Verhalten gegenüber Suizidpatienten

Rabenzahn

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15.02.2002
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933
Ort
Kassel
Beruf
AN-Pfleger
Akt. Einsatzbereich
in Rente
Hallo,

wie soll ich mich gegenüber einem Menschen verhalten, der vergeblich versucht hat, sich umzubringen ?
Wer hat Vorschläge und gibt es Ratschläge dafür ?
 
Hallo Rabenzahn,

wir betreuen auf unserer Intensiv ziemlich häufig Patienten nach versuchtem Suizid. Deine Frage ist jedoch sehr allgemein gehalten und daher nicht so leicht zu beantworten.
Es hängt viel davon vom einzelnen Fall ab und ob eine akute Eigengefährdung besteht.
Wir schauen grundsätzlich, daß keine Gegenstände in Reichweite des Patienten sind, die er zur Eigengefährdung verwenden könnte (Verbandsscheren, Messer, Desinfektionsmittel etc.
Besonders wichtig erscheint es mir, den Patienten das Gespräch anzubieten und auf sie einzugehen.
Pauschal läßt sich nur schwer beschreiben. Vieleicht kannst Du Deine Frage etwas gezielter formulieren.

Gruß Dorothee
 
Hallo Dorothee, mich interessiert die Frage, macht sich das Pflegepersonal die Mühe diese Menschen zu verstehen, können sie nachvollziehen was in der Person vorging und gehen sie auf die Bedürfnisse und Wünsche ein.
Bieten sie Hilfe, Zeit und Gespräche an oder "behandeln" sie den Patienten wie andere Patienten auch ? Übergehen oder reden ?

Wird dieser > Zusammenbruch < als Schwäche, Hilfeschrei oder Schau ausgelegt?

Sind diese Menschen Versager, weil sie es wieder nicht geschafft haben ?

Wie sind deine Gefühle gegenüber einer solchen Person ? Und was nimmst Du mit, nach Dienstschluß ?
 
Hallo!
Diese Menschen sind sicher keine Versager und das was sie durchgemacht haben bestimmt auch keine Schau. Wenn eine Person so weit ist sich umbringen zu wollen, da muss er schon wirklich nicht mehr weiter wissen. Ich denke, dass Suizidversuche mit Tabletten z.B. einfach Hilfeschreie sind!
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich mit diesen Patienten wirklich anders umgehe als mit anderen Patienten! Wenn der Patient das möchte, versuche ich, jede Minute die ich Zeit habe damit zu verbringen mit dem Patienten zu reden, ihm zu zuhören und irgendwie nachzuvollziehen, was diesen Menschen dazu gebracht hat diesen Schritt zu tun!
Besonders intensiv beschäftige ich mich mit den Patienten die in meinem Alter sind, und besonders diese Fälle kann ich auch nach Dienstschluss nicht einfach verdrängen, auch wenn ich sonst eigentlich gut abschalten kann!
Tisi
 
Hallo Rabenzahn,

jeder der sich umbringen will, soll es tun aber ohne jemanden mitzunehmen oder reinzureißen.
Es sind sicher mit die schwierigsten Patienten die man hat.
Ich hab sie ungern auf Station besonders wenn sie andere damit reingezogen habe. Es tut mit leid aber ich werde so wütend dabei.
Ich behandle sie normal ohne Reden über diese Thema. Ich habe sie ;Gott sei Dank, auch selten auf Station.
Zu den Patienten denen es (ohne jemanden reinzuziehen) nicht gelungen ist sich umzubringen kann ich nur sagen, daß ich weder Ausbildung noch Zeit noch Lust habe mich damit auseinander zusetzen. Diese Patienten kommen sobald als möglich ja in eine Fachklinik.
Dort sind sie auch richtig. Die Zeit bei uns reicht nicht aus um alles zu verstehen. Es ist auch meist nicht möglich, diese Menschen zu verstehen.
Was weiß ein Fremder den von ihren Problemen!
Klingt vielleicht nicht besonders einfühlsam, aber ist es.
Ich denke über sie nach und bin zu dem Entschluß gekommen:
Es ist ein langer Weg zu einem Suizid und ein mindest genauso langer wieder herraus.
LG
Dagmar
 
Hallo Rabenzahn,

mein Verhalten und auch das meiner Kollegen sehr stark vom einzelnen Fall abhängig.
Ich erzähle mal ein Beispiel:
Vor mehreren Jahren habe ich eine junge Stundentin betreut, die versucht hatte sich mit Tabletten umzubringen. Das sie noch "rechtzeitig" gefunden wurde lag an mehreren ungewöhnlichen Begleitumständen. Mir hat diese junge Frau sehr leid getan. Mir wurde aber auch klar, wie wenig Hilfe ich ihr in dieser Situation geben konnte. Auf keinen Fall würde ich so einen Menschen als Versager bezeichnen oder den Ernst ihrer Lage unterschätzen. Mir ist diese Geschichte ziemlich nah gegangen.
Bei meinen Kollegen habe ich beobachtet, dass jungen Menschen, speziell Frauen, ein doch recht grosses Mitgefühl entgegen gebracht wird.
Bei Patienten mit psychischen Vorerkrankungen ist das Verhalten schon anders, vor allem wenn Unbeteiligte dabei zu Schaden kommen.
Ich finde es sehr schwierig, mich in diese Patienten hinein zu versetzen und ihre Probleme zu verstehen. Erschwerend kommt hinzu, daß die Betreuung dieser Patienten sehr anstrengend ist, der Verlauf meistens komplikationsreich (z. B. erschwertes Weaning, keine Kontaktmöglichkeit).

Irgendwie bin ich immer froh, wenn wir diese Patienten dann irgendwann verlegen können.

Liebe Grüße
Dorothee
 
Hallo Dagmar!
Man muss ja auch nicht alles verstehen, aber man kann es ja wenigstens versuchen, oder? Wenn ich mich nicht für die Probleme anderer interessiere, dann kann ich logischer Weise auch nicht verstehen, was einen Menschen dazu bringt diesen Schritt zu tun!
Wurdest du schon einmál in deinem Bekanntenkreis damit konfrontiert? Wenn ja, verstehe ich deine Reaktion nicht, wenn nein kannst du glücklich sein!
Ich könnte wetten, dass du dann mit diesen Patienten anders umgehen würdest, denn dann beginnt man sich mehr mit diesem Thema und diesen Patienten zu beschäftigen!
Vielleicht liegt es auch daran, dass die die schon länger in diesem Beruf arbeiten einfach alles mit anderen Augen sehen?
Tisi
 
Hallo Tisi,

es mag bei mir wohl am Alter liegen.
Ich weiß jetzt, daß ich diesen Menschen nicht helfen kann. Auch du kannst es nicht auch wenn du noch so interessiert bist. Du glaubst es nur noch nicht.
Ich habe früher auch gemeint, wenn man zuhört versteht man.
Nein, das ist nicht so.
Du hilfst dem Menschen nicht nur indem du zuhörst. Es ist schon gut wenn er reden kann, aber die Suizidpatienten die mit dir- in der kurzen Zeit in die du sie auf Station liegen hast(sie werden sobald als möglich verlegt, meist schon kurz nach OP)- reden , erzählen jedem ihre Geschichten.
Das sind nicht die verschlossenen, wirklich gefährdeten.
Die erzählen dir bestimmt nichts. Sie brauchen ausgebildete Spezialisten.

Bei den Rednern erreichst du auch nichts. Weil du ihr Problem nicht lösen kannst.
Im Familienkreis hatte ich ein Suizidversuch (wurde in der letzten Min. gerettet), ich war damals aber noch ein Kind und habe das nicht realisiert.

Ich bin froh niemanden im privaten Kreis zu kennen. Ich hoffe nur, daß es auch keiner vorhat, denn dann hätte ich ein Problem. Weißt du welches?
Das ich es nicht bemerkt habe.
Ich habe einen kleinen Kreis wirklicher Freunde und wir kennen uns.
Es passiert bei uns nicht.
Denn es ist ein etwas längerer Weg zu einem Suizid bzw. auch ein plötzliches Ereignis kann das auslösen! Darum muß man sich vertrauen.

Bei dem Vorfall in der Familie war Entfremdung, Mißtrauen und Desinteresse der Auslöser.
Wie willst du da helfen? Das ist ein langer Prozeß bis dahin!
Jetzt kommst du als Schwester und versuchst diesen Menschen zu verstehen. Der erzählt die seine Version, du bemitleidest ihn, nimmst es mit nach Hause,bedauerst ihn am nächsten Tag. Uiih, toll hast du geholfen!

Ich gehe freundlich ins Zimmer, rede und lache mit den anderen wie immer, behandle seine körperlichen Wunden und bin freundlich und wenn er reden will höre ich zu.
Übrigens war ich auch mal auf Station als sich eine Patientin umgebracht hat. Sie war nicht von unserer Station aber es war grausig und vielen Menschen ist es schlecht geworden. Seelisch haben wir alle gelitten und das lange!
Wenn sich jemand umbringen will soll er keine anderen mit reinreißen. Sofern er bei Verstand ist.
Das ist ekelhaft und verabscheuungswürdig.
Wenn ich mich mit dem Thema beschäftigen möchte, mache ich eine Fachausbildung und gehe in die Psychatrie.
Ansonsten bin ich im Freundeskreis eine Freundin.

VG
Dagmar
 
Hallo,

ich finde Dagmar hat recht. Suizidpatienten können die Schwestern wohl nicht wirklich helfen. Diese Menschen benötigen einen Spezialisten. natürlich kann man Ihnen zuhören und Trost spenden und so weiter. Aber wirklich helfen können Ihnen, wenn überhaupt, nur ausgebildete Psychologen. Menschen die Ihrem Leben ein Ende setzen wollen müssen schon wirklich sehr verzweifelt sein. Da muß an der Ursache gearbeitet werden, nicht an der Tatsache das sie sich umbringen wollten.
Natürlich hilft es ihnen wenn sie reden können und die Schwester zuhört und Verständnis hat. Aber tief genug wird diese Hilfe leider nicht gehen. Und vorallem nimmt man diese Probleme dann mit nach Hause. Und sie beeinflussen den Arbeitsalltag sehr. Manchmal denke ich zum Nachteil.

Ich bin der Meinung das man Suizidpatienten durchaus genaus behandeln kann wie andere Patienten auch. Sicher sollte man darauf achten das keine Gegenstände die für sie gefährlich sind in Ihrer Nähe sind. Aber je normaler man sie behandelt, desto "normaler" und "gesünder" werden sie sich fühlen. Aber das ist nur meine Meinung !!

Grüße
Mäuschen
 
Hallo Mäuschen,

du schreibst zum Schluß : aber das ist nur meine Meinung!

Laß das NUR weg. Ich finde du hast eine sehr gesunde Meinung dazu .Du hilfst damit vielleicht mehr als du denkst.Denn wenn man helfen will und eigentlich nicht weiß wie steht man sehr unter Druck und dann geht man verkrampft miteinander um und die Patienten haben sehr feine "Antennen".

VG
Dagmar
 
Hallo,

in einem Buch steht zu diesem Thema:

Zitat:

Probleme im Umgang mit Suizidpatienten

Zwei Welten prallen aufeinander, lebenserhaltende Tätigkeiten versus Lebensabwertung des Patienten.

Patient
- Scham
- Schuldgefühle
- Ambivalenz ist entschieden worden

Pflegekraft
- Konfrontation mit eigenem Wertsystem
- Ggf. Wachrütteln eigener suizidale Tendenzen

Ansätze zur professionellen Pflege von Suizidpatienten
* Würde respektieren
* Patienten als Mensch annehmen
* In die subjektive Situation einfühlen

Achtung und Beachtung des Suizidpatienten während des stationären Aufenthaltes sind entscheidend für dessen zukünftige Entwicklung.

Also hat das Pflegepersonal eine besondere Aufgabe im Umgang mit Suizidpatienten, der wir uns vielleicht gar nicht bewusst sind.
 
Um den betroffenen Patienten zu helfen, kann man als Pflegekraft schon etwas tun. Selbst wenn es "nur" einmal das zuhören ist. Das was uns als Menschen in der Pflege vielleicht als zu wenig erscheint, kann für den Patienten schon ein Meilenstein sein, den er geschafft hat.

Bis jetzt habe ich in meiner Ausbildung zweimal mit Suizid-gefährdeten Menschen (die auch einen Versuch hinter sich haben) zu tun gehabt. Sicher anfangs auch mit viel Unsicherheit. In diesen Situationen, habe ich versucht auf mein eigenes Gespür zu hören.

Eine weiterführende Hilfe und Unterstützung kann ich sicher nicht leisten, denn da sind Psychologen besser ausgebildet. Auf der anderen Seite, denke ich oft: " Das was ich im Moment tun kann (wenn Sie zu uns auf Station kommen), werde ich tun - ohne mich dem Patienten gegenüber aufzudrängen.

Bis jetzt ist es mit so gegangen, das ich oft über die Gründe eines Suizids, sowie die Entwicklung bis dahin nachdenke. Vielleicht macht es dem Umgang mit diesen Patienten einfacher.

Gruß
Stefan
 
Hallo,
ich finde es mehr als schwer, sich mit solchen Menshen auseinander zu setzen, da ich ein recht positiv denkender Mensch bin und ich mir wirklich schwer damit tue mich in die Lage solcher Menschen zu versetzen und ihre Motive zu verstehen.
Wenn es sich um Menschen mit handelt, die aufgrund einer Lebenssituation herraus meinen, sich das Leben nehmen zu müssen, ist das für mich schwer nachzuvollziehen (z.B. wegen Trennung, oder Geldproblemen). Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich solche Menschen oft nicht helfen lassen wollen oder auch können (weil ja sowieso alles "********" (sorry) ist) und sie meistens nicht versucht haben an ihrer Situation ewas zu ändern.
Sie bekommen Mitleid von Freunden, Abgehörigen (was nicht weiterhilft) und stehen in dem Moment im Mittelpunkt, es wird sich gekümmert und sie fühlen sich nicht mehr so alleine, allerdings dauert diese Phase nicht lange an und die Probleme werden auch nicht gelöst, da selten einer sagt "Komm, ich helfe Dir, wir regeln das jetzt, da musst DU durch und nicht den Schwanz einziehen!"

Da gibt es halt schon Unterschiede, zwischen Menschen, die aus einer Notlage herraus handeln oder denen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung einen Suizid versuchen.

Schwer, schwer, finde ich.

LG
urmel
 
Hallo,

ich denke egal ob ein Mensch mit psychischer Erkrankung einen Suizidversuch unternimmt oder einer wegen einer besonderen Lebenssituation, beide brauchen neben der Möglichkeiten die das Pflegepersonal hat professionelle Hilfe. Und ich denke auch gerade die, die sich wegen "Kleinigkeiten" (Trennung, Schulden, etc) das Leben nehmen wollen brauchen diese Hilfe. Hier kam irgendetwas in der Erziehung zu kurz. Oder sie haben eben im Leben nie gelernt mit solchen Situationen umzugehen. Als Kinder immer umhegt und so weiter. Da ist es wichtig das man diesen Menschen das "wahre" Leben zeigt und auch zeigt wie man sein Leben meistern kann ohne ständig depremiert zu sein.

Und Ute: Du mußt einer der wenigen glücklichen Menschen sein. Nicht jeder denkt so wie Du. Ich gehöre auch zu der Sorte, und bin froh darüber. Behalte diese Eigenschaft und wirst immer erfolgreich durchs Leben gehn.

Grüße
Mäuschen
 
:?: Liebe Forumteilnehmer,
na, das wird wieder so eine lange Nacht wie gestern, doch ich habe heute frei.
Nun zu dem eigentlichen Thema. Es ist immer sehr schwierig und eine Gradwanderung für das Pflegepersonal, mit diesen Pat. umzugehen. Wenn allein schon jede Depression die Gefahr eines Suizides beinhaltet, ist es umso schwerer, mit einem Pat. umzugehen, der einen erfolglosen Suizid hinter sich hat. Wer sich festen Willens umbringen will, der tut das auch, sagte unser damaliger Psychiatrieprofessor. Und er behielt Recht. Im letzten halben Jahr meiner Ausbildung war ich auf der Forensic eingesetzt und dachte, dass mich ein Pferd tritt, als ich miterleben mußte, wie und mit welchen Methoden überhaupt Menschen aus dem Leben gehen. Da kann man als Pflegepersonal die Pat, völlig nackt in ein Zimmer schicken und er bringt sich um. Fassungsloses Staunen war damals meine Reaktion. Wenn ein Pat. nicht mehr leben will, scheidet er durch eigene Hand aus dem Leben, ob mit oder ohne psychologischer Therapie. Das waren meine Erfahrungen auf diesem Gebiet.
Gute Nacht zusammen, bis heute Nachmittag
Carmen
 

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