Tatort Klinik

Rabenzahn

Poweruser
Registriert
15.02.2002
Beiträge
933
Ort
Kassel
Beruf
AN-Pfleger
Akt. Einsatzbereich
in Rente
Im Rahmen meiner Tätigkeit in einem Großklinikum habe ich schon viele schwerverletzte Mensche oder Tote zu Gesicht bekommen. Manche Fälle mussten ganz schnell verdrängt werden, manche haben sich so eingeprägt, dass ich sie noch heute plastisch vor mir sehe. Jedes Wort das gesprochen wurde. Jede Handlung die ablief.
Zu einem der beeindruckensten Fällen gehörte der Notfalleinsatz in der Gynäkologie. Die Entbindungsstation hat ohnehin nicht das Gro an Notfällen. Aber wenn, dann waren sie nie ohne.

Es war Sonntag gegen 15:30 Uhr als das Telefon in meinem Dienstzimmer klingelte. Ich meldete mich und hörte als erstes die Frage meines Kollegen „ Bist Du wach ? „, was ich mit „ Ja“ beantwortet habe. Dann kam die Aufforderung schnellstmöglich in die Gynäkologie Station xx zu gehen. Da sei ein Notfall, der Oberarzt ist informiert und auf den Weg dorthin.

Ich lief also sofort los und erreichte die besagte Station . Die Wegstrecke dorthin beträgt von meinem Dienstzimmer bis Station so ungefähr 700 Meter. Etwas außer Atem kam ich also da an und sah zu meiner Überraschung den Oberarzt der Anästhesie mit zwei Gynäkologen auf dem Flur stehen, offensichtlich in ein Gespräch verwickelt. Auf dem Flur liefen zwei Schwangere auf und ab, unterhielten sich und es gab keinen Anschein, dass hier eine Notfallsituation vorlag. Bei der Gruppe angekommen fragte ich nach der vermeintlichen Notfallsituation und da machte mein Oberarzt die Türe zum Patientenzimmer auf.

Was in Bruchteilen einer Sekunde passierte, hat sich wie ein Film in Zeitlupe in die Erinnerung eingebrannt.

Ich sah also in das Patientenzimmer, dass plötzlich so groß und leer aussah. Ein Bett stand quer im Raum, die Bettdecke halb aus dem Bett zu Boden gezogen und davor lag eine Frau. Im ersten Augenblick sah ich nur eine auffallend dunkle Haut, was mich zu der Annahme veranlasste, dass eine tiefe Zyanose vorlag. Dann realisierte ich das sie eine dunkelhäutige Frau ist. Sie hatte bis auf ein lilafarbendes Nachthemd keine weitere Kleidung an.
Zeitgleich mit dem ersten Blick in das Patientenzimmer nahm ich zwei akustische Informationen wahr.

1. sagte der Oberarzt zu mir „ Sie ist ermordet worden „.
2. hörte ich aus dem Kinderbett in der Ecke des Raumes ein klägliches Kinderweinen.

Diese Situation, dieser Dialog mit meinen Oberarzt , erinnerte mich sofort an die Dialoge aus den bekannten Derrick – Filmen. ( Ermordet sagen Sie ? Ja, ermordet ) .

Genau so haben wir uns unterhalten. Er sagt, sie ist ermordet worden und ich fragte ihn „ Ermordet ? „ und dann kam das „ Ja, ermordet“.
Jetzt erst begriff ich was ich wirklich sah. Die Frau lag in Rückenlage und ihr Oberkörper war über und über mit Messerstichen übersät. Der Hals war vom linken Ohr bis zum Sternum eröffnet so das die Intubation von Außen erfolgen konnte ohne Laryngoskop .

Um sie herum hatte sich ein großer Blutsee gebildet. Dann erst sah ich auch die Blutspuren an der Wand, der Tür und auf dem Flur. Die Frau war tot und jetzt wurde nur noch auf das Eintreffen der Kripo gewartet.

Nun bekam ich auch weitere Information zu diesem Ereignis. Die Frau stammte aus Eritreär und war zur Entbindung in die Klinik gekommen. Vorher war sie in ein Frauenhaus geflüchtet, weil der Ehemann sie massiv bedroht hat. Vorausgegangen war eine Anzeige der Frau gegen den Ehemann, weil dieser die damals 12jährige Tochter missbraucht haben soll. Die Frau wurde von Mitarbeiterinnen des Frauenhauses unterstützt und beschützt. Trotzdem ist der Ehemann immer wieder in die Klinik gekommen um mit ihr zu sprechen. Hintergrundgedanke war, dass sie die Anzeige zurück nehmen solle. Sie gingen jeden Tag im Park spazieren, unterhielten sich und es gab keine Anzeichen von Gewalt. Bis zu diesem Sonntag, als sie ins Zimmer zurückkehrten. Die Zimmernachbarin befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Nasszelle und vernahm dann klatschende, dumpfe Geräusche. Als sie die Tür öffnete, sah sie wie der Ehemann die Frau von hinten umklammert hielt und mit einem großen Messer auf sie einstach. Sie schrie dann um Hilfe, wobei er von der Frau abliess und sich an den Schwestern vorbei aus dem Zimmer drängte und von Station flüchtete. Dabei hielt er offensichtlich die Tatwaffe noch immer in der Hand. Bis zum Eintreffen des ersten Polizeistreife war er bereits verschwunden.

Die Mitpatientin wurde sofort aus dem Zimmer geholt und betreut. Das in der Zimmerecke in seinem Bett weinende Kind war das der toten Frau und ihres Mörders. Seltsamerweise hat er dem Kind kein Haar gekrümmt.
Die Kripobeamten kamen dann auf Station und haben sofort die Spurensicherung etc. aufgenommen, es wurde eine Fahndung veranlasst und was so zu machen ist. Die Professionalität mit der die noch recht jungen Beamten diesen Fall abhandelten, war schon erschreckend. Ich will auch nicht verheimlichen, dass ich eine Gänsehaut bekam, als ich hörte sie sei ermordet worden. Sicherlich habe ich schon viele Menschen erlebt, die nach Schlägerein oder Messerstecherein starben. Aber das war immer so weit weg. Hier war ich am Tatort.

Der Mann wurde dann gegen 20:00 Uhr in unserer Ambulanz verhaftet. Er war dort mit einer großen Wunde an der Hand erschienen um sich behandeln zu lassen. Laut seinen Angaben ist es bei Küchenarbeiten passiert. In einem Prozess wurde er zu einer sehr langjährigen Haftstrafe verurteilt.


Sensibilisiert durch die Ereignisse am Sonntag passierte dann am Dienstag etwas, was erst sehr bedrohlich aussah, sich dann aber zu einem echten Lacher entwickelt.
Ich stand in unserer Ambulanz und erwartete einen Patienten der als Unfall angekündigt war und eine Oberschenkelfraktur haben soll. In diesem Augenblick flog die Türe der Ambulanz auf und eine junge, ebenfalls dunkelhäutige Frau rief mir in einer Mischung aus englisch- französischen Worten etwas von Sister – Shot und vieles mehr zu. Ich konnte nur die Hälfte verstehen, weil sie schneller sprach als zu denken, völlig panisch war und alle Worte vermengte. Aber offensichtlich spielte sich auf dem Parkplatz etwas ab. Und immer wieder das Wort > Shot < . Ich bin also raus und sah so in einer Entfernung von knapp 30 Meter einen hünenhaften Mann mit einer Frau kämpfen. Die Frau schrie und er hielt sie an den Armen fest. Dazu muss ich sagen, es war Nacht. Die Sicht schlecht und somit nicht genau erkennbar was dort passiert.
Ich also die Situation gesehen, als bedrohlich eingestuft und schnell noch die berühmte 110 gewählt. Der Beamte am Telefon fragte und fragte und fragte. Was ist los, wer ich bin, wo das ist, wie viele Personen beteiligt sind und und und . Ich haspelte schnell alles runter, erwähnte natürlich auch , dass angeblich geschossen wurde oder wird und bin dann wieder raus. Tiefste Gangart, anschleichen, Überraschungsangriff, so war mein Plan. Immerhin war da eine Frau in Not, da kann man nicht zur Tagesordnung übergehen.
Als ich bei den Beiden ankam, stellte sich heraus, dass diese ganze Situation völlig anders verhielt als ich dachte. Der Mann war der Bruder der schreienden Frau, selber Arzt und hatte seine Schwester in die Klinik gebracht, damit sie behandelt werde. Diese war nämlich Konsumentin harter Drogen und bereits mehrfach auffällig geworden. Was das junge Mädchen ( die ebenfalls eine Schwester der Beiden ist ) mit dem Wort Shot meinte war, dass ihre Schwester ist Drogen gespritzt hat und nun im Kopf nicht ganz richtig ist. Während sich die Sache als „ harmlos „ aufklärte, hielten plötzlich mehrere Privatfahrzeuge neben uns. Heraus sprangen ebenfalls ein paar hünenhafte Männer, mit Pistolen am Gürtel und den Worten Polizei. Die hatte ich natürlich schon ganz vergessen. Bevor etwas erklärt werden konnte, waren sie bei uns und aus den Lautsprechern tönte nur die Stimme der Zentrale „ Haben sie den Täter gestellt, ist geschossen worden, haben sie die Tatwaffe ? „ Man stelle sich ein Klinikgelände in der Nacht vor, wo so etwas über den ganzen Berg hallt. Mir war das sooooo peinlich.
Die Beamten wurden ebenfalls aufgeklärt, die junge Frau in die Ambulanz gebracht und ich musste mit roten Ohren in den Op trotten, da wir noch den Oberschenkel operieren mussten, der in der Zwischenzeit eingetroffen war.

Hinterher habe ich versucht mich damit zu rechtfertigen, dass am Sonntag ja etwas innerhalb der Klinik passiert war. Irgendwie gab es da wohl eine Fehlschaltung in meinen Gedanken.

Aber eines ist sicher, dass Grinsen meiner Kollegen habe ich deutlich wahrgenommen. Das war keine Sinnestäuschung.
 
Hallo Rabenzahn,

ziemlich erschütternd.
Ich kann Deine Reaktion sehr gut nachvollziehen - das hätte jedem passieren können, der beide Situtationen erlebt hat - auch Deinen grinsenden Kollegen.
Wobei ich die Reaktion Deiner Kollegen echt daneben finden.

Ich hoffe, Du hast Menschen um Dich rum, mit denen Du über solche Situationen, wie den Mord der Frau, reden kannst. Könnte mir aber auch vorstellen, dass sich so eine Situation nie so ganz wegstecken lässt.

Wünsche Dir viele schöne Erlebnisse - so als Gegengewicht. :flowerpower:
 
Hallo Dorothee,

ich muss meine Kollegen in Schutz nehmen. Der Fall in der Gyn. hatte alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erschüttert. Das Team das da so vor sich hingegrinst hat, ist aus einen ganz anderen Bereich, hat mit der Gyn nichts zu tun und hat ja auch nur so ein wenig gegrinst. Wahrscheinlich über mein perplexen Gesichtsausdruck. Ich habe es niemals als bösartig ausgelegt.
Reden muss ich über solche Erlebnisse nicht. Wie hast Du einmal über Dich geschrieben: " Die Verdrängungsmechanismen funktionieren gut ".

Auch bei mir.

Danke für deine Antwort.
 
Hi,

ich hätte wahrscheinlich auch so gehandelt.... Ich denke, es ist egal ob die Hilfe später umsonst geholt worden ist! Hauptsache, man hat etwas gemacht, ich kenne Situationen, da haben die Menschen einfach weg geschaut und man war alleine ! :?
 
Guten Tag Rabenzahn :rocken:
Du erlebst ja echt haarsträubende Dinge, andererseits auch recht zum Schmunzeln anregende Dinge :roll:
Wenn Du wochenlang über geschehene, negative Begebenheiten in Deiner Dienstausübung grübeln tätest und auf den allerletzten Punkt der Ursachenforschung über den negativen Hergang eines Einsatzes kommen wolltest, hättest Du sicher keine Reserven mehr, Neues aufzunehmen und zu verarbeiten. Oder liege ich da falsch :? :?:
Auf unserer Station ist das Sterben und der Tod auch fast täglich allgegenwärtig, doch wenn das Personal sich Tage oder Wochenlang mit dem Trauerfall Eines Pat. beschäftigen täte, blieb kein Potential für die Gegenwärtigkeit mehr.
Natürlich sprechen wir im Team über die/den Toten, um für uns etwas an Verarbeitung der Situation zu tun, aber wie gesagt, das wird nicht auf Tage hinaus ausgedeht, auch wenn der eingetretene Todesfall eines Pat. noch so emotional bewegend ist.
Was aber bitte nicht als Kalt oder Hartherzig ausgelegt werden soll, sondern auch als eine Form von Selbstschutz.

Carmen
 

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