Umgang mit schwierigen Situationen

Laisy

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22.05.2003
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114
Ort
Düsseldorf
Beruf
Krankenschwester
Akt. Einsatzbereich
Innere Medizin
Funktion
stellv. Stationsleitung
Hallo zusammen!

Haben im Moment wieder einen Patienten, dessen "Werdegang" bei uns mich sehr beschäftigt:

Herr S. kam vor ca. 5 Wochen mit AZ-Verschlechterung zu uns zur Aufnahme, damals dachte ich schon AZ-Verschlechterung ha, ha ... wohl eher soziale Indikation. Er war / oder ist ein sehr lieber älterer Alzheimer-Patient. Nach einer Woche Diagnostik ging es ihm immer noch sehr gut... mobilisierte sich fleißig durch´s ganze Haus. Er gehörte zu den Menschen die in hohem Alter noch nie beim Arzt gewesen sind und auch nie Medikamente genommen haben. Nichts desso trotz worde er dann wirklich sehr plötzlich Ateminsuffizient und es dauerte auch nicht mehr lang bis sein Herz dann stehen blieb ... Was soll es, sind alle direkt auf ihn gesprungen und haben ihm ein Leben mit einem hypoxischen Hirnschaden "geschenkt". Und hier beginnt nun meine Fragerei. Ist ein Alter von über 80 nicht ein gutes Alter um diese Welt zu verlassen? Woher nehmen wir uns das Recht so in das Leben einzugreifen? Muß nun jeder Patient eine Patientenverfügung mitbringen, damit wir ihn in Würde gehen lassen?
Na, wie dem auch sei .... ich habe mich fürchterlich erschrocken als ich ihn von der Intensiv abgeholt hab .... mit seinem leeren Blick aus Augen die vorher immer lächelten! Nach über zwei Wochen an der Beatmungsmaschine kommt er nun mit seinem Tracheostoma vom T-Stück mit O2 und Vernebler nicht weg. Und muß obendrein min. stdl. abgesaugt werden! Unsere Ärzte haben sich entschieden, seinen neuen Infekt nicht mehr antibiotisch abzudecken und ihm auch seine Herzrhytmusstrg. zu lassen .... Digitalis und Heparin läuft aber weiter! Nun wird für den Herrn, der vom MDK dann doch die Pflegestufe zwei bekommmen hat - schließlich hat er ja einen DK und ne PEG, was ja arbeitserleichternd ist - ein Heimplatz gesucht. Für den lieben alten Opa aus der Nachbarschaft, der mit seinem M. Alzheimer bis vor ca. 6 Wochen noch liebevoll seinen Garten versorgt hat. Der nie in ein Heim wollte!
Gestern dann bei der Pflege liefen Tränen aus seinen Augen und von seinem Blick fühlte ich mich fixiert ... Ich weiß, das diese nicht unbedingt wegen Emotionen gefloßen sind, dennoch kämpfte auch ich mit meinen Tränen, genau wie bei Gesprächen mit seinen Kindern, die die ganze Situation nicht verarbeiten können. Seid gestern hab´ich immer wieder dieses Bild vor Augen und Frage mich noch viel mehr ... Warum tun wir das unseren "Alten" immer wieder an?

Andrea
 
Woher nehmen wir uns das Recht...

Hallo Laisy,

darüber hab ich auch schon oft nachgedacht, warum wir die "Alten" nicht einfach in Ruhe und Würde gehen lassen.... :gruebel:

Allerdings bin ich immer wieder zu der ein und selben Antwort gekommen: Weil es unser Beruf ist, den Menschen zu helfen und wenn nötig auch ihr Leben zu retten!
Das hängt wohl auch viel von Werten und Normen ab, die man selber hat.

Aber vielleicht hängen auch die "Alten" an ihrem Leben und sind uns dankbar, wenn wir ihr Leben retten. Auch wenn sie es uns nicht sagen oder bzw. nicht mehr sagen können. Aber wissen wir denn, in wie weit der Patient Situationen verarbeitet und gewisse Sachen wie Gesprochenes doch noch "mitbekommt"??????

Schlumpferl
 
Das ist ein ziehmlich heißes Thema, welches wohl so lange diskutiert wird, bis die Kassen/der Staat dem ein Riegel vorschieben!!
Die Medizin ist halt zZ ohne Grenzen!!

Habe schon erlebt, daß Apaliker reanimiert wurden :up: !!

Da gibt es aber auch die Probleme, daß:

1. weiß der Reanimator über den Pat. (Diagnose/Prognose) bescheid ??
2. wurde vom OA festgelegt Rean. oder Nichtrean.
3. hat er noch aktiv am täglichen Leben teilgenommen
.
.
.
100. Ist es ein Privatversicherter????

Selbst Patietenverfügungen sind so eine Sache!
Habe jemanden da liegen, der geschrieben hat, daß er keine Intensivtherapie wünscht, wenn keine Chance auf Heilung!
Eine Chance sieht jeder Dok, sonst kann er gleich nach Hause gehen!!!
Der Patient ist intubiert/beatmet und bekommt die Vollkost von Intensivtherapie!

Ist halt eine schwierige endlose Diskusion :(

LG Tobias

p.s. die Tränen können ein Ausdruck von Schmerzen sein (Lagerungwechsel >>>Auuwa:cry1: ), bekommt er was?? Schmerzen sollten Pat. im KH nicht haben, auch wenn sie sich nicht mehr äußern können!!
Einem Reanimierten mußt Du mind. 6 Wochen Zeit geben, da kann immer noch was kommen an Reaktionen! Habe schon viele solcher "Wunder" gesehen :)
 
Laisy schrieb:
Ist ein Alter von über 80 nicht ein gutes Alter um diese Welt zu verlassen? Woher nehmen wir uns das Recht so in das Leben einzugreifen?

Woher nehmen wir das Recht, nicht einzugreifen? Woher nehmen wir das Recht, zu entscheiden, daß der Patient sterben soll / darf?

Das sind ziemliche Grenzfragen. Und man muß immer sehr aufpassen, daß man den (mutmaßlichen) Patientenwillen beachtet und nicht womöglich seinen eigenen...

Ich kann mich erinnern, daß während meines Einsatzes auf Intensiv vor vielen Jahren eine alte Dame intubiert wurde. Alle wußten, es bringt nichts mehr. Aber alle wußten auch (von ihren Kindern), daß sie das gewollt hätte, weil sie sich früher immer wieder so geäußert hatte.

Nicht falsch verstehen- ich bin auch nicht dafür, auf Teufel komm raus zu reanimieren! Nur-
Es ist sehr schwer, für andere adäquat zu entscheiden.
Alle wollen immer nur das, was sie für das Beste für ihre PatientInnen halten. Ob es das immer ist? Denn sie gehen dabei zu oft von ihren eigenen Vorstellungen aus.
Heraus kommt so etwas.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo,

ich glaube, wir müssen mit unseren Überlegungen schon vor der Reanimation anfangen. Warum muß ich eigentlich reanimieren? Der Körper eines Menschen war für das Leben auf Erden nicht mehr bereit, deshalb hat es mit Versagen reagiert. Das Herz bleibt stehen, wie kann ich mir Anmaßen Gott zu spielen und eine Entscheidung eines fremden Körpers zu ignorieren.
Auch in diese Richtung müssen wir unsere Gedanken lenken. Wir sind seit jeher so erzogen und geschult worden, alles Mögliche zu leisten um Leben zu retten und zu verlängern. Darf ich das eigentlich aus moralischer Sicht?
Ich denke immer mal wieder über über dieses Thema nach, besonders nach einer Reanimation. Gut Leben kann ich wenn wir einen jungen Menschen gerettet haben, wenn es aber um einen kranken alten Menschen ging, beschleichen mich immer wieder Gedanken die ich nicht klären kann. Es spielt auch immer wieder in Gesprächen mit anderen Mitarbeitern der schnöde Mammon und ein vermeintlich nicht mehr lebenswertes Reanimationsergebnis eine Rolle.
Ich denke wir sollten aber auch schon den ersten Abschnitt mal diskutieren.
Gruß
Axel
 
Wirklich traurig was du da berichtest aber das passiert doch leider immer wieder... ich meine wenn ein 80 jähriger in die ambulaz kommt und man ihn nicht kennt und auch nicht seine erkrankungen das muss man ja noch reanimieren (weil es gibt menschen denen geht es danach gut) aber wenn man die menschen kennt und weiss was sie für erkrankungen haben (voller metastasen z.b.) dann muss das doch nicht sein
aber das kann niemand entscheiden weil niemand gott ist und manche menschen es versuchen zu sein
warum können wir die menschen nicht in WÜRDE sterben lassen???
 
Hallo,

solche ethische und moralische Fragen haben wir auch unserer düsteren Geschichte zu verdanken. Jede Pflegekraft war schon in solchen Situationen oder wird mit solchen konfrontiert.
Einerseits tut man alles Mögliche, um ein Leben zu retten. Andererseits überlegt man sich, ob es nun doch besser ist, einen Menschen in Würde sterben zu lassen ohne einzugreifen. Die richtige Entscheidung zu treffen ist da sehr schwierig, denn ich weiss als PK nicht, was der Pat. wirklich will, sofern er es mir nicht sagen kann oder keine Pat.-Verfügung vorliegt.
"Der Hospitaltod ist inhuman, man stirbt nicht - man wird nur ausgeschaltet" (ein Zitat von Werner Mitsch).
Ich glaube, dass sich da so schnell nichts ändern wird. Weder für das med. Personal, noch für die Patienten.
Schade. Denn dem Tod werden wir alle einmal begegnen. Und ich glaube, dass jeder in Würde sterben, aber nicht "ausgeschaltet" werden will.


Nachdenkliche Grüsse
Trisha
 
Hallo, ihr Lieben!

Erstmal vielen lieben Dank das ihr alle geantwortet habt!

Sicher teile ich Eure Meinung, wenn ihr sagt, wir haben kein Recht eine solche Entscheidung zu treffen. Doch gehe ich auch von dem aus, was ich für mich wollte ... Zudem denke ich, daß ihm und seiner Familie eine Menge Leid erspart geblieben wäre. Angenommen er bekommt noch etwas von seiner Außenwelt mit, dann ist er doch jetzt genau da, wo er nicht hinwollte! Heute haben wir ihn mit einem Intensivwagen ins Altenheim verlegt. Seine Kinder, die ihn bisher als liebenden selbstständigen Vater kannten, sehen nun die Leere in seinem Blick und stehen beide völlig ratlos und emotional am Ende vor dieser Situation. Sein Sohn, der ihn früher zu Hause betreute und mit ihm bis vor sechs Wochen noch im Garten gearbeitet hat, kann die Besuche nicht länger als fünf Minuten aushalten. Und letztendlich frage ich mich auch ... Warum? Wie ja schon geschildert hat er einen neuen Infekt, die Entzündungswerte steigen und alles was gemacht wird ist Fiebersenkung, weil man beschloßen hat, ihn nun doch von dieser Welt gehen zu lassen. Warum hat man dann diesen Körper über zwei Stunden reanimiert und ihm die ganzen Qualen für ein paar Wochen längeren Herzschlag angetan.

Aber letztendlich habt ihr, in dem was ihr schreibt, sicher recht. Und es ist wirklich einfach nicht unser Recht über Leben oder Tod zu entscheiden. Bin auch in dem Fall etwas angespannt, weil ich ihn wirklich gemocht hab.

Liebe Grüße
Andrea

P. S.: Nein, Schmerzen hat er denke ich, nicht mehr. Erhielt bei uns Morphin-Pflaster, worunter eine deutliche Linderung eintrat. Denke eher, das die Hypersalvation evtl. für den Tränenfluß verantwortlich ist.
 
nu schreib ich auch noch mal was:

bei uns werden tlw. auch patienten reanimiert bei denen wir uns alle fragen, was das soll....
aber die klare ansage der ärzte ist, es zu tun.
warum? weil wir es können....
oft geht es doch nicht um den patienten, sondern um uns, bzw. die ärzte, die beweisen wollen, zu was sie fähig sind. traurig, aber oft wahr....
 
dies ist wirklich ein sehr schwieriges thema und wird alzu oft mit leeren phrasen beantwortet. ich habe zuletzt folgende situation mitgemacht:

94 jahre alte patienten, notarzt teilte der familie mit man soll die frau in ruhe sterben lassen, sie würde in der nacht friedlich einschlafen. das war um 1 uhr. um 5 uhr erhielten wir die frau auf station eingewiesen vom hausarzt. jetzt ist sie im heim, hat einen dk, eine peg und hirn ist nur noch matsch. die familie hatte auf die rente und das pflegegeld speckuliert, in solch einem zustand haben wir sie auch erhalten. az komplett daun.
na ja, hier wird die familie jetzt mit hohen heimkosten "belohnt".

ich persönlich glaube nicht, das unser körper für eine unendliche lebensspanne geschaffen wurde. ich selbst habe auch nicht das ziel unendlich alt zu werden und habe per pat. verfügung alles verboten was eine lebensverlängerung bringen würde. ich kann aber auch nur darauf hoffen, dass sich später die ärzte und die pflege auch an meinen willen halten wird.

ich bin aber auch fest davon überzeugt, dass sich dieses problem in naher zukunft von ganz alleine lösen wird. nämlich durch die kostenexplosion im gesundheitswesen. wir werden es uns einfach nicht mehr leisten können, auf biegen und brechen jeden ohne etik und moral am leben zu halten.
 
Dark Vampire schrieb:
ich bin aber auch fest davon überzeugt, dass sich dieses problem in naher zukunft von ganz alleine lösen wird. nämlich durch die kostenexplosion im gesundheitswesen. wir werden es uns einfach nicht mehr leisten können, auf biegen und brechen jeden ohne etik und moral am leben zu halten.

Vielleicht wird die Kostenexplosion auch auf Kosten von Ethik und Moral gehen...
 

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