Keine Zeit für Trauerarbeit

Rabenzahn

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15.02.2002
Beiträge
933
Ort
Kassel
Beruf
AN-Pfleger
Akt. Einsatzbereich
in Rente
Keine Zeit für Trauerarbeit.

Am Montag wurde mir mal wieder so richtig bewusst, in welcher sterilen Atmosphäre in einer Klinik gestorben und getrauert wird.

Wir hatten einen schweren Arbeitsunfall von einer Baustelle bekommen. Ein Bagger war rückwärts über einen Arbeiter gefahren und hatte ihn komplett überrollt.
Der 34 jährige Mann war schwerst verletzt und trotz intensivster Bemühungen waren die Verletzungen nicht mit dem Leben vereinbar, so das er noch im Schockraum verstarb.
Zwischenzeitlich war der Bruder des Verunfallten eingetroffen und kurz darauf auch die Ehefrau. Nach kurzer Beratung haben wir uns entschlossen, die Ehefrau doch zu dem Mann zu lassen, obwohl er natürlich furchtbar aussah. Aber unser Gedankengang war der, dass wir ihr den Abschied und den Abschluss, sowie den Beginn der Trauerarbeit ermöglichen wollten. Sie sollte selber sehen das es für ihren Mann besser war gestorben zu sein. Zeitgleich hatten wir die Klinikspfarrerin informiert, die sofort kam.

Leider meldete sich dann bereits die Funkleitstelle und teilte uns mit, dass es einen Massenunfall gab und wir einen Schwerstverletzten aufnehmen müssen.
Somit blieb keine Zeit wenigstens ein Beileid an die trauernde Frau zu sagen, oder einfach nur still die Hand zu drücken.

Ich fand die Situation sehr deprimierend, während sie das sitzt und um Fassung ringt, musste ich bereits beginnen das Notfallset aufzuziehen, die Kabel abzuwischen und die Beatmungsmaschine aufzurüsten.
Die Maschine an der vor 5 Minuten noch ihr Mann hing, die Kabel mit der er noch verbunden war und das Set das ich für ihn verbraucht habe.

Noch schlimmer war dann die Situation, die Frau, den Mann und die Pfarrerin in einem anderen Raum zu bringen, damit der Schockraum wieder belegt werden konnte.
Da war für Trauerarbeit und Verarbeitung des Geschehens keine Zeit.

Kaum war die Trage in den Schockraum zurück gebracht worden, landete der Hubschrauber mit einem
18 jährigen Jungen, Zustand nach Verkehrsunfall, instabile Kreislaufverhältnisse und und und .
Wir haben ihn in Empfang genommen und mit dem gleichen Elan versorgt wie vorher den Arbeiter mit dem Baggerunfall.

Der Junge war so schwer verletzt, dass er trotz Notoperation ebenfalls verstarb.

Somit war der ganze Einsatz im Schockraum umsonst.

Nur wer fragt eigentlich auch mal das Personal wie es damit umgeht.

Verkraften die Kolleginnen und Kollegen die seelischen Belastungen oder besteht nicht manchmal auch Bedarf an Aufarbeitung des Erlebten ?

Wer möchte darüber berichten ?
 
Hallo Rabenzahn,
meine Güte, die Arbeit in Deinem Bereich möchte ich nicht geschenkt haben, das würde mich auf jeden Fall permanent überfordern. Deshalb meine Hochachtung für Deinen Dienst. Nun zu Deinen Fragen.
Es sollte wirklich in solchen Bereichen, wo Du bist ein Kriseninterventionsdienst für Angehörige UND Personal geben. Beim Betriebsrat kannst Du dir da Anregungen holen, wie das gestaltet werden könnte. Supervisionen sind ganz wichtig, finde ich. Ein gesundes Selbstbewußtsein und positives Denken scheint mir ebenfalls von Vorteil, doch das hast Du ja wohl.
Ich bin selten sprachlos, doch Dein Bericht ließ mich echt verstummen und das will bei einem Berliner Göhr was heißen. Zurück zum Thema.
Die Zeit, wenigstens einen stummen Händedruck oder ein paar leise Worte der Anteilnahme lasse ich mir nie nehmen. Schon allein, um mit mir und der Situation klar zu kommen und die Angehörigen nicht versteinert stehen zu lassen. Es kam schon vor, dass wir am Tage, in einer Schicht mehrere Tote hatten und das z.Zt. anwesende Personal aufteilen mußte, um Alles geregelt zu bekommen. Da wir ein tolles Verhältnis zu unseren Ärzten haben, brauchten wir sie nicht um Hilfe zu bitten, sie taten es von allein. Hirarchiegehabe gibt es auf unserer Stat. nicht, jeder leistet seinen Dienst so gut er kann und manchmal geht man auch über seine eigenen Grenzen, um andere Koleginnen/Kollegen mit zu ziehen.
Soeben habe ich etwas bemerkt :idea: Die Teilnahme an diesem Forum gibt mir die Möglichkeit, meine Erlebnisse schildern zu können und sie dadurch auch konsequenter zu verarbeiten. Danke Rabenzahn
Carmen
 
Hallo Carmen,

der Sinn des Forums soll ja sein, dass Du berichtest und wir an deinen Erlebnissen teilhaben wollen.
Also quäle den Computer. :lol: schreibe Dir das von der Seele was darauf drückt. :cry: Und die anderen Leser können sich daran bei Beispiel nehmen :D
 
:roll: :?: Hallo Rabenzahn,

mir liegt noch viel mehr auf der Seele, weiß aber nicht so recht, ob ich das ins Forum setzen sollte oder besser nicht und wenn ja, unter welcher Rubrik?
Und wenn Du noch auf Reisen bist und das zufällig ein anderer Admi oder Moderator, welcher nicht zuoft subjektiv eine Sache betrachtet liest, könnte ich da bitte vor Veröffentlichung über pn Ablärung haben?

Carmen
 
Hallo Rabenzahn,

was Du schreibst klingt ausgesprochen schrecklich und lässt sich mit einigen Situationen vergleichen, die ich erlebt habe.

Vor einiger Zeit ist ein Patient auf unserer Station verblutet (nekrotisierende Pankreatits, offener Bauch, plötzliche arterielle Blutung). Die Kollegen, die den Patienten betreut haben, war ziemlich fertig.
Ähnliche Situationen kommen recht häufig vor, wobei die Plötzlichkeit des Geschehens und vor allem das "Hilflos daneben stehen" ziemlich viel Kraft rauben, auch seelisch.

Die Carmen erwähnte Superversion, stösst in meinem Arbeitsfeld auf keine positive Resonanz.

In solchen Extremsituation wird innehalb unseres Teams sehr viel geredet und zwar manchmal über mehrere Wochen. Das hilft uns sehr, unsere Gefühle zu verarbeiten und seelischen Stress abzubauen.
 
Hallo @all :wavey:
hat noch jemand Erfahrungen mit Supervisionen gemacht und wenn ja, welcher Art :?:
Es freut sich auf Antworten

Carmen :engel:
 
Hallo!

Ich habe auch ähnliche Probleme, auch nach 10 Jahren Arbeit!! Zwar keine schweren Verkehrsunfälle, aber manchmal bin auch ich der seelischen Belastung kaum gewachsen! Ich arbeite in der Gynäkologie, mein Arbeitfeld umfaßt das ganze Spektrum, Frisch-Entbundene, Ganz "normale" unkomplizierte OP`s, Tumorpatientinnen, Totgeburten, Schwangerschaftsabbrüche aus medizinischer Indikation, Sterbende!! Von einem Zimmer ins andere gehen, sich seine seelische Belastung beim nächsten Patienten nicht anmerken lassen! Heimlich weinen wenns zuviel wird!! Und es ist keiner für einen da, der dir mal zuhört!! Und die Kolleginnen ( ich habe super-liebe Kolleginnen!! ) haben auch oft nicht genug Zeit, um sich meine Probleme anzuhören!! Und quälen sich dann mit ihren eigenen seelischen Nöten rum!! Hoffe, das sich das mal ändert!!

:cry:
 
Hi Carmen!

Supervisionen gibt es bei uns einmal im Monat! Ich arbeite auf einer
Geronto Psychiatrischen Aufnahmestation mit 22 Betten. Das ungünstige
bei uns ist,daß wir eine reine Männerstation sind und deswegen der AVD
auch schon öfters Suchtis und allgemeinpsychiatrische Patienten zu uns
bringt.Kanst dir sicher Vorstellen, daß dieses gemischte Klientel sehr
schwierig ist,weil man irgendwann nicht mehr weiß,wie man jedem
gerecht werden will. Gerade in "heißen" Phasen ist der Supervision
Termin sehr wichtig. Zum ersten hat man eine Stunde Zeit, sich einfach
mal mit allen Kollegen an den Tisch zu setzen und seinem Frust freien
Lauf zu lassen und zum Zweiten hat jeder mal die Zeit seine Meinung
und Ansicht über einen Patienten zu erzählen, wobei man für sich selber
die Möglichkeit hat,den Patienten auch mal aus einem anderen
Blickwinkel zu sehen.


MFG,

Kartoffelbrei
 

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