Nukleotomie / Bandscheibenoperation

Rabenzahn

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Nukleotomie (Bandscheibenoperation)

Die Bezeichnung Nukleotomie oder auch Diskektomie wird für die Entfernung eines Bandscheibenvorfalls (Bandscheibenprolaps, Diskusprolaps) verwendet. Den gleichen Operationszweck erfüllt die Laminektomie, wobei aber ein oder mehrere Wirbelbögen entfernt werden.
Die perkutane Nukleotomie ist ein mikrochirurgisches, gering invasives (= mit geringer Verletzung der Körperintegrität einhergehendes) Verfahren, bei dem die Bandscheibe mit Hilfe einer eingeführten Faßzange mit Saugvorrichtung unter endoskopischer Sicht (= durch Spiegelung) vorgenommen wird.
Für die Schmerztherapie ist eine Nukleotomie deshalb relevant, weil nach einer solchen Operation leider häufig hartnäckige Schmerzustände verbleiben, das sogenannte Postnukleotomie-Syndrom.

Das Postnukleotomiesyndrom wird auch als Postdiskektomie-Syndrom bezeichnet, unabhängig davon, ob es mit einer pseudoradikulären oder radikulären Symptomatik (= Krankheitszeichen die auf eine scheinbar oder tatsächlich geschädigte Nervenwurzel zurückzuführen sind) einhergeht. Nahezu gleiche Krankheitszeichen können auch beim Postlaminektomie-Syndrom bestehen.

Zwischenzeitlich faßt man anhaltende Schmerzzustände nach (auch mehrfachen) Wirbelsäulenoperationen (Bandscheibe, aber auch operative Versteifungen) mit dem Begriff „Failed Back Surgery Syndrom (FBSS) (= Krankheitszeichen nach fehlgeschlagener Wirbelsäulenoperation) zusammen.

Ursachen für das Postnukleotomiesyndrom bzw. Failed Back Surgery Syndrom:

Schlechte bzw. falsche Operationsanzeige, Operation in falscher Wirbelsäulenhöhe, ungenügende Entlastung der Bandscheibe, Entzündungen an Wirbelkörper und angrenzender Bandscheibe (Spondylodiscitis), verletzungsbedingte Blutansammlung außerhalb der Gefäße (Hämatom), Verbindungsgang zum Hirnwasser (Liquorfistel), fehlerhafte Vereinigung von Knochenteilen (fehlerhafte Osteosynthese) u.a.m..

Drohende Spätkomplikationen:

Instabilität der Wirbelsäule, die u.U. eine Spondylodese (= operative Versteifung) erforderlich macht, krankhafte Bindegewebsvermehrung nahe des Rückenmarks (epidurale Fibrose), bindegewebsartige Verwachsungen der das Rückenmark auskleidenden „Spinnengewebshaut“ (adhäsive Arachnoiditis), Wiederauftreten einer Bandscheibenausstülpung (Diskushernienrezidiv), u.a.m..

Wie kann einem Postnukleotomie-Syndrom bzw. Failed Back Surgery Syndrom vorgebeugt werden?
Nur durch eine korrekte Indikationsstellung (= Begründung, Anzeige, unter Abschätzung des möglichen Nutzens und Risikos) für den ersten operativen Eingriff nach genauer Klärung der Schmerzursache.

Das Schmerzgeschehen wird von den Patienten unterschiedlich geschildert. Meist verbleiben die schon vor der Operation aufgetretenen Rückenschmerzen mit Ausstrahlung ins Bein, bzw. treten nach einer gelinderten Phase wieder voll auf, teilweise sogar noch verstärkt mit zusätzlichen Schmerzausstrahlungen in die Leisten oder Beine, oft gemischt pseudoradikulär-radikulär (=auf eine scheinbar oder tatsächlich geschädigte Nervenwurzel zurückzuführen).
Beim Postnukleotomie-Syndrom bzw. Failed Back Surgery Syndrom kommen oft Schmerzen beim Vornüberneigen hinzu.

Schmerztherapie beim Postnukleotomie-Syndrom (Postdiskektomie-Syndrom):

Zur Behandlung eignen sich folgende Maßnahmen, wobei Dauerschmerzen praktisch immer eine Kombination von verschiedenen Therapieverfahren erfordern:

Medikamentöse Behandlung:

Akut und subakut können bei Schmerzen nach einer Nukleotomie, Diskektomie oder Laminektomie zunächst (vorwiegend) peripher wirkende Analgetika (= Schmerzmittel, die am Ort der Schmerzentstehung wirken) eingesetzt werden, insbesondere sog. nicht steroidale Antirheumatika (= Rheumamittel) (möglichst langwirkende und magenschonende wie z.B. Mobec®), bei stärkeren schmerzhaften Muskelverspannungen auch Muskelrelaxanzien (= Mittel zur Muskelentspannung) (z.B. Norflex®, Mydocalm®). Manchmal sind aber die Schmerzzustände nur mit zentralwirkenden Analgetika (z.B. Tramadol, Valoron N®) (= im Gehirn bzw. Rückenmark wirkende Schmerzmittel) beherrschbar.
Grundsätzlich sollte gerade beim Postnukleotomie-Syndrom eine längerfristige Schmerzmittelverordnung wegen der Gefahr der Gewöhnung oder gar Abhängigkeit vermieden werden.
Die Kombination mit schmerzdistanzierenden Antidepressiva (= Mittel gegen Depression, aber auch bei chronischen Schmerzen wirksam) (z.B. Doxepin, Maprotilin) hilft in vielen Fällen Schmerzmittel einzusparen.

Therapeutische Lokalanästhesie (= Behandlung mit einem örtlichen Betäubungsmittel) beim Postnukleotomiesyndrom (Postdiskektomie-Syndrom):
Bei anhaltenden Schmerzen nach Nukleotomie sollten rechtzeitig alternative Methoden eingesetzt werden. Eine sehr wirksame Alternative, ohne jedes Gewöhnungs- oder Suchtpotential, ist die therapeutische Lokalanästhesie mit einem langwirkenden örtlichen Betäubungsmittel (z.B. Bupivacain) in Form von örtlichen Betäubungen und Nervenblockaden.

Infiltrative Lokalanästhesie (= Infiltration mit einem örtlichen Betäubungsmittel):
Die einfachste diesbezügliche Schmerztherapie im Rückenbereich besteht in der örtlichen Infiltration der meist verspannten, an die Wirbelsäule angrenzenden Muskulatur. Je nach segmentaler Ausdehnung reichen ca. 5-10 ml Bupivacain 0,25% bis 0,5% völlig aus. Eine weitere Möglichkeit ist die gezielte Infiltration von Triggerpunkten (= kleine Reizzonen hpts. in der Muskulatur) nach vorheriger Identifizierung derselben.

Periphere temporäre (= oberflächliche, zeitlich begrenzte) Nervenblockaden:

Zur Unterbrechung segmentaler Reflexkreise, aber auch zur Therapie von Schmerzausstrahlungen eignen sich bei Rückenschmerzen Blockaden (= Betäubungen) der korrespondierenden Nervenwurzeln (= im Schmerzbereich befindliche Nervenaustrittstellen neben der Wirbelsäule).
Im Bereich der Beine können bei entsprechender radikulärer oder pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung (= Schmerzen die auf eine tatsächlich oder scheinbar geschädigte Nervenwurzel zurückzuführen sind) der vordere Oberschenkelnerv (N. femoralis) und / oder der Ischiasnerv wiederholt blockiert werden, in hartnäckigen Fällen mit Katheter (* siehe unten).
Bei Schmerzausstrahlung in den Bereich des seitlichen und inneren Oberschenkels gelingt mit der sog. 3-in-1-Variante die zusätzliche Betäubung der Nerven obturatorius und cutaneus femoris lateralis.


Die lumbale Periduralblockade (= rückenmarknahe Betäubung im Lendenbereich), insbesondere kontinuierlich mit Katheter*, ist eine sehr effektive Therapiemaßnahme bei Schmerzen nach Nukleotomie, die allerdings nur unter stationären Bedingungen durchgeführt werden sollte. Bei technischer Beherrschung, adäquater Lokalanästhetika-Dosierung und Beachtung der hygienischen Belange kann das Risiko als vertretbar eingestuft werden.
Wenn eine Periduralblockade technisch schwer oder nicht durchführbar ist (z.B. bei Mißbildungen, Zustand nach operativer Wirbelsäulenversteifung usw.), bietet sich besonders bei Störungen im Bereich des Plexus sacralis (= Nervengeflecht im Bereich des Kreuzbeins) die sog. Kaudalanästhesie (= rückenmarknahe Betäubung durch einen Kanal im Kreuzbein hindurch) an, die auch mit Katheter* möglich ist, sofern dieser wegen der der Gefahr einer Entzündung seitlich unter der Haut mittels einer Untertunnelung weggeführt wird. Erhöht man die Menge des örtlichen Betäubungsmittels (z.B. 20-25ml Bupivacain 0,1 bis 0,15 %) kann auch der obere Lendenbereich erreicht werden.
Statt mit einem örtlichen Betäubungsmittel können die aufgeführten, rückenmarknahen Blockaden auch mit einer verdünnten Morphin-Lösung durchgeführt werden, allerdings ist dabei die oft zu beobachtende, über die Behandlungszeit hinaus anhaltende Wirkung deutlich weniger ausgeprägt.
Bei sehr schweren und sonst kaum behandelbaren Rückenschmerzen einschließlich Ausstrahlung in die Leisten oder Beine kann zur Durchführung rückenmarknaher Blockaden auch eine kleine Schmerzpumpe unter die Haut gepflanzt werden. Das Arzneimittelreservoir der Pumpe wird dann in bestimmten Zeitabständen durch die Haut hindurch mit Hilfe einer Spritze wieder aufgefüllt.

* Bei der sog. kontinuierlichen Blockade mit Katheter wird der dünne Kunststoffschlauch dicht an Nervengeflechte bzw. den betroffenen Nerven eingepflanzt. Die Einpflanzung erfolgt durch eine handelsübliche Kanüle hindurch, es muß also nicht „aufgeschnitten“ werden. In der Folge wird über diesen Katheter mehrmals täglich, jeweils nach Abklingen der vorangegangenen Dosis, das örtliche Betäubungsmittel völlig schmerzlos nachgespritzt. In bestimmten Fällen kann zur Verabreichung des örtlichen Betäubungsmittel durch den Katheter hindurch auch eine kleine Pumpe angeschlossen werden. Das örtliche Betäubungsmittel wird bei dieser Behandlung so dosiert, dass die grobe Kraft erhalten bleibt (bei gleichzeitiger Hemmung der Schmerzreizleitung), damit begleitend krankengymnastische Übungsbehandlungen möglich bleiben. Dass die schmerzlindernde Wirkung i.d.R. über die eigentliche Behandlungszeit hinaus anhält, ist u.a. darauf zurückzuführen, daß bei dieser Blockadebehandlung auch die sog. vegetativen Nerven betroffen sind, woraus eine sehr deutliche Durchblutungssteigerung resultiert, die einer Schmerzentstehung im operationsbedingten Narbengewebe entgegen wirkt.

Physikalische Therapie beim Postnukleotomiesyndrom (Postdiskektomiesyndrom):
Auch eine Elektrostimulation kann bei Rückenschmerzen eine Beschwerdelinderung herbeiführen. Die transkutane Nervenstimulation mit Niederfrequenzgenerator über Klebeelektroden (TENS) hat den Vorteil, daß sich die Patienten bei Bedarf selbst behandeln können. Die Elektroden werden paarig neben der Wirbelsäule im Schmerzbereich aufgeklebt. Durch Veränderung der Stimulationsfrequenz und der Elektrodengröße kann die Wirkung optimiert werden. Die elektrische epidurale Rückenmarksstimulation erfordert eine strenge Patientenauswahl.
Eine weitere physikalische Behandlungsmöglichkeit ist bei Schmerzen nach Nukleotomie die oberflächliche Kältetherapie im Schmerzbereich. Wir verwenden einen elektrischen Kaltluftgenerator, dessen Luftstrom auf ca. -10 bis -15 Grad C abgekühlt ist.
Manche Patienten mit einem Nukleotomie -Syndrom (gilt auch allgemein für Rückenschmerzen) empfinden allerdings lokale Wärmeapplikationen (Rotlicht) als besser wirksam. Warme Bäder können ebenfalls Kreuzschmerzen lindern.
Die Verordnung von Massagen ist beim Postnukleotomie-Syndrom nicht immer sinnvoll. Häufig brechen Patienten diese Behandlung ab, weil sie dadurch eher eine Schmerzverstärkung verspüren. Optimal wirkungsvoll sind Massagen dann, wenn sie unmittelbar im Anschluß an eine Schmerzbehandlung erfolgen, was allerdings eine enge Abstimmung zwischen Schmerztherapeut und Masseur voraussetzt.
Nahezu unverzichtbar ist bei Rückenschmerzen die heilgymnastische Therapie, da meist nur diese geeignet ist, einen ärztlichen Behandlungserfolg zu sichern und längerfristig zu stabilisieren. Dabei gilt es, die Muskulatur neben der Wirbelsäule zu trainieren, da auf Dauer nur eine kräftige/suffiziente Muskulatur eine statische und dynamische Schwäche des Achsenorgans kompensieren kann.

Andere Therapiemaßnahmen beim Postnukleotomie-Syndrom (Postdiskektomie-Syndrom):

Der Vollständigkeit halber darf die Akupunktur zur Behandlung der Schmerzen nach einer Nukleotomie nicht unerwähnt bleiben. Auch eine Magnetfeldtherapie kann hilfreich sein.
Wichtig sind individuelle Instruktionen zur richtigen Haltung und Vermeidung von übermäßigen Wirbelsäulenbelastungen (funktionelle Ergotherapie bzw. Rückenschule). Darüber hinaus ist anzustreben, daß die betroffenen Patienten Übungen zur Lockerung der Muskulatur erlernen.
Die Verordnung von Hilfsmitteln wie z.B. stabilisierende Korsette sollten dem Orthopäden vorbehalten sein.
Hypnoide (= bewußtseinsverändernde) Verfahren wie autogenes Training oder progressive Relaxation nach Jakobson sind eine sinnvolle Ergänzung der Gesamtstrategie, da auch sie zu einer muskulären Entspannung führen, ebenso Biofeedback (= Registrierung und Rückmeldung bioelektrischer Signale).
Psychotherapeutische Interventionen können beim ausgeprägten „Psychosomatischen Schmerz“ angezeigt sein, da auch verdrängte Konflikte muskuläre Verspannungen und Schmerzen verstärken können.

Bei längerfristig bestehenden chronischen Schmerzen ist davon auszugehen, daß bereits ein Chronifizierungsgrad II oder III (Mainzer Stadieneinteilung) vorliegt. In diesen Fällen ist eine rein somatische (= körperliche) Behandlung kaum mehr ausreichend, sondern es müssen zusätzlich psychologisch /psychotherapeutische Interventionen erfolgen.