Unfreiwillige Sterbebegleitung
Es war gleich zu Beginn meiner Ausbildung. Ich war auf einer Station eingesetzt die durch zwei Belegärzte in einen kieferchirurgischen und einen urologischen Teil unterteilt war.
Der urologische Teil war fest in meiner Hand, weil ich ein Mann bin und es sich in einem katholischen Ordenshaus nicht gehörte, dass die Krankenschwester unterhalb des Nabels etwas tat.
Dafür durfte ich auf der kieferchirurgischen Seite nur den Haferschleim kochen oder die Behälter mit Wasserstoffperoxyd auffüllen.
Eines Morgens hatten wir einen Neuzugang, männlich, urologisch, mein Patient.
Besagter Mann – Herr B. – war klein bullig, grauen Schnäuzer und hatte die treuesten Bernhardiner-Augen der Welt. Er saß im Rollstuhl, bekleidet mit einem Schlafanzug und einem blaugrün gestreiften Bademantel, dessen Kragen immer weit hoch in den Nacken gezogen war. Aus Angst sich zu verkühlen. Er sprach einen urbayerischen Dialekt der nicht immer leicht zu verstehen war. Und er rauchte eine Zigarette nach der anderen.
Dadurch war er mir sofort aufgefallen. Also sprach ich ihn an und nach einer halben Ewigkeit und einem Blick aus diesen Bernhardiner-Augen kam dann ein : „ Weißt du Junge, ich sitze hier und warte auf meinen Tod.“ Er sagte es ruhig, gefasst, fast ohne Emotionen und ich schluckte erst einmal.
Als Schüler hat man natürlich nicht so viele Informationen über einen Patienten. Deshalb befragte ich die Stationsschwester, die mir erklärte das Herr B. ein Blasen – Ca hat, welches jetzt überall Metastasen gebildet hatte und der Urologe gab ihn noch eine Lebenserwartung von 3 Wochen.
Mit diesen Informationen und dem Hinweis mich besonders um Herrn B. zu kümmern begann ich eine unfreiwillige Sterbebegleitung ohne überhaupt zu wissen was das ist.
Herr B. war in vielen Dingen nicht so pflegeleicht wie es vielleicht im katholischen Ordenshaus gewünscht ist. So wurde erst unter massiven Protest und auf Wunsch von Herrn B. das Kreuz von der Wand abgenommen. Pflegerische Maßnahmen durfte nur ich an ihm durchführen. Ich, der gerade das i.m. Spritzen gelernt hatte, musste ihm regelmäßig sein Opiat zur Analgesie spritzen. Dabei gab es immer eine Fontäne aus dem Stichkanal, weil alles nur noch ein Oedem war. Tagsüber saß er in seinem Rollstuhl vor dem Aschenbecher, abends versorgte ich ihn für die Nacht. Da er gerne noch eine Zigarette im Bett rauchen wollte, versuchten wir auf vielen Wegen welche ins Zimmer zu schmuggeln, was meistens aber an der Kontrolle durch die Ordensschwester scheiterte.
Die ersten drei Wochen waren verstrichen und Herr B. machte eher den Eindruck aufzublühen statt zu sterben.
Im Laufe der Gespräche mit ihm erfuhr ich viel aus seinem bisherigen Leben. Beruflich war er ein guter Architekt, der Häuser in Deutschland, Schweiz und Frankreich hatte. Dann erkrankte er an besagtem Blasen-Ca. und der Urologe hat ihm gesagt das es gut zu behandeln ist. Aber Herr B. hat die Wahrheit nicht verkraftet. Fing an zu Trinken und hat sich um seinen ganzen Besitz gebracht. Konsequenz war sogar die Vormundschaft durch das Sozialamt. Die Sozialarbeiterin war eine junge Frau so um die 30 und sehr sehr nett.
Nach 3 Monaten auf der Station stand für mich der Wechsel zur Abteilung Innere Medizin an. Ich verabschiedete mich von Herrn B. und versprach natürlich nach ihm zu sehen.
Am nächsten Morgen auf der Inneren, gleich im 1. Zimmer lag ein Mann, den ich schon kannte.
Herr B. meinte zu mir, dass es ja wohl egal wäre wo er stirbt und hat sich auf die Innere Medizin verlegen lassen. Dort hielten wir es immerhin 6 Monate aus. ( Denken wir zurück an die 3 Wochen Lebenserwartung bei der Aufnahme ) Während der Zeit auf der Inneren Medizin unternahmen wir viele Touren durch das Krankenhaus, die durch kleine Biestigkeiten von Seitens Herrn B. getrübt wurden.
So stellte ich ihn an den warmen Tagen im Park unter diese großen alten Bäume, neben dem Springbrunnen in der Hoffnung er findet auch einmal einen anderen Gesprächspartner als mich.
Was macht er ? Starrt die ganze Zeit auf den Rasen . Darauf angesprochen sagte er : „ Da liege ich bald drunter. „ Das baut auf !!
Oder wenn das Wetter schlecht war, fuhren wir durch die Gänge der Klinik. Plötzlich ohne Vorwarnung die Frage: „ Wo ist die Leichenhalle ? „ „ Warum ? „ „ Ich will wissen wo ich hinkomme danach. „ Er wollte wirklich das ich sie ihm zeige, was ich nicht tat. Daraufhin hatten wir einen Schweigetag.
Einmal hatte ich ihn wieder im Garten deponiert, bei herrlichem Sonnenschein. Was ich nicht gleich bemerkt habe war der Platzregen. Als ich unten ankam, um ihn zu holen war sein einziger Kommentar:
„ Glaubst Du eigentlich ich bin wasserdicht ? „
An Tagen , an denen sich die Sozialarbeiterin angemeldet hat, musste ich ihn immer besonders sorgfältig rasieren und anziehen. Er war immer ganz aufgeregt und hatte erstaunlich gute Laune.
Nach Ablauf meiner 6 Monate Innere Medizin war der Wechsel zur Chirurgie geplant und wie bereits auf der Inneren Medizin hatte er auch diesmal die Verlegung zur Chirurgie durchgesetzt.
Mittlerweile kannte uns jeder im Krankenhaus und sah man den einen ohne den anderen wurde gleich gefragt ob was ist.
Drei Monate war ich auf der chirurgischen Station, dann hieß es Nachtwache auf der Urologie, wo alles angefangen hat. Ich brauchte mich nicht zu sorgen, er wird mich dort sicherlich schon erwarten. Und so war es dann auch.
Von den 10 Nächten die ich wachen sollte, waren 3 Nächte um, als ich abends durch die Pforte kam und die Schwester dort gleich zu mir sagte: „ Der Architekt stirbt.“
Ich bin sofort auf die entsprechende Station gelaufen und fand ihn mit geschlossenen Augen und gleichmäßiger Atmung im Bett liegend. Nicht ansprechbar aber friedlich aussehend. Und was mir gleich auffiel war das Kreuz an der Wand. Das hat er bei der Ordensschwester bestellt.
Da ich zur Übergabe musste, bin ich aus dem Zimmer geschlichen. Die Sozialarbeiterin war informiert und auf den Weg zur Klinik.
Die Ordensschwester und ich mussten damals auf drei Stationen wachen. Stündlich wurden alle Zimmer abgegangen, halbstündlich das Elend. Und so kam ich sehr oft zu ihm in Zimmer.
Gegen 22:00 Uhr traf die Sozialarbeiterin ein. Ich war gerade damit beschäftigt, ihm die Stirne abzutupfen als die Tür aufging und sie eintrat. Und man kann es glauben oder nicht. Er, der vorher nicht reagiert hat öffnet die Augen , lächelt und nimmt ihre Hand. Dann versank er wieder in eine andere Sphäre. Sie hat ganz still bei ihm gesessen und seine Hand gehalten.
Gegen 23:30 Uhr kam sie zu mir und sagte das er so schwer Luft bekommt und ob ich ihn nicht absaugen könnte. Nach Rücksprache mit der Ordensschwester habe ich alles dafür vorbereitet.
Und während ich den Mund absauge, wird er ganz blass, die Ordensschwester beginnt das Vater unser zu beten und Herr B. stirbt .
Die Sozialarbeiterin konnte die Tränen nicht zurück halten.
Ich habe nachdem sie gegangen war Herrn B. gebettet, die Augen und den Mund geschlossen und die Hände gefaltet. Und da er alleine war und keiner für ihn Blumen haben wird, habe ich aus jeder Vase die auf dem Flur stand eine Blüte entwendet und sie ihm gebracht. Es war ein schöner bunter Strauß. Dann habe ich meine Geräte entsorgt, mich hinten in das Treppenhaus gesetzt und geheult wie ein Schlosshund.
Zu seiner Beerdigung sind sehr viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegangen. Die Stationsschwester meinte es wären sicherlich 300 Menschen da gewesen. Für einen Menschen der völlig alleine lebte eine große Zahl.
Ich bin nicht gegangen, weil ich diesen Abschluss nicht wollte. Er hat mich gelehrt damit umzugehen, wenn auch nicht freiwillig. Manchmal denke ich an diese 9 Monate die wir erlebt haben. Es war eine wertvolle Zeit und eine gute Erfahrung.
Hyronimus Rabenzahn
Es war gleich zu Beginn meiner Ausbildung. Ich war auf einer Station eingesetzt die durch zwei Belegärzte in einen kieferchirurgischen und einen urologischen Teil unterteilt war.
Der urologische Teil war fest in meiner Hand, weil ich ein Mann bin und es sich in einem katholischen Ordenshaus nicht gehörte, dass die Krankenschwester unterhalb des Nabels etwas tat.
Dafür durfte ich auf der kieferchirurgischen Seite nur den Haferschleim kochen oder die Behälter mit Wasserstoffperoxyd auffüllen.
Eines Morgens hatten wir einen Neuzugang, männlich, urologisch, mein Patient.
Besagter Mann – Herr B. – war klein bullig, grauen Schnäuzer und hatte die treuesten Bernhardiner-Augen der Welt. Er saß im Rollstuhl, bekleidet mit einem Schlafanzug und einem blaugrün gestreiften Bademantel, dessen Kragen immer weit hoch in den Nacken gezogen war. Aus Angst sich zu verkühlen. Er sprach einen urbayerischen Dialekt der nicht immer leicht zu verstehen war. Und er rauchte eine Zigarette nach der anderen.
Dadurch war er mir sofort aufgefallen. Also sprach ich ihn an und nach einer halben Ewigkeit und einem Blick aus diesen Bernhardiner-Augen kam dann ein : „ Weißt du Junge, ich sitze hier und warte auf meinen Tod.“ Er sagte es ruhig, gefasst, fast ohne Emotionen und ich schluckte erst einmal.
Als Schüler hat man natürlich nicht so viele Informationen über einen Patienten. Deshalb befragte ich die Stationsschwester, die mir erklärte das Herr B. ein Blasen – Ca hat, welches jetzt überall Metastasen gebildet hatte und der Urologe gab ihn noch eine Lebenserwartung von 3 Wochen.
Mit diesen Informationen und dem Hinweis mich besonders um Herrn B. zu kümmern begann ich eine unfreiwillige Sterbebegleitung ohne überhaupt zu wissen was das ist.
Herr B. war in vielen Dingen nicht so pflegeleicht wie es vielleicht im katholischen Ordenshaus gewünscht ist. So wurde erst unter massiven Protest und auf Wunsch von Herrn B. das Kreuz von der Wand abgenommen. Pflegerische Maßnahmen durfte nur ich an ihm durchführen. Ich, der gerade das i.m. Spritzen gelernt hatte, musste ihm regelmäßig sein Opiat zur Analgesie spritzen. Dabei gab es immer eine Fontäne aus dem Stichkanal, weil alles nur noch ein Oedem war. Tagsüber saß er in seinem Rollstuhl vor dem Aschenbecher, abends versorgte ich ihn für die Nacht. Da er gerne noch eine Zigarette im Bett rauchen wollte, versuchten wir auf vielen Wegen welche ins Zimmer zu schmuggeln, was meistens aber an der Kontrolle durch die Ordensschwester scheiterte.
Die ersten drei Wochen waren verstrichen und Herr B. machte eher den Eindruck aufzublühen statt zu sterben.
Im Laufe der Gespräche mit ihm erfuhr ich viel aus seinem bisherigen Leben. Beruflich war er ein guter Architekt, der Häuser in Deutschland, Schweiz und Frankreich hatte. Dann erkrankte er an besagtem Blasen-Ca. und der Urologe hat ihm gesagt das es gut zu behandeln ist. Aber Herr B. hat die Wahrheit nicht verkraftet. Fing an zu Trinken und hat sich um seinen ganzen Besitz gebracht. Konsequenz war sogar die Vormundschaft durch das Sozialamt. Die Sozialarbeiterin war eine junge Frau so um die 30 und sehr sehr nett.
Nach 3 Monaten auf der Station stand für mich der Wechsel zur Abteilung Innere Medizin an. Ich verabschiedete mich von Herrn B. und versprach natürlich nach ihm zu sehen.
Am nächsten Morgen auf der Inneren, gleich im 1. Zimmer lag ein Mann, den ich schon kannte.
Herr B. meinte zu mir, dass es ja wohl egal wäre wo er stirbt und hat sich auf die Innere Medizin verlegen lassen. Dort hielten wir es immerhin 6 Monate aus. ( Denken wir zurück an die 3 Wochen Lebenserwartung bei der Aufnahme ) Während der Zeit auf der Inneren Medizin unternahmen wir viele Touren durch das Krankenhaus, die durch kleine Biestigkeiten von Seitens Herrn B. getrübt wurden.
So stellte ich ihn an den warmen Tagen im Park unter diese großen alten Bäume, neben dem Springbrunnen in der Hoffnung er findet auch einmal einen anderen Gesprächspartner als mich.
Was macht er ? Starrt die ganze Zeit auf den Rasen . Darauf angesprochen sagte er : „ Da liege ich bald drunter. „ Das baut auf !!
Oder wenn das Wetter schlecht war, fuhren wir durch die Gänge der Klinik. Plötzlich ohne Vorwarnung die Frage: „ Wo ist die Leichenhalle ? „ „ Warum ? „ „ Ich will wissen wo ich hinkomme danach. „ Er wollte wirklich das ich sie ihm zeige, was ich nicht tat. Daraufhin hatten wir einen Schweigetag.
Einmal hatte ich ihn wieder im Garten deponiert, bei herrlichem Sonnenschein. Was ich nicht gleich bemerkt habe war der Platzregen. Als ich unten ankam, um ihn zu holen war sein einziger Kommentar:
„ Glaubst Du eigentlich ich bin wasserdicht ? „
An Tagen , an denen sich die Sozialarbeiterin angemeldet hat, musste ich ihn immer besonders sorgfältig rasieren und anziehen. Er war immer ganz aufgeregt und hatte erstaunlich gute Laune.
Nach Ablauf meiner 6 Monate Innere Medizin war der Wechsel zur Chirurgie geplant und wie bereits auf der Inneren Medizin hatte er auch diesmal die Verlegung zur Chirurgie durchgesetzt.
Mittlerweile kannte uns jeder im Krankenhaus und sah man den einen ohne den anderen wurde gleich gefragt ob was ist.
Drei Monate war ich auf der chirurgischen Station, dann hieß es Nachtwache auf der Urologie, wo alles angefangen hat. Ich brauchte mich nicht zu sorgen, er wird mich dort sicherlich schon erwarten. Und so war es dann auch.
Von den 10 Nächten die ich wachen sollte, waren 3 Nächte um, als ich abends durch die Pforte kam und die Schwester dort gleich zu mir sagte: „ Der Architekt stirbt.“
Ich bin sofort auf die entsprechende Station gelaufen und fand ihn mit geschlossenen Augen und gleichmäßiger Atmung im Bett liegend. Nicht ansprechbar aber friedlich aussehend. Und was mir gleich auffiel war das Kreuz an der Wand. Das hat er bei der Ordensschwester bestellt.
Da ich zur Übergabe musste, bin ich aus dem Zimmer geschlichen. Die Sozialarbeiterin war informiert und auf den Weg zur Klinik.
Die Ordensschwester und ich mussten damals auf drei Stationen wachen. Stündlich wurden alle Zimmer abgegangen, halbstündlich das Elend. Und so kam ich sehr oft zu ihm in Zimmer.
Gegen 22:00 Uhr traf die Sozialarbeiterin ein. Ich war gerade damit beschäftigt, ihm die Stirne abzutupfen als die Tür aufging und sie eintrat. Und man kann es glauben oder nicht. Er, der vorher nicht reagiert hat öffnet die Augen , lächelt und nimmt ihre Hand. Dann versank er wieder in eine andere Sphäre. Sie hat ganz still bei ihm gesessen und seine Hand gehalten.
Gegen 23:30 Uhr kam sie zu mir und sagte das er so schwer Luft bekommt und ob ich ihn nicht absaugen könnte. Nach Rücksprache mit der Ordensschwester habe ich alles dafür vorbereitet.
Und während ich den Mund absauge, wird er ganz blass, die Ordensschwester beginnt das Vater unser zu beten und Herr B. stirbt .
Die Sozialarbeiterin konnte die Tränen nicht zurück halten.
Ich habe nachdem sie gegangen war Herrn B. gebettet, die Augen und den Mund geschlossen und die Hände gefaltet. Und da er alleine war und keiner für ihn Blumen haben wird, habe ich aus jeder Vase die auf dem Flur stand eine Blüte entwendet und sie ihm gebracht. Es war ein schöner bunter Strauß. Dann habe ich meine Geräte entsorgt, mich hinten in das Treppenhaus gesetzt und geheult wie ein Schlosshund.
Zu seiner Beerdigung sind sehr viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegangen. Die Stationsschwester meinte es wären sicherlich 300 Menschen da gewesen. Für einen Menschen der völlig alleine lebte eine große Zahl.
Ich bin nicht gegangen, weil ich diesen Abschluss nicht wollte. Er hat mich gelehrt damit umzugehen, wenn auch nicht freiwillig. Manchmal denke ich an diese 9 Monate die wir erlebt haben. Es war eine wertvolle Zeit und eine gute Erfahrung.
Hyronimus Rabenzahn