Schmetterlingsflügel – eine Sterbebegleitung, Erzählung
von Sabine Marya
In dieser berührenden Erzählung wird eine Schwesternschülerin das erste Mal mit dem Sterben konfrontiert, beim Einlassen auf die Begleitung eines sterbenden Krebspatienten. Zusätzlich befinden sich in diesem Büchlein Texte zum Thema „Trauer“ von Sabine Marya und von der Trauerbegleiterin des Bestattungsinstitutes Dawartz in Husum. „Schmetterlingsflügel“ wird von Dawartz gesponsert.
Heinz Körner sagt zu der Erzählung: „Diese Texte sind schlicht und einfach das beste, was ich zu dieser Thematik bisher gelesen habe, anrührend, treffend, mitfühlend, einfach rundum gut.“
Erscheint März 06 im Engelsdorfer Verlag
ISBN 3-939- 144-67 7,00€
Leseprobe:
Vor der Zimmertür zögerte ich kurz.
Ich spürte meine Unsicherheit und das Aufsteigen von Angst. Die Menschen hier waren alle sehr schwer krank.
Aber noch nie bin ich in diesem Vierteljahr, in dem ich nun hier war, mit einem Patienten konfrontiert worden, der im Sterben lag. Die anderen Patienten hier bekamen ihre Chemotherapie, ihre Bestrahlungen, und sie hofften auf Heilung.
Doch dieser Mann lag hier, um zu sterben.
Mühsam versuchte ich, den Kloß hinunter zu schlucken, der sich in meinem Hals festgesetzt hatte. Plötzlich wünschte ich, dass sie mich besser in den Spülraum geschickt hätte!
„Susanne!“ ertönte hinter mir die Stimme von Inga, der Seitenschwester. „Bist du da fest gewachsen? Soll ich den Chirurgen rufen?“
Erschrocken zuckte ich zusammen. „Nein, nein, ich geh ja schon...“ Mit einem Zittern in den Händen klopfte ich an und drückte die Klinke hinunter.
Er hatte das Zimmer mit dem großen Südfenster bekommen, das den Blick frei gab auf die riesige Ulme.
Durch die sich durch das Baum- und Blättergewirr hindurch tastenden Sonnenstrahlen und dem silbrig- verwunschenen Hauch, der sich zwischen den Blättern brach, wirkte die Ulme wie ein großer, alter Märchenbaum, auf dessen Zweige sich kleine Elfen sanft vom Wind schaukeln ließen und so das ganze Zimmer in eine eigenartig märchenhafte Atmosphäre tauchte.
Der Patient auf dem Bett wirkte dabei wie ein aufgebahrter Schneewittchen- Mann, trotz der Magensonde, die in seinem linken Nasenloch steckte. Bis auf seinen leicht rasselnden Atem und das Zwitschern der Vögel von draußen war kein Laut zu hören. Das Zimmer schien abgetrennt von dem Rest der Welt, ohne Fernseh- und Radiogeräusche oder das Gemurmel von Menschen.
Der Mann sah mich an, und dabei hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass er mich sah. Seltsam...
Meine Stimme krächzte und schlug Purzelbäume, als ich mich vorstellte: „Susanne. Ich bin Schwesternschülerin.“
Er nickte nur stumm und reichte mir seine blasse, schmale Hand.
Ich wartete darauf, dass er nun auch etwas sagen würde, aber es kam kein Wort über seine Lippen. Stumm sah er mich an.
Unter diesem Blick fühlte ich mich scheußlich unwohl!
Schnell entwand ich meine Hand, die plötzlich schweißnass wurde. Meinen ersten Impuls, aus dem Zimmer zu fliehen, unterdrückte ich mühsam. Ich versuchte, alle unangenehmen Gefühle von mir weg zu schieben. Statt dessen lenkte mich mit dem Putzen seiner Fensterbank und meinem Ärger auf Schwester Hannelore ab.
„Was hatte die sich nur dabei gedacht, dass wir hier putzen sollen? Wir sind doch keine Putzfrauen!“
Unangenehm spürte ich dabei seinen Blick im Nacken, und gleichzeitig baute sich das Schweigen im Zimmer auf. Monströs, wie eine Wand. Verzweifelt versuchte ich, die Stille auszufüllen. Ich stellte Fragen, verstrickte mich in Phrasen und Platituden, die mir selber immer hohler und unbedeutender vorkamen. Doch ich entlockte ihm keinen Ton, nur manchmal ein belustigtes Lächeln oder einen traurigen Blick.
Irgendwann brach ich verzagt ab. Am liebsten hätte ich geweint und ihm erzählt, wie schlimm ich mich von seinem Verhalten gekränkt fühlte. Aber nein, diese Blöße wollte ich mir nicht geben! Ich beschloss, so schnell wie möglich den Nachtschrank abzuwischen und dann aus diesem Zimmer eiligst zu verschwinden.
Aber plötzlich ertönte ein pfeifendes Geräusch. Erschrocken drehte ich mich um zu ihm.
Der Mann hustete und rang gleichzeitig keuchend nach Luft, während sich die Lippen und das Gesicht rasend schnell blau verfärbten. Panik und Entsetzen ergriffen mich.
Im gleichen Moment stürzte Schwester Inga ins Zimmer. „Hast du geklingelt?“ fragte sie mich, während sie routiniert nach dem Absaugschlauch griff. Dabei schob sie gleichzeitig das Halstuch beiseite, um die Tracheakanüle frei zu legen und begann mit dem Absaugen.
Ich schüttelte mit dem Kopf und zeigte stumm auf Herrn Kühl.
„Haben Sie gut gemacht!“ murmelte die Schwester und strich ihm über das Gesicht, in das langsam wieder eine normale Färbung zurück kehrte.
Ich nahm meinen Putzeimer mit und folgte der Frau nach draußen in den Flur. Meine Beine und Hände zitterten.
„Warum hat er nichts gesagt?“ stieß ich hervor.
„Dummerchen, weil er nicht sprechen kann.“
Infos zu weiteren Bucherscheinungen und bereits veröffentlichten Büchern:
www.marya.de
von Sabine Marya
In dieser berührenden Erzählung wird eine Schwesternschülerin das erste Mal mit dem Sterben konfrontiert, beim Einlassen auf die Begleitung eines sterbenden Krebspatienten. Zusätzlich befinden sich in diesem Büchlein Texte zum Thema „Trauer“ von Sabine Marya und von der Trauerbegleiterin des Bestattungsinstitutes Dawartz in Husum. „Schmetterlingsflügel“ wird von Dawartz gesponsert.
Heinz Körner sagt zu der Erzählung: „Diese Texte sind schlicht und einfach das beste, was ich zu dieser Thematik bisher gelesen habe, anrührend, treffend, mitfühlend, einfach rundum gut.“
Erscheint März 06 im Engelsdorfer Verlag
ISBN 3-939- 144-67 7,00€
Leseprobe:
Vor der Zimmertür zögerte ich kurz.
Ich spürte meine Unsicherheit und das Aufsteigen von Angst. Die Menschen hier waren alle sehr schwer krank.
Aber noch nie bin ich in diesem Vierteljahr, in dem ich nun hier war, mit einem Patienten konfrontiert worden, der im Sterben lag. Die anderen Patienten hier bekamen ihre Chemotherapie, ihre Bestrahlungen, und sie hofften auf Heilung.
Doch dieser Mann lag hier, um zu sterben.
Mühsam versuchte ich, den Kloß hinunter zu schlucken, der sich in meinem Hals festgesetzt hatte. Plötzlich wünschte ich, dass sie mich besser in den Spülraum geschickt hätte!
„Susanne!“ ertönte hinter mir die Stimme von Inga, der Seitenschwester. „Bist du da fest gewachsen? Soll ich den Chirurgen rufen?“
Erschrocken zuckte ich zusammen. „Nein, nein, ich geh ja schon...“ Mit einem Zittern in den Händen klopfte ich an und drückte die Klinke hinunter.
Er hatte das Zimmer mit dem großen Südfenster bekommen, das den Blick frei gab auf die riesige Ulme.
Durch die sich durch das Baum- und Blättergewirr hindurch tastenden Sonnenstrahlen und dem silbrig- verwunschenen Hauch, der sich zwischen den Blättern brach, wirkte die Ulme wie ein großer, alter Märchenbaum, auf dessen Zweige sich kleine Elfen sanft vom Wind schaukeln ließen und so das ganze Zimmer in eine eigenartig märchenhafte Atmosphäre tauchte.
Der Patient auf dem Bett wirkte dabei wie ein aufgebahrter Schneewittchen- Mann, trotz der Magensonde, die in seinem linken Nasenloch steckte. Bis auf seinen leicht rasselnden Atem und das Zwitschern der Vögel von draußen war kein Laut zu hören. Das Zimmer schien abgetrennt von dem Rest der Welt, ohne Fernseh- und Radiogeräusche oder das Gemurmel von Menschen.
Der Mann sah mich an, und dabei hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass er mich sah. Seltsam...
Meine Stimme krächzte und schlug Purzelbäume, als ich mich vorstellte: „Susanne. Ich bin Schwesternschülerin.“
Er nickte nur stumm und reichte mir seine blasse, schmale Hand.
Ich wartete darauf, dass er nun auch etwas sagen würde, aber es kam kein Wort über seine Lippen. Stumm sah er mich an.
Unter diesem Blick fühlte ich mich scheußlich unwohl!
Schnell entwand ich meine Hand, die plötzlich schweißnass wurde. Meinen ersten Impuls, aus dem Zimmer zu fliehen, unterdrückte ich mühsam. Ich versuchte, alle unangenehmen Gefühle von mir weg zu schieben. Statt dessen lenkte mich mit dem Putzen seiner Fensterbank und meinem Ärger auf Schwester Hannelore ab.
„Was hatte die sich nur dabei gedacht, dass wir hier putzen sollen? Wir sind doch keine Putzfrauen!“
Unangenehm spürte ich dabei seinen Blick im Nacken, und gleichzeitig baute sich das Schweigen im Zimmer auf. Monströs, wie eine Wand. Verzweifelt versuchte ich, die Stille auszufüllen. Ich stellte Fragen, verstrickte mich in Phrasen und Platituden, die mir selber immer hohler und unbedeutender vorkamen. Doch ich entlockte ihm keinen Ton, nur manchmal ein belustigtes Lächeln oder einen traurigen Blick.
Irgendwann brach ich verzagt ab. Am liebsten hätte ich geweint und ihm erzählt, wie schlimm ich mich von seinem Verhalten gekränkt fühlte. Aber nein, diese Blöße wollte ich mir nicht geben! Ich beschloss, so schnell wie möglich den Nachtschrank abzuwischen und dann aus diesem Zimmer eiligst zu verschwinden.
Aber plötzlich ertönte ein pfeifendes Geräusch. Erschrocken drehte ich mich um zu ihm.
Der Mann hustete und rang gleichzeitig keuchend nach Luft, während sich die Lippen und das Gesicht rasend schnell blau verfärbten. Panik und Entsetzen ergriffen mich.
Im gleichen Moment stürzte Schwester Inga ins Zimmer. „Hast du geklingelt?“ fragte sie mich, während sie routiniert nach dem Absaugschlauch griff. Dabei schob sie gleichzeitig das Halstuch beiseite, um die Tracheakanüle frei zu legen und begann mit dem Absaugen.
Ich schüttelte mit dem Kopf und zeigte stumm auf Herrn Kühl.
„Haben Sie gut gemacht!“ murmelte die Schwester und strich ihm über das Gesicht, in das langsam wieder eine normale Färbung zurück kehrte.
Ich nahm meinen Putzeimer mit und folgte der Frau nach draußen in den Flur. Meine Beine und Hände zitterten.
„Warum hat er nichts gesagt?“ stieß ich hervor.
„Dummerchen, weil er nicht sprechen kann.“
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www.marya.de