock aus dem Psychiatrie Verlag zu dieser Thematik. Kurz und knapp und sehr hilfreich.

Cheers

Ingo :king:
 
Hi!
Was ist denn die Pfingstgemeinde? Habe ich bisher noch nichts von gehört!

MFG,
Kartoffelbrei
 
Hallo Kartoffelbrei,

die Pfingstgemeinde ist eine Freikirche (manche nennen es auch Sekte) die sehr viele Anhänger in Deutschland hat. Besonders unsere russischen MitbürgerInnen sind in dieser Gemeinde Mitglied (die Frauen tragen Kopftücher, sind dem Mann untertan und haben oft überdurchschnittlich viele Kinder - soviel zu den "äusserlichen Merkmalen" :mryellow: ). Sie glauben, nur Gott und Jesus´helfende Hände können einen kranken Menschen heilen, ein Arzt oder die Pflegekraft wird bei ihren Durchführungen und Tätigkeiten von Gott bzw. Jesus geleitet...wenn Du also meinst, Du hast jemanden gerettet, weil Du im Erste-Hilfe-Kurs gut aufgepasst hast, dann hast Du Dich leider geirrt :wink: !

LG
Trisha

P.S.. Möchte mit meinem Geschriebenen natürlich niemanden persönlich angreifen....
 
Hi Trisha!

Vielen Dank für deine Antwort,jetzt bin ich ein wenig schlauer.
Aber nun noch mal zu deinem eigentlichen Problem. Was hat denn die Betreuerin für Bereiche? Vielleicht sollte sie diese Versuchen zu erweitern. Zum anderen sollte man den Arzt wechseln und zu einem Facharzt gehen.Wer verschreibt ihr denn das Leponex? Muß das nicht auch ein Facharzt machen? Bin mir da gerade nicht mehr sicher. Werde ich morgen mal nach hören.

MFG,
Kartoffelbrei
 
Hallo,

die Betreuerin hat alle Bereiche. Und das Leponex müsste meines Erachtens ja auch eher von einem entsprechendem Facharzt verschrieben werden. Sie wurde in der Psychiatrie so eingestellt und der Hausarzt hat es so übernommen und verschreibt ihr das unbekümmert weiter. Aber wenn man mit diesem Arzt redet, reagiert er sofort trotzig, und dann macht er erst recht nichts mehr und zieht sein eigenes Ding durch. Die Pat. möchte nicht den Arzt wechseln. Es ist ein schwieriger Fall, schwierig auch für uns, weil wir ja so gut wie gar keine Erfahrung mit psychisch erkrankten Patienten haben. Man hat Angst, ihr falsch zu begegnen oder eindeutig pathologische Symptome zu übersehen...

LG
Trisha
 
Hallo Kollegen,

Leponex ist ein sehr wirksamen neuroleptisches Medikament - Cloamzapin. Das neue atypische Zyprexa hat einen ähnlichen Wirkstoff - Olamzapin.

Es ist aber auch durchaus deutlich, dass man mit der Patientin schon einges durchprobiert hat, ansonsten wäre man nicht bei dem Leponex gelandet (welches allerdings auch weitaus günstiger ist als Zyprexa).

Nichts desto trotz sollte es doch weder darum gehen die Patientin durch weitere Betreuungen einzuschränken oder in falsche Richtungen zu schießen (Hausarzt) - es geht darum, wie kannst du die Patientin verstehen, ihr Denken, ihr Handeln, ihre Wahrnehmung.

Cheers

Ingo




 
Hallo!


@Ingo:
Wenn der Hausarzt sich nicht ausreichend um Die Patientin kümmert und unkooperativ dem Pflegedienst gegenüber ist,dann würde ich den wechseln. Das hat doch überhaupt nichts mit einschießen zu tun.Und sei doch mal ehrlich,wieviel Hausärzte kennst du,die sich nicht gut um ihre Patienten kümmern. Da nützt die beste Patientenbeobachtung nichts,wenn es den Hausarzt nicht interessiert!

Mfg,
Kartoffelbrei
 
Hallo,


momentan ruht der Fall ohnehin, da die Pat. kürzlich mit einer Sprunggelenksfraktur stationär ins KH musste (dort gab es auch massenhaft Probleme, wobei sich das KH-Personal wiederum nicht an den Hausarzt, sondern an uns wendete).
Dennoch: die PK´s haben max. fünf Minuten Zeit für eine Medikamentenverabreichung (wenn man es genau nimmt, nur drei Minuten), in dieser kurzen Zeit hängt es von unserer Beobachtung ab, was mit der Frau weiter geschehen soll und ob überhaupt Handlungsbedarf besteht. Wir sind sozusagen in der Vermittlerrolle zw. Hausarzt (der lieber seine Ruhe hat) und der Betreuerin (die lt. eigener Aussage wegen dieser prekären Situation "Panik schiebt").

Die Pat. wird ja eines Tages wieder aus dem KH entlassen, nur gut, dass sie in dieser Zeit nicht an den Gebetsstunden teilnehmen kann, durch die sie sehr stark beeinflusst wird.

LG
Trisha
 
Hallo Trisha,

in dem Fall dürfte es nötig sein den Fall an einen Psychiatrischen Pflegedienst abzugeben der Soziotherapie nach SGB V abrechnen kann.

Dies muss allerdings der Hausarzt beantragen. Gibt es bei euch vor Ort eine solche Institution?

Ingo
 
Hallo Ingo,


einen Psychiatrischen Pflegedienst gibt es in unserer Einöde meines Wissens nicht, wäre in diesem sehr ländlichen Gebiet sicher unrentabel oder würde gar nicht erst zugelassen.
Ich kann natürlich nur hoffen, dass im KH ein neurolog./psychiatr. Facharzt konsultiert wird und dieser sie auch zu Hause weiter behandelt...

LG
Trisha
 
Hallöchen!

So, nun ist es soweit, die Pat. hat es nun soweit gebracht, dass sie leider per Zwangseinweisung am Freitag in die Psychiatrie eingeliefert wird :-? . Sie weiss das natürlich nicht:weissnix: . Wir werden am Freitag morgen mit einem "Grossaufgebot" bei ihr sein und sie wie schon einmal die Treppe runter und aus dem Haus tragen müssen. Nervenaufreibende Angelegenheit:knabber: .
Sie war im KH mit einer Sprunggelenksfraktur, und als sie nach Hause kam, verhielt sie sich schon sehr seltsam. Sie war zeitweise verwirrt, wirkte ängstlich und besorgt.
Bei meiner Kollegin, die ihr den Verband neu anlegte, musste die Pat. plötzlich total ausgerastet sein, als die PK neue Kompressen auf die Wunde legen wollte, die Pat. wollte unbedingt die alten gebrauchten wieder drauf haben...am nächsten Tag liess sie sie gar nicht mehr in die Wohnung, hat ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen.
Am selben Tag rief sie bei uns im Büro an, sie bräuchte ja ihre Medikamente, sie hätte sie nicht bekommen...
Die Pat. hat noch eine angewickelte Gipsschiene, sie belastet trotz Verbot voll, saust durch die Wohnung damit, als hätte sie nichts, ganz ohne Gehhilfen. Sie ist absolut uneinsichtig.
Sie guckt nur noch ganz starr, hat offensichtlich eine Sprechblockade (beantwortet meine Fragen nicht oder erst viel später), und wenn sie spricht, ist sie ausgesprochen frech.
Heute hat sie mit ihrer Aussage unsere Vermutung bestätigt, sie nehme seit Wochen ihr Leponex nicht, sie brauche das nicht mehr, der Liebe Gott und der Jesus hat sie geheilt...
Glaubt mir, versteht mich nicht falsch wenn ich sage: ich bin froh, wenn die Pat. in der Psychiatrie ist. Das hält keiner mehr aus....meine Kollegin war nach den Vorfällen absolut mit den Nerven am Ende und mich regt das ganze auch ziemlich auf :knockin: .

LG
Trisha