Schuldgefühle

Zucken71

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18.10.2002
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12
Ort
Wuppertal
Beruf
Krankenschwester
Hallo!
Ich bin seit 1989 mit kleinen Unterbrechungen in der Pflege, und trotzdem habe ich jedes Mal nach einem Notfall Schuldgefühle. Ich hatte heute Nachtdienst und kurz vor Dienstende meldet sich ein Pat., der wieder einen fokalen Krampfanfall hatte. Dieser äußert sich mit einer verwaschenen Sprache und deutlichen Gesichtszucken, teilweise mit Herdblick. Pat. ist ansprechbar. Bis jetzt dauerte so ein Anfall ca 2-3 Min..
Ich bat die Schülerin, die gerade zum Frühdienst kam beim Pat. zu bleiben. Währenddessen verständigte ich den Arzt und hielt schon mal eine Amp. Diazepam bereit. (Vitalwerte waren soweit noch unauffällig)
Dieser kam auch sofort und während er die Nadel legte wurde der Pat.
reanimationspflichtig. Jetzt ging alles sehr schnell. Der Pat. wurde auf die Intensivstation verlegt und ist momentan stabil.
Nach so einer Situation plagen mich immer Schuldgefühle. Hätte ich anders reagieren müssen, hätte ich vorher etwas merken müssen u.s.w.?
(ich war ca. eine viertel Stunde vorher noch im Zimmer, der Pat. war völlig unauffällig.) Pat. ist sonst selbständig.
Kennt jemand diese Gedanken? Geht es einigen ähnlich? Hab ich was falsch gemacht? Immer wieder gehe ich dann die Situationen nochmal durch und ich glaube auch, daß alles richtig verlaufen ist. Trotzdem habe ich Schuldgefühle.
Ich mußte einfach mal diese Gedanken los werden.

Ich muß jetzt wieder zum Nachtdienst!
 
Du hast richtig gehandelt.
Wozu also Schuldgefühle?Es gab nichts,was Du hättest besser/anders machen können.
Ganz zu Anfang hatte ich auch mal so eine Episode,die gab sich dann aber.
Dann hat es mir geholfen,Kollegen zu interviewen,wie sie sich verhalten/in einer solchen Situation gefühlt haben.
Mein Beispiel:Präfinaler Pat.,ich im 2.AJ.17.50Uhr,Pat.hat Schmerzen.Ein Pfleger geht mit mir zu ihm,reicht mir eine MSI 10-Spritze u.nickt mir nur zu.Also injiziert.18.00Uhr:Pat.Exitus!
Hab ich den Pat.nun auf dem Gewissen?
Inzwischen habe ich keinerlei Schuldgefühle gegenüber niemandem.
Was tun in Deiner Situation?
Mit dem Thema auseinandersetzen.Wenn das für Dich allein zuviel wird,eine Person des Vertrauens miteinbeziehen.
Nicht zuviel darüber grübeln,sonst versumpfst Du darin.
Ein bißchen Selbstvertrauen zulegen.
Leg los :!: :!: :!:

Greetings,Rasmus
 
Wer hätte das ahnen können? Du kannst nichts dafür. Außerdem war der Arzt ja auch da, da Du ihn korrekterweise informiert hattest, insofern beste Vorraussetzungen. Du hast alles richtig gemacht und alles, was in Deiner Macht stand.
 
Ich habe auch sowas im Hinterkopf. Für den Nachtdienst haben wir eine Kladde. Da schreiben wir Besonderheiten rein, die nur für die Nacht interessant sind. Und zwar, wenn wir die letzte Nacht hatten, quasie als zusätzliche Übergabe an die Kollegin, den Kollegen, der nach uns Dienst hat. Da hatte ich vor einigen Jahren einen Eintrag, daß ein Patient abends immer noch lang am Tisch sitzt und ließt. Ich bräuchte mich also nicht wundern, wenn er um drei noch am Tisch sitze. Die Kollegin vor mir hatte aber dann bei der Drei-Uhr-Runde immer gesagt, daß es jetzt aber langsam Zeit würde. Und ja, um elf saß er am Tisch, ich sag Guten Abend, stelle mich vor und gehe. Um eins saß er noch da und ich ziehe die Tür wieder leise zu und gehe meinen Weg. Umd viertel nach drei komme ich wieder rein und sage, jetzt wird es aber Zeit, um ins Bett zu gehen. Morgen haben Sie doch schon früh die Magenspiegelung. Der Patient reagiert aber nicht und ich denke, der ist am Tisch eingeschlafen. Kann passieren. Als geh ich hin und will ihn vorsichtig wachschütteln. Und merke, daß er schon vollkommen steif und kalt ist. Noch heute frag ich mich, ob er um ein Uhr schon tot war. Aber was soll ich machen? Die Rundenzeiten verändern? Jeden Patienten wachschütteln? Am Liebsten stündlich? Unsere Hauptnachtwache sagte mir damals, daß, wenn ich ihn um ein Uhr schon tot angetroffen hätte, er ebenso tot gewesen wäre wie um drei Uhr. Stimmt. Und hätte ich ihn angesprochen und er hätte noch gelebt, konnte er um drei Uhr immernoch tot angetroffen werden. Da steckst Du nicht drin. Stimmt auch.
Und bei Medikamenten wie Morfium mache ich mir eh keine Sorgen, daß ich einen palliativen Patienten damit "totspritzen" könnte. Laut WHO ist der Patient schmerzfrei, wenn er dies selbst angibt. Und keinen Moment früher. Laut der Schmerzleiter der WHO muß man in der palliativen Pflege solang das Morfium verdoppeln, bis der Patient also keine Schmerzen mehr angibt. Dabei kann man in utopische Dosen geraten. Aber wenn ein Patient dann das Leben aufgibt, denke ich, hat die Natur das Ihrige dazu getan, war der Patient schon so ausgelaugt, daß er es einfach nicht mehr länger mitmachen konnte. Und dann wäre er auch ohne Morfium gestorben.
Ich glaube, Rasmus macht es richtig. Schuldgefühle ausschalten. Mach Deine Sorgen und Gedanken besprechbar. Bleib damit nicht allein sitzen. Hol Dir Hilfe. Und hab Selbstvertrauen. Du bist eine gute Krankenschwester, ein guter Krankenpfleger, sonst würden sie Dir nicht diesen Patienten anvertraut haben. Und obwohl Du Dein Bestes gegeben hast, ist er oder sie gestorben. Dann mußte es wohl so sein. Oder?!!!

Liebe Grüße!
Andreas
 
Hi Andreas!

Sicher hast Du recht, wenn Du schreibst, dass Schuldgefühle ausgeschalten werden sollten! Aber nur, wenn man wirklich das Beste für seine Patienten tut!

Du hast geschrieben, dass der Pat. um eins auch noch am Tisch saß ... Sollen jetzt keine Vorwürfe sein (aber da Du Dir nicht sicher bist), worauf achtest Du denn bei Deinem nächtl. Rundgang, nur auf Anwesenheit? Ich hätte die Situation zu einem Gespräch genutzt ... vielleicht hätte der Pat. Erleichterung erfahren, um über das Thema zu sprechen, warum er nicht schlafen kann oder ähnliches. Denkbar wär auch, das er im Liegen luftnötig wird oder starke Rückenschmerzen bekommt ... das ist doch pflegerisch relevant.

Und das Thema mit dem Morphium. Stellst Du also den Morphin-Perfusor beliebig hoch, unter Umständen auch ohne ärztlich Anordnung? Sicher ist für präfinale Pat. erwünschenswert, dass sie schmerzfrei sind. Aber es gibt auch sowas wie ein Schmerztrauma ... da kannst Du an Analgetika geben was Du willst und der Pat. ist immer noch nicht schmerzfrei! Letztendlich gilt auch für mich hier, wenn möglich ein offenes Gespäch .... Viele Pat. wollen nur eine Erleichterung Ihrer Schmerzen, da sie Ihre letzten Tage nicht vollkommen sediert erleben wollen. Oft auch, damit sie noch Zeit haben, in Gesprächen mit Ihren Angehörigen Klärung über Vergangenes oder Wünsche für die Zukunft zu äußern! Oder einfach nur, damit sie in Ihrer sedierten Welt nicht einsam sind und sich trotz Schmerzen nach Nähe sehnen!
Ich habe hierbei auch schon erlebt, dass ein Pat. mir sagte, er habe nun alles geklärt und möchte nun "benebelt" werden! Mann sollte doch gerade im Sterbeprozess die Wünsche der Pat. absolut unterstützen!!

Also, wie schon geschrieben, das sollen wirklich keine Kritikpunkte oder Vorwürfe sein! Sondern ich will hiermit nur meine Ideale schildern. Vielleicht habe ich Deinen Bericht ja auch missverstanden, weil er vielleicht zu allgemein oder ähnliches ist.

Liebe Grüße
Andrea
 
Hallo Andrea!

Wie gesagt, der Patient war mir so übergeben worden und schon beim ersten Gespräch hatten wir über seine Schlaflosigkeit gesprochen. Der Herr hatte keine gesundheitlichen Probleme, die ihn davon abhielten. Er war bei Thyssen oder so fünfundzwanzig Jahre Nachtportier gewesen. Auch zu Hause saß er oft bis zur Dämmerung in der Küche. Und er hatte gesagt: “Bei mir brauchen Sie nicht mehr reinkommen, Pfleger. Ich geh schon von selbst ins Bett. Und außerdem geh ich ja übermorgen nach Hause.”
Ansonsten, bei den Leuten, die ich "nur" schlafend kennenlerne, keinen Gesprächskontakt hatte, gehe ich tatsächlich bei jeder Runde ans Bett und vergewissere mich ob sie noch leben und schau nach anderen Abweichungen (z.B. starkes Schwitzen, Urinmenge etc.). Übrigens ist bei uns seit einigen Jahren (auch, als das passierte) Usus, daß wir mit den Kollegen der Nachbarstation zusammen durchgehen. Wir fangen bei der anderen Station an und hören bei uns auf. So können wir schön zusammen lagern und saubermachen und so. Und zwischen den Runden macht jeder bei sich weiter. Und dabei sehen dann vier Augen auch mehr als zwei.
Und zum Morfium: Da stelle ich garnix. Jedenfalls solang der Doc nix sagt. Ich hoffe doch jetzt nicht, den Eindruck geweckt zu haben, daß ich so’n selbsternannter Todesengel bin oder sowas! Und unsere Ärzte sind aber in Sachen palliativer Medizin sehr an die WHO-Regelungen angelehnt. Das war ihr Entschluß. Ich bin hier nur ein ganz normaler Normalo.
Aber wenn sie Zeit brauchen, Gespräche zu führen, kriegen unsere Patienten Ritalin. Das läßt ihnen die schmerzlindernde Wirkung, läßt sie aber wach(er) bleiben. Und sowieso werden die Bedenken und Wünsche der Patienten (soweit das möglich ist) honoriert!
Aber keine Sorge, Andrea, ich verstehe Deine Einwände als absolut berechtigt und keineswegs als Kritik oder gar Vorwürfe! Wir können ja drüber reden. Und wenn ich was schreib und Du dazu fragen hast, ist es doch wohl grad in sonnem Forum normal, die auch zu besprechen, oder?

Viele Grüße und einen guten Start in die Woche!

Andreas
 
Hi Andreas oder normaler Normalo :D

Vielen Dank für Deine Antwort, jetzt verstehe ich auch den Hintergrund Deines Berichtes!

Sicher, hast Du recht, das unser Forum zum diskutieren der Themen besteht. Schreibe dennoch immer etwas vorsichtiger, weil geschriebenes schneller falsch verstehen werden kann, als in einem Gespräch.

Wünsche Dir auch eine gute Woche. Ich fang heute mit Nachtwachen an - und die Idee mit dem Rundgang werde ich dann mal anbringen. Lagern tun wir eh zusammen.

Grüße
Andrea
 
Hallo!
Ich denke,es gibt in unserem Beruf immer wieder diese Situation Schuldgefühle ja oder nein. Vor mehr als 14 Tagen hatte ich Nachtdienst und hatte einen Pat. - Schizophrenie - ohne Anzeichen auf suizidale Gedanken usw., keine Versuche in der Vorgeschichte. Er konnte in dieser Nacht nicht einschlafen - Unruhe - Erhielt BA. Bei weiterem Aufsuchen des Pat. gab er nur an: jaja Schwester, kann nur net schlafen. Okay, kommt vor.Aber auf meine Bitte, dass er sich doch bei mir melden sollte, wenn er sich schlecht oder schlechter fühlte ging er nicht ein. Bei einem weiteren Durchgang fand ich ihn. Sah von weitem so aus, als ob er an der Heizung lehnte.Beim Näherkommen musste ich leider feststellen, dass dem nicht so wahr.AVD kam, Hilfe von anderer Stat.
Heute habe ich erfahren, dass sein Zimmerkollege die gleiche Entscheidung traf. Aber im Ausgang, auf dem Weg zu seinen Verwandten. Seine Angehörigen haben ihn in einem Schrebergarten gefunden.
Mache mir noch schlimmere Vorwürfe..Bin ich Profi? Sollte ich damit nicht umgehen können??
Ich denke, man muss sich damit immer und immer wieder auseinandersetzten.
Mit der Zeit kommen andere Dinge, aber das Erlebte wird man nicht löschen können.
Du hast nichts falsch gemacht. Aber rede viel darüber. :!:
 
Hallo!
Zu Deiner Beruhigung: absolut richtiges Verhalten. Dem ist nichts hinzuzufügen !


Hallo!
Ich bin seit 1989 mit kleinen Unterbrechungen in der Pflege, und trotzdem habe ich jedes Mal nach einem Notfall Schuldgefühle. Ich hatte heute Nachtdienst und kurz vor Dienstende meldet sich ein Pat., der wieder einen fokalen Krampfanfall hatte. Dieser äußert sich mit einer verwaschenen Sprache und deutlichen Gesichtszucken, teilweise mit Herdblick. Pat. ist ansprechbar. Bis jetzt dauerte so ein Anfall ca 2-3 Min..
Ich bat die Schülerin, die gerade zum Frühdienst kam beim Pat. zu bleiben. Währenddessen verständigte ich den Arzt und hielt schon mal eine Amp. Diazepam bereit. (Vitalwerte waren soweit noch unauffällig)
Dieser kam auch sofort und während er die Nadel legte wurde der Pat.
reanimationspflichtig. Jetzt ging alles sehr schnell. Der Pat. wurde auf die Intensivstation verlegt und ist momentan stabil.
Nach so einer Situation plagen mich immer Schuldgefühle. Hätte ich anders reagieren müssen, hätte ich vorher etwas merken müssen u.s.w.?
(ich war ca. eine viertel Stunde vorher noch im Zimmer, der Pat. war völlig unauffällig.) Pat. ist sonst selbständig.
Kennt jemand diese Gedanken? Geht es einigen ähnlich? Hab ich was falsch gemacht? Immer wieder gehe ich dann die Situationen nochmal durch und ich glaube auch, daß alles richtig verlaufen ist. Trotzdem habe ich Schuldgefühle.
Ich mußte einfach mal diese Gedanken los werden.

Ich muß jetzt wieder zum Nachtdienst!
 
Würd ich auch sagen!

Jeder der im KH arbeitet kann nur bestätigen,das Du richtig gehandelt hast.