Ich kann mich noch ganz genau an einen Fall erinnern, der mich lange Zeit beschäftigt hat. Es war noch auf der Station Innere Medizin – Männer . Wir hatten damals einen Mann aufgenommen, der einen Schlaganfall erlitten hatte. Mit einer Hemiparese auf der linken Seite und Sprachstörungen.
Der Mann war von Beruf Landwirt mit einem relativ großen Hof, den er zu seinem 65. Geburtstag dem Schwiegersohn und der 1. Tochter übertragen hatte, wie es eben so bei Bauern üblich ist.
Die Tochter und der Schwiegersohn bewirtschafteten den Hof der Alt – Bauer half wo er konnte. Mit der Übertragung des Hofes hatte er sich für seine Frau und sich ein lebenslanges Wohnrecht auf dem Hof und im Krankheitsfalle Pflege durch die Tochter gesichert.
Jetzt war der Fall der Krankheit eingetreten. Der Mann war ein sehr angenehmer Patient. Freundlich, höflich, anspruchslos und immer dankbar für Handreichungen.
Seine Fortschritte waren gut und auch die Hemiparese war rückläufig.
Leider erlitt seine Frau ebenfalls eine Hirnblutung und wurde auf die Frauenstation eingeliefert. Obwohl ich damals darum gebeten habe, beide Eheleute in einem Zimmer unterzubringen, wurde der Wunsch abgelehnt. ( katholisches Ordenshaus ) Aber ich durfte in der Zeit von 15:00 bis 16:00 Uhr die beiden Betten zusammen in den Aufenthaltsraum stellen. Nebeneinander !!
Die Frau war in den ersten Tagen somnolent nicht ansprechbar und nur wenn ich die Betten nebeneinander stellte, öffnete sie kurz die Augen. Dann hielten sich diese beiden alten Menschen an der Hand.
Nun ergab es sich das die 2. Tochter, welche sich sehr um die Eltern bemüht hat, erfahren musste, dass ihre Schwester für die Eltern ein Platz im Altenheim besorgt hatte. Sie wollte entgegen der Absprache die Pflege nicht leisten.
Als der alte Herr dies erfuhr, verschlechterte sich sein Zustand rapide. Aller Lebenswille war erloschen und man merkte, wie er sich selber aufgeben hatte. Intensiv Gespräche mit ihm verliefen im Sande. Er wollte nicht mehr ,
Seine Frau zeigte auch keine Anzeichen einer Besserung. Nur wenn die Betten nebeneinander standen waren Regungen erkennbar.
Die jüngste Tochter kämpfte um das Recht der Eltern auf ihren Hof zurück zu können, scheiterte aber ebenfalls an der Schwester und deren Mann.
Und dann kam was kommen musste, die Frau starb gegen 12:00 Uhr ohne das Bewusstsein wieder zu erlangen. Und obwohl es keiner dem alten Mann gesagt hatte, muss er es gefühlt haben.
Um 15:00 Uhr verdrehte er im Bett die Augen, hörte auf zu atmen und verstarb zu dem Zeitpunkt, wo er eigentlich zu seiner Frau gefahren wurde.
Innerhalb von 3 Stunden sind beide Eltern verstorben. Und es war zumindestens bei dem Mann nicht die Erkrankung sondern die seelische Pein und der Verlust des Lebenswillen.
Hier konnte die Medizin nicht gegen die Psyche ankämpfen sondern hat verloren.
Die beiden alten Leute haben sich so geliebt, dass sie nicht alleine weiterleben konnten.
Das muss eine große Liebe gewesen sein .