Eine meiner vielen Erfahrungen mit Sterbenden...

urmel

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Der Mann, von dem ich berichten will, ist vor ungefähr 6 Jahren verstorben. Er wurde gerade mal 46 Jahre alt.
Ich kannte ihn schon aus vorherigen stationären Behandlungen. Er war alkoholkrank und hatte eine Leberzirrhose.
Als er diesmal auf Station kam, war sein Leib so aufgedunsen, ich kann es nicht beschreiben. Er bekam einen Cavakatheter und wurde mit Furosemid usw. behandelt, um die Aszitis wegzukriegen (ich muss erwähnen, dass er ein Jahr vorher schon mal mit einer dekompensierten LZ bei uns war und es gerade noch geschafft hatte).

Ich wusste, dass er diesmal nicht mehr lebend das Krankenhaus verlassen würde. Und es tat mir unendlich leid. Wieso? Er war so ein lieber Mensch, verständnisvoll, meckerte nicht, wenn ich vier-fünfmal seinen Cavaverband wechseln musste, weil er schon wieder durchgeblutet war, er klingelte so gut wie nie, wenn er auf Toilette musste, obwohl er sehr schwach war.
Im Nachhinein weiss ich nicht, ob er spürte, dass es zu Ende ging. Jedenfalls wurden seine Blutungen schlimmer, in dem Zimmer roch es nach Leber, und das nicht nur wegen ihm, sondern auch wegen eines weiteren Patienten, der wegen dekompensierter LZ behandelt wurde.

Ich weiss noch genau, als sein Sohn kam, um sich zu verabschieden (sein Sohn musste von der Bundeswehr ausser Landes) und wie seine Tochter an seinem Bett sass und die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte (sie war im sechsten Monat schwanger) und ich erinnere mich, wie seine Frau mehrmals aus dem Zimmer kam, um tief durchzuatmen und um Beherrschung rang... Wir führten viele Gespräche mit ihr und den Kindern.

Es geschah dann eines Tages. Er verblutete. Trotz Medikamenten, trotz Transfusionen. Sein Bauch blähte sich zusehends mehr auf und wir konnten ihm nicht mehr helfen.
Auch sein Nachbarpatient starb an dem gleichen Tag, drei Stunden später.

Wir waren alle auf Station fertig, am Ende.
Es war einer der tragischsten Augenblicke, die ich bisher in meinem Leben durchgemacht habe.
Ich sehe beide Männer noch vor mir, ich kenne die Namen noch, ich hab den Geruch noch in der Nase, ich spüre immer noch diese Hilflosigkeit und die Verzweiflung.

Auf Station haben wir alle sehr lange Zeit nach dem Tod dieser beiden Männer über ihr Sterben und ihr Leiden und unser Gefühl dabei geredet.
Das tat gut.
Und selbst heute noch kommen wir auf diese Beiden zu sprechen.
 
Hallo Urmel,

wie ich deinem Bericht entnehme, hast Du zu diesen beiden Patienten sehr viel Sympathie gehegt. Trotz der Alkoholanamnese. Das ist eigentlich selten, weil Alkoholiker in unserer Gesellschaft immer noch ausgegrenzt werden.

Waren die beiden Männer eigentlich trockene Alkoholiker oder benötigten sie immer noch Alkohol ?
Ich habe auch trockene Alkoholiker kennen gelernt, die wirklich sehr nett und höflich sind. Schlimmer sind ja die, die noch ständig trinken und dadurch auch unberechenbar sind.
Was den Tod der Männer betrifft, ist das sicherlich eine der schlimmsten Momente, wenn man überhaupt nicht mehr helfen kann.
So etwas gibt es z.B. auch in der HNO, wenn Patienten mit einem Tonsillen-Ca. verbluten weil der Tumor die Gefäße zerstört hat. Sie erleben das oft noch im Wachzustand, während ich bei dem Leberpatient von einem Coma hepaticum ausgehe.
Beides ist schlimm und beides nur schwer zu verkraften. Aber wenn ihr sogar auf der Station darüber reden könnt, denke ich, dass es eine Hilfe für alle ist.
Hast Du das Trauma überwunden ? Wenn nicht, schreibe einfach mehr davon.

Gruß
Hyronimus Rabenzahn
 
Hallo Hyronimus,
der 46jährige Mann trank nach wie vor Alkohol (laut seiner Frau war es eine Dose Bier abends), der andere kam ebenfalls nie davon los.

Weisst Du, ich htte noch nie irgendwelche Vorurteile gegen Alkohokranke. Sie benötigen unbedingt Hilfe, eben auch von der Gesellschaft. Für mich ist es immer noch unverständlich, dass Werbung für Alkohol im Fernsehen gemacht werden darf (ich krieg eine mittlere Krise, wenn ich diese Berensen Apfelkorn-Werbung sehe, oder dieses Wodka-Lemmon in Dosen, so für zwischendurch....schlimm ist das doch!!!).
Und diese Menschen sind doch auch wer. Sie haben oder hatten einen Beruf und Familie und sind durch ihre Krankheit ruiniert, körperlich, geistig, seelisch. Wracks. Bis jetzt habe ich zwei Patienten erlebt, die bis jetzt trocken geblieben sind, über Jahre hinweg.

Der 46jährige war nicht im Koma, aber der Ältere schon.
Ich werde es nie vergessen. Und ich werde auch viele andere, die ich begleitet habe, nie im Leben vergessen können.

Es sind diese Momente, wo ich selber an meine Sterblichkeit erinnert werde und auch daran, wie schnell das geht (als junger Mensch denkt man an sowas ja nie). Und mir wird bewusst, jedesmal erneut, dass das Leben so toll ist und ich mir jeden Tag so gestalten kann, wie ich es vermag und selbst aus negativen Erlebnissen eine positive Bilanz ziehen kann.

Ich trauere nicht mehr um diese Menschen. Im Gegenteil. Ich bin irgendwie ein bisschen stolz drauf, dass ich sie kennenlernen durfte.

Aber weinen tu ich immer, wenn ein Patient stirbt. Das tut meiner Seele gut und auch den Angehörigen, die sehen, dass es auch für uns Pflegekräfte nicht was alltägliches ist.
Meine persönliche Erfahrung ist, dass die Angehörigen dann erst richtig zu weinen anfangen und ihre Trauer und Wut rausheulen und sich gehen lassen. Viele ringen ja nach Beherrschung. Doch dem überwiegenden Teil der Angehörigen geht es einfach besser danach, weil sie sich richtig verabschiedet haben, mit Tränen, mit Jammern, mitunter auch mit Schreien und totaler Verzweiflung.

Warum nicht den geliebten Menschen in den Arm nehmen? Ihm nochmal über das Gesicht streicheln, einfach berühren, um die Situation zu erfassen und zu verstehen, was da passiert ist?!

Das ist etwas so wichtiges und leider auch ein aTabuthema in unserer Gesellschaft: Sterben und Abschied nehmen, Trauern können und diese zu zeigen.

LG von
urmel
 
Hallo Urmel,

ein sehr guter Freund hat mir mal folgendes gesagt. Ich habe es sofort aufgeschrieben um es ja nicht zu vergessen. ich weiß nicht woher er es hatte, ob es von ihm ist oder von irgend jemand bekanntem. ist auch egal, ich finde es nur sehr schön:


Das Gestern ist nur ein Traum
Und das Morgen eine Vision
Aber der heutige Tag gut gelebt
Macht aus jedem Gestern einen Traum vom Glück
Und aus jedem Morgen eine Vision der Hoffnung
Daher achte gut auf den heutigen Tag


ich finde daran sollte man festhalten. Denn das Leben ist kurz Man sollte es genießen solange mann kann.

Grüße
Mäuschen
 
juhu,
ich bin noch in meiner ausbildung und habe schon viele menschen sterben sehen. ich finde es immer schlimm wenn ein mensch stirb ,egal ob er suchtkrank ist oder nicht. ein mensch ist ein mensch. sterben gehört zum leben aber dazu. in der ambulanten pflege wurde immer eine kerze angezündet ,wenn jemand verstarb. ich finde das ist eine schöne geste.
so wird den anderen mitgeteilt , das jemand verstorben ist ,aber somit wird auch an den patienten und an seine familie wird gedacht.
 
Deine Schilderung spricht mir fast aus der Seele...

Habe letztens ebenfalls einen alkoholkranken Patienten betreut...gerade mal an die Fünfig...der Bauch wurde mit jedem Tag größer und der Mann mit jedem Tag schwächer-

und er war auch so ein herzensguter Mensche ...total genügsam...hat bei allem kooperiert...war höflich...so hab ich ihn irgendwie schnell ins Herz geschlossen, auch wenn ich wusste das er die Station nicht mehr lebend verlassen würde.

Das Team war bei diesem Patienten gespalten:
-die einen , denen dieser Mensch einfach nur leid tat und die ihm versuchten die letzten Tage noch ein wenig erträglich zu machen
-dann die anderen, die Sprüche loslasste wie: Ja, aber hier liegen noch ganz andere, denen geht es auch schlecht und die können NIX dafür dass sie krank sind.

Der Mann ist irgendwamm eingetrübt und gestorben...
Ihn werd ich wohl auch so schnell nicht vergessen können...
 

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