Loslassen können

Silvana

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Registriert
04.02.2002
Beiträge
151
Ort
München
Beruf
Krankenschwester
Akt. Einsatzbereich
ZNA
Funktion
Praxisanleiterin, Krankenschwester für Notfallpflege
Wenn Angehöroge nicht loslassen können:

Eine 99jährige Patientin wurde eingeliefert.Chron. Niereninsuffizienz,sehr schlechter AZ,Pflegefall seit 15 Jahren.Mit ihr kam die Tochter.
Sie hatte ihre Mutter per Krankenwagen aus einem anderen Krankenhaus hergebracht,weil die dortigen Ärzte gegen einen neuen Sheldon-Katheter für die Dialyse waren.Der liegende Katheter war nicht mehr zu gebrauchen.
Der Patientin ging es wirklich schlecht,sie schrie vor Schmerzen bei jeder Bewegung,bekam kaum Luft.Es war klar,daß der Tod nicht zu vermeiden war.
Doch die Tochter konnte das nicht akzeptieren.Sie lehnte eine angemessene Schmerztherapie ab und wollte unbedingt die Dialyse.
Ständig sprach sie irgendwelche,teils sehr schmerzhaften Untersuchungen an,die ihrer Muter helfen könnten.
Wir versuchten ihr sanft zu erklären,daß ihre Mutter trotz aller Bemühungen sterben würde.Auch den Seelsorger und eine Psychologin schalteten wir ein.Kein Erfolg.
Die Tochter war 24 Std. anwesend,ließ kaum eine angemessene Pflege zu. So wollte sie nicht,daß wir ihre Mutter ansprachen,bevor wir z.B. Heparin spritzten.Oder sie gab trotz Nahrungskarenz etwas zu essen,was natürlich sofort zur Aspiration führte.Irgendwann wollte sie dann ihre Mutter in ein anderes Krankenhaus zur Dialyse bringen.
Schließlich warf sie uns dann in einer meiner Nachtwachen vor,ihre Mutter verhungern zu lassen.Daher wollte sie eine PEG-Anlage bei ihrer Mutter.Und da platzte mir dann der Kragen.
Ich sagte ihr barsch,sie hätte genau zwei Möglichkeiten:
ihre Mutter friedlich einschlafen zu lassen,ihr auf ihrem letzten Weg Beistand zu leisten und ihre Hand zu halten.
Oder aber ihre Mutter nochmal vor ihrem Tod richtig leiden zu lassen,indem die Patientin nochmal eine PEG bekommt und einen neuen Katheter,vielleicht noch eine Gastro oder Colo oder so.Dabei würde ihre Mutter so richtig qualvoll sterben.
Ich weiß ja,daß das super brutal war und auch nicht wirklich die richtige Art und Weise.Aber diese sterbende alte Dame weiter so elendig leiden zu sehen,war mir zuwider.
Die Tochter sah mich schockiert an und fragte,wie ich an ihrer Stelle handeln würde.Ich konnte ihr da nur antworten,daß ich es zwar nicht wirklich wüßte,meiner Mutter aber einen möglichst friedlichen,schmerzfreien Tod gönnen würde.
Am nächsten Morgen stimmte die Tochter einer Schmerztherapie zu,kurze Zeit später war die Patientin relaiv friedlich und schmerzfrei verstorben.
Wenn ich auch nicht nochmal so mit einem Angehörigen sprechen werde - obwohl ich das in der gleichen Situation auch nicht schwören würde - brauchen vielleicht einige wenige diese harte Wahrheit,um zu erkennen,daß auch die Möglichkeit eines friedlichen Todes ein Dankeschön sein kann.

:?: :!: :?: Silvana
 
Hallo Silvana,

die von Dir geschilderte Situation kommt mir ziemlich bekannt, wenn auch in etwas abgemilderter Form.
Der Gedanke an den Tod der eigenen Eltern ist für manche Menschen wohl so erschreckend oder auch unvorstellbar, daß sie sehr weit von sich wegweisen. Oft wird verlangt, daß alles irgendwie machbare auch getan wird, ob das jetzt Sinn macht oder auch nicht. Und mit unter wird auch noch alles getan (z.B. grosse abdominelle Eingriffe mit fast 90 Jahren).
Bei deinem konkreten Fall, kann ich Deine Reaktion sehr gut nachvollziehen. Vieleicht hat diese Tochter einfach diese direkte klare Sprache gebraucht, um zu begreifen, was da mit ihrer Mutter geschieht.
Ich finde das sehr mutig von Dir.

Gruß Dorothee
 
Hallo Silvana,
du hast Recht, manchmal braucht ein Mensch vielleicht mal einen "Tritt" irgendwohin damit er mal nachdenkt. Bei manchen geht es mit sanften Worten.
Es steht dir zwar nicht zu so mit "nicht Freunden" zu reden, aber du hast die Situation so klar erkannt. Ich finde es sehr gut. Du hast sie "sehend" gemacht.
Du hast für die alte Dame gesprochen, die sich wahrscheinlich der Tochter hat fügen müssen. Im Sinne des Patienten zu sprechen bzw. für den Patienten zu sprechen ist für mich eine positive Eigenschaft der Schwester/Pfleger/Arzt.
Es ist schwer jemanden zu verlieren. Es ist egoistisch jemanden am Leben zu erhalten - Egoismus aus Liebe-!
Wer liebt läßt auch los.

VG
Dagmar
 
:?: Hallo Silvana,
bei Deinem Bericht kommt mir doch meine nicht mehr vorhandene Galle betreff der Angehörigen hoch.
Angehörige, die nicht akzeptieren wollen, dass z.B. die Mutter in einem hohen Alter von 99 Jahren und dem Erkrankungsbild endlich mal die Natur entscheidet, denen sollte man das Buch von "Kübler-Ross" Interviews mit Sterbenden empfehlen.
Tschüß Carmen
Du hast völlig korrekt gehandelt
 
@Carmen,
versetz dich mal in die Situation der Angehörigen. Da stirbt meine Mutter, das liebste was ich auf Erden hab,mein Lebensinhalt seit vielen Jahren. Und ich habe in meinem Leben nur gelernt, das alles therapiert werden kann.
In den Augen der Angehörigen gibt es oft das Alter in dem Sinne nicht. Da gibt es Krankheiten und gegen die gibt es Therapien und es ist meine Pflicht alles zur Genesung zu tun. Silwana hat das einzigst richtige getan. Sie hat die Angehörige aufgeklärt. Etwas, was offensichtlich bis dahin von entsprechenden Personen (Hausarzt, Notarzt, Stationsarzt) unterblieben ist.
 
@Elisabeth,
wie ich aus Deinem Schweigen herauszulesen vermute, ist die Stellungnahme nicht bei Dir angekommen.
Deshalb hier nochmal in Kurzform.
Leider wurden die Aufklärungsarbeiten für die Tochter nicht von einem Arzt gemacht, sondern Silvana aufgebürdet, was verwerflich ist.
Weier zum Inhalt von Silvanas Bericht.
Die Tochter hat wohl Jahre lang nicht mitbekommen, dass die Mutter an einer c h r o n i s c h e n Niereninsuff. leidet, dementsprechend oft dialysiert werden mußte und diverse Medikamente einnahm, sowie den sich stetig verschlechternden AZ ???
Des weiteren hat die Tochter wohl in ihrer absoluten Verdrängung, dass es einen Tod gibt vergessen, dass dieser Tod zu Jedem kommt???
Es haut mich fast vom Hocker, wenn ich lese, dass , die Tochter in ihrer Selbstherrlichkeit, Ignoranz, unvermögender Toleranz gegenüber dem Tod ihrer 99 jährigen Mutter eine adäquate Schmerzmedikation für sie ablehnte, obwohl die Mutter vor Schmerzen schrie???????!!!!!!!!!!!
Im Ernst, der Mutter noch weitere Schmerzen zufügen lassen wollte, indem sie noch schmerzhafte Untersuchungen für die Mutter forderte und im Gegenzug einer angemessenen Pflege ihrer Mutter nicht zustimmte ???
Wer sich als Tochter gegenüber der eigenen Mutter derart egoistisch verhält, hat seine Mutter NIE geliebt. Denn wer liebt, der versucht zu helfen, indem man auch los läßt, wie Dagmar schon richtig schrieb.
Die Tochter brachte der Mutter eine nicht zu erfassende Respektlosigkeit rüber, dass die Mutter mir in tiefster Seele leid tut, so ein Wesen (ihre eigene Tochter) in die Welt gesetzt zu haben.
Das es immer ein schwerer und sehr trauriger Schlag ist, einen Angehörigen zu verlieren steht außer Frage.
Doch das, was diese Tochter da veranstaltete hat nichts aber auch gar nichts mit Verlustängsten oder Trauer über den Zustand der Mutter zu tun, sondern ist purer Egoismus (... aber ich w i l l nicht, dass meine Mutter stribt, aber ich w i l l nicht, dass meiner Mutter die Schmerzen gelindert werden, aber ich w i l l nicht, dass sie gepflegt wird von den Schwestern, aber ich w i l l, dass meiner Mutter weiter Schmerzen durch Untersuchungen zugefügt werden).
Diese Tochter kommt einem Sadisten gleich, die denken und handeln auch so.
Es ist überhaupt nicht meine Pflicht, einen Menschen, der an der Schwelle des Todes steht, bis in den Tod mit einer Maximaltherapie zu quälen!!!
Es ist meine Pflicht, dem Pat. ein schmerzloses Sterben zu ermöglichen!!!

Nur zur Info:
Ich war 15 Jahre und 11 Monate alt, als meine Ma nach 4-jährigem Siechtum und 25 Operationen im Alter von 46 Jahren an Nierenkrebs verstarb. Seit meinem 11.Lebensjahr pflegte ich sie, so gut, wie es einem 11-jährigem Schulkind gelingt. Und zwar mit Allem, was eine Schwerstpflegebedürftige benötigt und in Allem.
Als ich sah, dass meine Ma unter Schmerzen zu leiden begann, die nicht wieder weg gingen, holte ich den Notarzt und bettelte ihn an, dass er bitte sofort meiner Ma die Schmerzen weg machen solle.
Ab diesem Moment hatte meine Ma eine Morphindauertherapie bis zu dem Zeitpunkt, als der Tod eingetreten war.
Ich habe meine Mutter über Alles geliebt, geachtet und respektiert, auch über den Tod hinaus und damals, als sie starb war ich noch keine 16 Jahre alt, stand von Jetzt auf Gleich völlig allein da, weil ich Null Familienangehörige hatte, keine Großeltern (waren schon verstorben, ohne Geschwister, da sie in der Welt verstreut lebten und leben, weder Tante, Onkel oder sonst irgendwen).
Aber so, wie ich meine Mutter zum und in den Tod hab gehen lassen müssen, sie los zu lassen, es einzusehen und zu akzeptieren, dass sie gar nicht mehr weiter leben konnte, das wurde mir von den Ärzten, in deren Klinik sie verstarb selbst unter deren Tränen als Respekt und Anerkennung für meine Mutter gesagt.
Und ich war keine 16 Jahre.

So, nun kannst Du antworten oder auch nicht.

Carmen
 
Hallo carmen (mal wieder :wink:)!

Zunächst mal will ich festhalten, dass Du und Elisabeth euch anscheinend in der Sache grundsätzlich einig seid: Ihr wollt beide nicht, dass die todkranke Frau Schmerzen erleidet und seid beide der Meinung, dass Silvana das richtige gemacht hat. (Ich auch.).
Soweit besteht kein Unterschied zwischen euren Meinungen.

Über die nicht stattgefundene Aufklärung von ärztlicher Seite brauchen wir auch nicht weiter reden - das is indiskutabel verabsäumt worden. Das kenn ich mittlerweile traurigerweise auch zur Genüge aus meinem Alltag.

Aber worauf Elisabeth hinweist ist nicht ganz von der Hand zu weisen.
Auch ich bin nicht überzeugt davon, dass die Tochter aus purem Egoismus gehandelt hat.
Dir scheint das aus Deiner persönlichen Vergangenheit natürlich völlig klar was zu tun war/ist. Und wir alle hier in diesem Forum kommen aus diesem 'Geschäft' - auch wir wissen was in dem Fall das einzig richtige ist.

Aber diese Tochter: sie ist wahrscheinlich zum ersten Mal in ihrem Leben mit so einer Situation konfrontiert. Vielleicht hat sie sich NIE :!: damit auseinandergesetzt, dass ihre Mutter eines Tages einfach weg ist. Daher natürlich der allem andere übergeordnete Wunsch, dass alles getan wird, dass sie hierbleibt. Ohne Rücksicht auf Verluste.
Und natürlich ist genau das NICHT unsere Aufgabe, sie darin zu unterstützen.
Wir pflegen auch die Angehörigen mit, oft macht das einen Gutteil unserer Pflege aus. Ich sehe meine Aufgabe darin, genau das zu tun, was Silvana getan hat - nämlich den richtigen Weg aufzeigen (über den in diesem Falle glaube ich kein Zweifel besteht).

Ich finde man kann der Tochter ihr Verhalten nicht vorwerfern, sie handelte auch nur innerhalb ihrer Möglichkeiten und Perspektiven. Um zu einer folgerichtigen Entscheidung zu gelangen, musste beides durch Wissen und Erklärungen erweitert werden. Vermutlich schämt sie sich danach sogar, wie sie vorher darüber gedacht hat.

+lg, david
 
Hallo David,

hoffentlich geht es der Tochter besser, nachdem sie vielleicht mal über ihr Verhalten in der Klinik nachgedacht hat und sie geht mit dem Sterben- und Tod eines anderen Familienangehörigen besser um.
:wink:

Carmen
 
Hi David,

auch ich war damals das erste Mal mit dem Tod eines Familienangehörigen konfrontiert, doch zum Glück reagieren nicht alle Menschen gleich auf eine solche Extremsituation.

Wiederlugi

Carmen
 
Hallo ihr beiden,
ich schalte mich jetzt hier mal ein, weil ich sehr wohl denke, daß dieses Forum genau der richtige Ort ist, das zu diskutieren.

Elisabeth, auch bei mir ist der Eindruck entstanden, daß Du Meinungen von anderen, nicht besonders gut stehen lassen kannst, (was ja nicht schlimm ist, dafür diskutieren wir ja hier) Dich aber dann von jeglicher Diskussion zurückziehst(was ich schon schlimm finde). Bsp: Auf meine Frage wen Du mit "wir" meintest, steht die Antwort bisher noch aus.
Ich kann Deine Angriffe gegen Carmen nicht nachvollziehen, denn nur weil sie viel schreibt, ist sie nicht geltungssüchtig. Und die "fachlichen Nicht-Glanzleistungen" möchte ich auch gerne aufgeführt haben, ich habe noch keine von Carmen gelesen.
Ich habe Carmen als eine sehr nette, diskussionsfähige, tolerante Userin kennengelernt (was man in den paar Tagen so kennenlernen nennen kann) und finde es toll, daß hier nicht nur alle 4-5 Tage mal ein Beitrag kommt.

Elisabeth, Du schreibst,
Es geht hier nicht darum die Meinung zu erstellen, sondern es geht hier um Erfahrungsaustausch.
Diese Einstellung macht mir zwar einige Reaktionen klar, allerdings wirkst Du auf mich nicht konsequzent in Deiner Ansicht, weil ich den Eindruck hatte, daß Du durchaus Meinungen beeinflussen willst. (Sinnesorgan-Thread)
Ich finde sehr wohl, daß es hier um Meinungserstellung geht. Ich äußere hier meine Meinung, und ändere, wenn ich es für richtig halte, und überzeugt wurde, meine Meinung auch.
Was nicht heißt, daß hier jeder jeden überzeugen muß, aber eine gewisse Offenheit, wünsche ich mir.

Der Ton macht nur die Musik, wenn man nicht sagt was man meint, und meint was man sagt.
Und dieses Forum, hat leider keine Musikfunktion.
 
Hi Skraal

Angriff: erfolgte primär von Carmen

fachliche Leistung: z.B. Beitrag zur Anfrage Zyste im Gynforum

Wir?: ein nicht geringer Teil der Basis in der Pflege, alternativ könnte man auch meinen Kollegenkreis sehen (der häufige Gebrauch dieses Wortes ist wohl ein Überbleibsel meiner DDR Sozialisation;) )

Meinungsbildung: ich habe die Angewohnheit alles! in Frage zu stellen und immer wieder nachzufragen warum? Studien sind für mich nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluß. Zu oft habe ich in meinen 26 Jahren Berufslaufplan erlebt, das Auffassungen sich ändern. Sichtweisen ändern sich mit den Jahren. Und da ich nicht nur aus der biomedizinischen Ecke etwas besehe habe ich oft wohl auch etwas schwer nachvollziehbare Vorstellungen. Hinzu kommt sicher ein großes Maß an Berufserfahrung- was sich halt so ansammelt im Laufe der Jahre mit der Einstellung des ständig hinterfragens- die meine Meinung prägen.

Ich pflichte dir bei: Es kann und sollte nie die Meinung geben. Die Welt wäre längst nicht so farbenreich, wie sie derzeit ist. Warum wir aber Machtkämpfe öffentlich austragen müssen, das kann und will ich nicht verstehen. Ich will hier meinen Horizont erweitern,mich inspirieren lassen von Anfragen selbst hinzuzulernen (und sei es über die Google noch mal nach zu recherchieren;)

Der Ton macht die Musik: Genau was du sagts, es fehlt die Möglichkeit der vollständigen Kommunikation. Worte, nicht unterstützt durch nonverbale Aspekte (Mimik, Gestik, Tonfall, Körperhaltung), können schnell falsch verstanden werden und zu Diskrepanzen führen. Dessen muß man sich bewußt sein, wenn man sich auf eine "mediale" Diskussion einläßt. Ich diskutiere jetzt seit vielen Jahren in den unterschiedlichsten Foren. Aber so eine Entgleisung einer Diskussion ist mir hier das erste mal begegnet.


Fragen beantwortet Skraal?

Elisabeth
 

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