Umgang mit Suizid/suizidalen Patienten

nightshade

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Jul 26, 2006
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NRW
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Krankenschwester
Hallo. Wollte mal hören, welche Erfahrungen Ihr mit Suizid gemacht habt. Habe bisher 1 Pat. auf St. nach einem Suizid gefunden. Ich habe sehr lange gebraucht, das alles zu verarbeiten. Ich muss sagen, ich hatte sehr gute Nachbetreuung von meinem Haus. Durch PDL, Ärzte, Kollegen etc.. Wie ist das bei Euch? Lg
 
Hallo Nigthshade,

bei uns findet eine Nachbesprechung im Team statt. Diese Nachbesprechung ist ist in Abwesenheit von Disziplinarvorgesetzten.

Meine Empfehlung zu diesem Thema ist ein sehr gutes Buch.

Titel:
Suizidprophylaxe bei psychischen Störungen. Prävention Behandlung Bewältigung

Autor:
Asmus Finzen

Psychiatrie-Verlag / Thieme

ISBN: 3-13-110461-9 (Thieme)
ISBN: 388414-211-9 (Psychiatrie-Verlag

Liebe Grüße Brady
 
Danke Brady, das klingt sehr interessant. Bist Du denn selber auch schonmal in eine solche Situation geraten?
 
Hallo Nigthshade,

ja bin ich schon. Da ich auch schon sehr lange in der Psychiatrie arbeite. Es ist immer sehr schlimm. Weil auch immer die Fragen aufkommen. Haben wir was übersehen? Hätte man das verhindern können?, usw..

Weil man auch Schuld spürt, obwohl es nicht möglich war es zu verhindern.

Liebe Grüße Brady
 
Ja. Ich denke, genau das ist das Problem. Man war kurz voher noch im Zimmer und dann war es geschehen. Das Schlimme war, man "hängt"den Pat. ab und steht da und bekommt einfach nicht die Hände auf den Brustkorb um etwas zu tun. Obwohl ich in Rea sehr firm bin. Dann kam ein Kollege und schubste mich weg und übernahm . Zu meiner Erleichterung. Der Pat. war einfach für mich Mausetot und ich konnte einfach nicht....Welches der Notarzt bestätigte. Es war längst zu spät, er hatte schon Todeszeichen. Mein grösstes Problem war, das ich nicht reagieren konnte. Doch heute seh ich das Anders. War ja auch keine gewöhnliche Situation, und man stösst auch mal an seine Grenzen. Was noch sehr hart war, war die Befragung der Kripo....
 
Hallo Nightshade!

Kann das sehr gut nachempfinden, denn bei uns war jetzt gerade erst ein Suizid ......
Ich hatte die Pat. aufgenommen und hab mich natürlich auch gefragt ob ich evtl. etwas übersehen hab oder warum nich bei mir die Alarmglocken angingen ....... hatte da auch sehr arg dran zu knacken ..... auch das Angehörigengespräch, welches ich dann noch begleitet hab und hinterher mit dem Ehemann die Sachen packen war nicht einfach.... das ging sehr nahe ......

Aber ich kann auch sagen das wir sehr gute Unterstützung in dem Oberarzt und der PDL hatten, die waren sehr präsent und haben ein wenig Halt geben können .....


Ansonsten hab ich auch mal die Ersthelferrolle gehabt und eine Pat. im Nachtdienst auf der Nachbarstation "abhängen" müssen ...... und da hab ich mich, als genug da waren, darum gekümmert das Defi und O2 auf Station kamen ..... zu dem Rest war ich in dem Moment auch nich in der Lage, da es da der erste Fall dieser Art war an dem ich beteiligt war


Aber jedesmal sind bei uns sofort Oberarzt und Pdl da und kümmern sich um die Mitarbeiter und schauen ob derjenige noch arbeitsfähig sind


Und ich muss sagen die Kripo ist in solchen Fällen echt anstrengend und nervig !!!!!! :motzen:


Lieben Gruss
 
Hi Eunerpan. Ja, die liebe Kripo. Klar, die machen auch nur ihren Job. Aber man war schon fertig genug und dann gings ab in ein Räumchen und ich sollte genau aufzeichnen, wie er an der Klingelschnur hing, wie der Knoten war, etc, und dann sitzt man erstmal da. Und fragen wie, warum und wie haben sie ihn gelöst, etc. Echt ne tolle Erfahrung. Hab mich fast wie ein Verbrecher gefühlt. Aber wie gesagt, das ist deren Aufgabe. Wurde ja anschl. gut aufgefangen....
 
Hallo nightshade!

Deren Job hin oder her aber etwas mehr Empathie kann man glaub ich schon erwarten .....

Und die Patienten sind auch irritiert, wenn da jemand mit Kamera über den Flur läuft...... und morgens um zwanzig nach 7 hab ich auch keine wirklich gute Erklärung parat .... :gruebel:


Lieben Gruss
 
Hi. Ja, das stimmt. Habt Ihr denn Eure Pat. miteinbezogen? Bei uns gab es eine Stationsrunde. Da die Pat. natürlich sehr viel mitbekommen haben. Daran habe ich auch teilgenommen und es hat mir , und so wie es aussah, den Pat. sehr viel geholfen.
 
Hallo!

Ja, wir haben abends direkt eine Pat. Runde gemacht um mitzuteilen, das es einen Suizidversuch gab und am nächsten Tag noch eine um mitzuteilen, das sie verstorben ist ..... jeweils geleitet durch den Oberarzt .....

Find solche Runden aus zwei Gründen sehr sinnvoll....
zum Einen weil dann alle Patienten den gleichen Informationsstand haben, so dass es keine wilden Spekulationen gibt
und zum Anderen damit auch jeder sich direkt dazu äussern kann und man weiss mit welchen Pat. das nochmal im Einzel besprochen werden muss.... oder wer jetzt auch engmaschiger Kontaktiert werden solte...


Lieben Gruss
 
Hi. Jepp, genauso war es bei uns auch. Unser Oberarzt hat die Gruppe geleitet. Und ich fand es wirklich sehr effektiv. Denn die Pat. sind ja nicht doof und haben vieles mitbekommen. Die Hektik, alle von dem Zimmer fehrn gehalten, den RTW, den Bestattungswagen, Kripo...usw. Viele waren sehr geschockt und konnten dadurch ihre Ängste bewältigen. Viele sahen das ausgelöste Leid und meinten nur "Oh Gott, was man mit sowas anrichtet und selbst die Depressiven distanzierten sich völlig von einem Suizid. Es wurden noch viele Gespräche geführt.....
 
Hallo!!

Das stimmt..... mich hat es irritiert, wie reflektiert manche Patienten plötzlich waren, von denen ich das in dieser Form nicht erwartet hätte ....

Bin aber froh das sich heute, die Lage diesbezüglich wieder entspannt hatte .... das Wochenende hat den Pat. genauso wie mir ganz gut getan :mrgreen:


Lieben Gruss
 
Hallo, bin seit ein paar Monaten auf einer Station für affektive Erkrankungen tätig. Bevor ich dort anfing, gab es zwei vollendete Suizide, das Team war völlig verunsichert. Konsequenz war die Beschneidung der Ausgangsrechte. Aber offene Station bedeutet auch Eigenverantwortung des Patienten, das war schwierig ins Team zu übertragen. Habe mich im Rahmen der Fachweiterbildung auch mit diesem Thema beschäftigt und bin für mich zu folgenden Antworten gekommen: 1. selbst genaueste Beobachtung und gezielte Gesprächsführung schützt nicht davor; 2. es ist die zweithäufigste Komplikation bei depressiven Erkrankungen; 3. von ärztl. Seite wird zur Überreaktion im Rahmen des PsychKG geneigt; 4. es ist die letzte willentliche Entscheidung, welche auch zu respektieren ist. Zum letzen Punkt erwarte ich rege Diskussionen. MfG Thor
 
Eine schwierige Aussage, die sich so nicht verallgemeinern läßt.

3. von ärztl. Seite wird zur Überreaktion im Rahmen des PsychKG geneigt;
Die Entlassung der Pat. erfolgte, obwohl eine Suizidgefahr nicht auszuschließen war. Es werden keine zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen erhoben: Info an die ambulante Therapeutin, Hausarzt o.ä..

4. es ist die letzte willentliche Entscheidung, welche auch zu respektieren ist.
Interessanter Aspekt, wenn man bedenkt, dass ein Suizid nicht selten eine Kurzschlussreaktion ist- der Betroffene sieht keinen anderen Ausweg aus der Situation. Unter dieser Sichtweise verstehe ich die Reaktion des Arztes im obigen Beispiel dann auch. Ob ich sie gutheißen kann?

Für mich ist das gleichbedeutend mit: also ich weiß, dass die somatische Erkrankung zu 50% nicht geheilt werden kann- ich empfehle deshalb Verzicht auf Therapie.

Suchen psychisch Kranke nicht auch Hilfe?

Elisabeth
 
Hi Thor,

es ist die letzte willentliche Entscheidung, welche auch zu respektieren ist. Zum letzen Punkt erwarte ich rege Diskussionen. MfG Thor

ich glaube das darf man auf keinen Fall verallgemeinern. Die Hintergründe der Suicidalität sind da ja äußerst vielfältig.
Ist es ein "Hilferuf", oder "selbstverletzendes Verhalten" das als Suicidversuch gedeutet wurde, ist es eine Kurzschlussreaktion, oder aber ein geplanter Suicid nach einer Bilanz des bisherigen Lebens.

Als "letzte willentliche Entscheidung" kann es eigentlich nur dann gesehen werden, wenn jemand dauerhaft für sich klar hat, dass er unter den ihm gegebenen Umständen nicht mehr leben will/ kann. Dann kann ich es auch respektieren - wobei auch in diesen Fällen oft bei den "Behandlern" die Frage bleibt, ob man nicht doch noch hätte intervenieren können.

LG
 
Obwohl ich schon lange in der Psychiatrie bin, bin ich gestern Nacht, das erste Mal direkt mit einem Suicid konfrontiert worden.

Pat. der schon sehr gefestigt wirkte, und auch den Wochenende schon in BEP
ging, hat sich gestern kurz nachdem er noch mit seinerFrau telefoniert hatte von Station entfernt.
Da in der Vorgeschichte ein Suicidversuch bekannt war, hat man große Suchaktionen gestartet, und ihn abends im Fluß treibend gefunden.
Aufgrund der Unterkühlung hat man versucht ihn zu reanimieren, aber erfolglos.

Nach allem wie sich der Patient in den letzten Wochen entwickelt hatte, kann ich mir nicht vorstellen, das es eine bewußte Entscheidung von ihm war.

Auch bei uns wurde dann abends noch eine Gruppe einberufen, die vom OA geleitet wurde.
Es war sehr schwer in dieser Nacht, den Patienten gerecht zu werden, und nebenher noch Kripo auf Station zu haben.

Im Moment stehe ich irgendwie gerade " neben mir " und bin am grübeln, ob ich am Tag vorher irgend etwas übersehen habe, oder ein Signal des Pat. nicht richtig gedeutet zu haben.

Bitte sagt mir, wie ihr mit solchen Gedanken umgeht. Habe heute das erste Mal richtig Angst vor der Nachtwache.
Angst bei Pat. etwas zu übersehen, oder nicht richtig zu deuten.

lg tochter46
 
Hi Tochter 46,

ich denke die Gedanken, ob man irgendetwas übersehen oder falsch gedeutet haben könnte, hat jeder, der mit einem Suicid konfrontiert wird. Und es ist auch eigentlich gut und richtig, dass man diese Gedanken hat, da man sich mit der Situation auseinander setzt und diese nicht "ausblendet". Man versucht zu verstehen, warum derjenige sich suizidiert hat. Ein Versäumnis oder eine Schuld bei sich zu suchen ist dabei jedoch meist unsinnig - es sei denn jemand hat grob fahrlässig gehandelt. Aber die Auseinandersetzung ist wichtig, damit man damit abschließen kann und arbeitsfähig bleibt und damit man seine Sensibilität behält.
Bei einem Suicid werden auch immer wieder unsere Grenzen als "Helfende" deutlich - aber auch oft die institutionellen Grenzen. Man fragt sich, wenn man mehr Zeit gehabt hätte, mehr Zeit mit dem Patienten verbracht hätte, ob das etwas geändert haben könnte, u.ä.
Wichtig ist, dass Du entsprechende Menschen um Dich hast, mit denen Du Dich austauschen kannst. Das müssen nicht mal immer Kollegen sein. Gut wäre es, wenn Du die Supervision für dieses Thema nutzen könntest (falls Ihr sowas habt) oder aber die Seelsorge in Eurem Haus.

Ich wünsche Dir die nötige Kraft, die Situation gut durch zu stehen.

Liebe Grüße
 
Hallo tochter46,

MiChung hat es sehr gut beschrieben und ich hoffe, dass du jemanden hast, mit dem Du da drüber sprechen kannst. Es ist eine Verarbeitung, die auch nur im realen Kontakt geschehen sollte. Das ist Psychohygiene, die wir brauchen um "gesund" zu bleiben.

Geschriebene Worte reichen da nicht aus. Sie ersetzen keinen realen Kontakt.
Es braucht auch seine Zeit. Auch das Zweifeln hat seine Berechtigung und macht uns zu reflektierenden Menschen.

Alles Gute und Stärke für diese schwierige Zeit. Brady
 

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