Sprache in der Krankenpflege

Dorothee

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06.05.2002
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Hallo,

bin durch eine Artikel in der Zeitschrift Intensiv angeregt worden, mir Gedanken über die Sprache der Pflege zu machen. Genauer gesagt, über die Worte, die wir (damit meine ich jetzt mich und meine Kollegen auf der chirurgischen Intensivstation) verwenden und wieso eigentlich.

Hier mal ein paar Beispiele (mit Übersetzung):

grillen oder braten - Defibrillation/Cardioversion
****ei - steht für einen meist schon mehrere Tage bei uns liegenden Patienten, der sediert, beatmet, nicht unter 6 Perfusoren laufen hat und meist auch an der Prisma hängt
Dösi - Disoprivan (Propofol)
"der geht in die Kiste" - ein Patient der stirbt
"der steht" - Asystolie

Kennt Ihr das auch?
Warum benutzen wir solche Worte?

Eine Anregung zum nachdenken.
Freue mich über antworten.
 
Hallo Dorothee,

ja, ich denke auch, dass man sich über seinen Insiderjargon Gedanken machen sollte. Ich denke, dass solche Ausdrücke Ventilfunktion für die Pflegenden in Stresssituation haben. Dennoch sollte man sich immer wieder ins Bewusstsein rufen, welche Reaktionen und Gefühle diese Sprache auslösen kann.


Ute S.
 
Hallo Dorothee,

ich bin der Meinung von Ute S. Es hat eine Ventilfunktion.
Es ist mir auch aufgefallen, dass nach einem furchtbar stressigem Tag die Übergabe gespickt mit solchen Worten sind.

Fast genau 1 Jahr ist es her, dass wir eine Patientin hatten, die sich in den 3 Wochen ihres Klinikaufenthaltes uns allen gegenüber so böse und beleidigend benommen hat, dass wir sie bei der Übergabe " Bin Laden" genannt haben.
Es klingt ja schlimm, aber danach ging es uns einfach besser.
Wir wissen ihren Namen heute nicht mehr aber wenn wir diesen Namen sagen, weiß jeder wer gemeint ist.
Genauso verhält es sich mit diesen Eigenkreationen wie du sie beschreibst.

Gut ist es nicht, aber da wir nicht einfach in den Wald hinausschreien können, verhindern wir scheinbar so, dass das Fass überläuft.
Was kann man dagegen tun? Muss man etwas dagegen tun?

Liebe Grüße
Dagmar
 
Hallo !
Also ich denke auch, das diese Sprache Ventilfunktion hat. So kann man sich zumindestens verbal mal Luft verschaffen. Es funktioniert aber nur im gleichgesinnten Kollegenkreis. Andere Leute haben da oftmals kein Verständnis für, weil sie die Hintergründe nicht kennen. Ich glaube aber auch, das unsere Wortwahl ein gewisser Schutz für uns selber ist. Man spricht im Endeffekt viel abgebrühter über diverse Dinge, als man tatsächlich ist.
Bei uns "himmelt" ein Patient, wenn er präfinal ist.
Er wird "abgeschossen", wenn er Valium erhalten hat.
Hat einen "Morbus Bosporus", wenn er ein südländischer Typ mit vielen Schmerzen ist.
Oder auch "Morbus Lattenschuss", was ich wohl nicht weiter erklären muss.

Wichtig ist natürlich, das man so nicht mit den Patienten spricht. Ich denke, das wir das irgendwie brauchen und bin fest davon überzeugt, das es sowas in anderen Berufsgruppen auch gibt, vielleicht nur nicht so extrem.

Gruß,
Bine
 
Wir haben das Thema gerade im Unterricht besprochen, da fielen auch einige Redewendungen... Seien es "fiese" Ausdrücke oder auch Floskeln wie : die Galle von Zimmer 342, geh mal den Pat füttern, das ist ein Pflegeei usw. Unsere Lehrerin hat uns dazu angehalten, uns diese Sprechweise bewußt zu machen und zu überlgen, ob das sein muß. Wenn wir über einen Patienten reden, könnte er es immer irgendwie mitbekommen, wäre uns das dann nicht ziemlich peinlich? Wollten wir, das so über uns gesprochen wird?
 
Hallo,

diese Redewendungen sind mir nicht unbekannt.
Ich habe jedoch dabei beobachtet, dass sie meistens von dem Personal angewandt werden, die den niedrigsten Ausbildungsstand haben.

Also med. Hilfspersonal, dass dadurch nicht nur eine Ventilfunktion sucht, sondern ebenfalls versucht eigene Unzulänglichkeiten in ein " spaßiges " Licht zu rücken.

Eigentlich lacht man doch über solche Floskeln und uneigentlich sind sie manchmal mehr als peinlich.

Gerade auch in Notsituation ufert es manchmal sehr aus.
 
Hallo,

da kann ich doch Rabenzahn nur Recht geben.
Bei uns auf Stat. sind derartige Ausdrücke nicht erwünscht und das wird Jedem nett und freundlich aber bestimmt gesagt, falls solche Ausdrücke fallen.
Sind mit dieser Handhabung stets gut gefahren und wurden auch verstanden, weshalb wir derartige Umschreibungen gar nicht erst auf Stat. einführen wollen.
Man muß sich doch nicht unbedingt abartig ausdrücken, um ein Ventil zu finden. Außerdem sind ja auch ab und zu Schüler auf Stat. Welchen Eindruck sollen sie gewinnen, wenn in der Schule so und auf den Stat. ganz anders gesprochen wird?

Carmen
 
Hallo,

ich kann Euch vollumfänglich zustimmen. Ich persönlich fînde es sehr menschenverachtend solche Ausdrücke zu gebrauchen und halte meine Lernenden immer dazu an, sich dies gar nicht erst anzugewöhnen.
Auch wenn KollegInnen loslegen, mache ich sie darauf aufmerksam, wie sie sich wohl fühlen würden, wenn über sie so geredet würde.
Wie schon erwähnt, man weiss nie, wieviel die Patienten oder Angehörige mitbekommen.

Wenn ich so etwas mitbekommen würde, würde ich auf dem Absatz kehrt machen und mich beschweren!!!!


Ute S.
 
Sarkasmus, Zynismaus und o.g. Worte sind ein typisches Symptom von Burn-out!
Jemand der völlig ausgebrannt ist spricht häufig so. Aber es kommt natürlich auch nach einem stressigen Tag vor, dass man vermehrt so spricht = das ist dann ja auch eine Form von Burn-out!
Schlimm ist es, wenn einem schon gar nicht mehr auffällt, dass man diese Worte benutzt und dann die Patienten dies u.U. mitbekommen! :cry:
 
Hallo zusammen,

also ich finde jetzt übertreibt ihr aber, ich glaube, das es eine gewisse Sprache auf jeder Station gibt, nur in unterschiedlicher Ausprägung. Es kann mir keiner von Euch erzählen, das ihr Euch ständig völlig korrekt mit den Patienten und über den Patienten unterhaltet, denn dann würde für mich die gewisse Wärme fehlen. Unsere älteren Damen und Herren finden es z.B. klasse, wenn man mit ihnen ihr "Platt" redet. Bestimmte Personengruppen z.B. aus dem sozial schwachen Bereich, würden mich manchmal gar nicht verstehen, und manche Männer benötigen auf platte Anmache einfach einen speziellen Spruch zurück. Das finde ich völlig normal.
Solange man nicht bösartig über einen Patienten spricht, ist das völlig ok. Und manchmal muß man sich einfach nur ein paar Dinge bewußt machen, dann vermeidet man unnötige Ausdrücke von selber. Ein guter Tipp ist das Buch "Patientenwirklichkeit" von Claudio Kürten. Ich weiß nicht, ob das jemand kennt. Aber da stehen Dinge drin, die teilweise meiner Meinung nach völlig überzogen sind, aber teilweise auch wirklich wahr sind.

ich glaube, das wir hier sehr stark differenzieren müssen, was erlaubt und was einfach unmöglich ist.

Gruß,
Sabine
 
Hallo ihr Lieben, bei uns wird solche Sprache auch benutzt, aber wirklich immer seltener. Seit einiger Zeit kommen auf die Station regelmäßig Schüler der Krankenpflegeschule und im Rahmen des Faches "Sprache und Schrifttum" führen eine Umfrage zu diesem Thema durch.
Uns war manchmal nicht bewußt wieviel und auf welche Weise die Patienten und deren Angehörige unsere Ausdrücke verstehen.
Auch die Begriffe wie z.B. Zugang legen, einen Pat. fertig machen, Abklatschen etc. werden von ihnen mißverstanden. Keiner von uns ist perfekt, jedoch kann ich beobachten, daß seitdem uns es bewußt ist ,nutzen wir auch die Möglichkeit es den Patienten verständlicher beizubringen. Kommunikation im Krankenhaus ist doch A und O.
Oder denke ich falsch...?
 
Hi allerseits,

erstmal, gegen Rabenzahns Aussage mit dem niedrigtsne Ausbildungsstand, dagegen wehre ich mich, es entspricht weder dem Verständnis, das ich vion mir selbst habe, noch den Erfahrungen, die ich gemacht habe. Allerdings scheint es wohl so zu sein, das man zwischen dieser Sprache als Ventilfunktion (die sicher niemand leugnen kann) und dieser Sprache als "kommunikativem Standard" unterscheiden muß. Die einen setzen diese Sprache gezielt als Mittel zum Selbstschutz ein, die anderen immer...
Und bei denen die das immer tun mag die These mit dem Ausbildungsstand durchaus zutreffen....wobei ich da eher von allgemeinem Niveau sprechen würde......

Ich finde nichts falsches daran, solche Ausdrücke zu benutzen, wenn es einem selber hilft..so leids mir tut, erst komme ich, DANN der Patient, zumindest was moralische Überlegungen angeht, die mir weiterhelfen, meinen Job noch 40 Jahre zu machen (ich weiß, es klingt hart!)... Man sollte allerdings NIE vergessen, das es Patienten sind, über/von denen man da spricht, und diese auch noch so behandeln. Ich denke ich habe einen recht guten Umgang mit Patienten, unabhängig davon, ob der Patient fit, wach und adäquat oder präfinal oder sediert ist..NIEMALS sollte ein Patient diese Sprache hören, oder gar so behandelt werden, als wäre er blosses Objekt!
Trotz allem denke ich, lieber ein Ventil bei der Übergabe, als irgend etwas ähnliches AM PATIENTEN...


Grüsse

Schöhler
 
Hallo Ihr

ich bin bei diesem Thema immer sehr gespalten...einerseits ist es schon O.K. gewisse Ausdrücke zu verwenden...auch kann ich die Ventilfunktion verstehen obwohl ich andere habe :-)

Was passiert allerdings wenn ich einen Patienten mit Schmerzen den Krankheitsgrad Morbus Bosborus gebe...so war das doch?

Dann habe ich doch eine solche Haltung gegenüber dem Patienten auch wenn ich es ihm nicht sagen würde.

Obwohl wir alle gelernt haben das Schmerzen subjektiv sind handeln wir anders.

Oder ist es hier die Ventilfunktion...unsere Ohnmacht weil wir nicht helfen können ,weil nicht noch mehr Schmerzmittel erlaubt wären.


Bei den SchülerInnen fällt mir allerdings auch immer wieder auf das sie sehr schnell den " Sprachgebrauch" übernehmen und so stellt sich schon die Frage ob wir " alten Hasen" nicht mehr Vorbildfunktion zeigen sollten :-)

Ich für meinen Teil finde es immer total daneben wenn jemand sagt der Pinkelt wie ein Stier .




Gruß

Sabine
 

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